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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Ein Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

Die Zusammensetzung mit den: niederdeutschen "apeu" für offen und ein
Blick auf das naturwüchsige Tongefäß sprechen für das hohe Alter des "Mul-
apen". Auch die anderweit nachgewiesenen Wortformen Mauloff, Mulop,
Maulop, Maulauf ergeben eine frühe Entstehungszeit. Kommt noch hinzu,
daß der "Maulaffe" bis in das neunzehnte Jahrhundert als Gebäck in
elliptischer Ringform üblich war°^), so wird hierdurch zugleich Licht darüber ver¬
breitet, wie es sich erklärt, daß Hornaffe und Maulaffe mannigfach als gleich¬
bedeutend für einen gebackenen Ring gebraucht wird, der zwei an ihren Spitzen
sich nähernde, mit ihrer Basis zusammengefügte Hörner darstellt. Auch der Horn¬
affe hat Ringgestalt, nur die weniger gewöhnliche eines Ringes mit offenem
Maule. Heißt das Feuerstübchen, das offenen Maules ist, Mauloffen, so ist
man nicht minder berechtigt, einen solchen Ring, der die Eigentümlichkeit hat.
offen zu sein, als einen Gegenstand mit offenem Maule zu bezeichnen und ihn
deshalb neben Hornoffen auch Mauloffen oder Mulop zu nennen. Nach Lexers
mittelhochdeutschen Wörterbuch gibt es als Gebäck auch einen "Muutaffen" und
nach einem in Schmellers bayerischen Wörterbuch angeführten Vokabularium von
1468 sogar einen "Affenmund", von dem ein Münchener heilig Geistspiel (1519)
erzählt, zu Fastnacht seien "sechzehn Affenmund mit Honig überstrichen". Die
damaligen Sprachbildner glaubten demnach zum einen Teile den Maulaffen
in einen Mundaffen verfeinern, zum anderen Teile, da doch in ihrem Gebäck
von einem Affen durchaus nichts zu sehen war, auf den Mund den Hauptnach¬
druck legen und deshalb einen "Affenmund" dem Mundaffen vorziehen zu sollen.
Daß äffen offen bedeute, wußte" sie nicht, waren aber doch nahe daran, den
"Affenmund" als die wahre Verhochdeutschuug sowohl des Horn- als des Maul¬
affen zu entdecken und damit den Weg derjenigen zu beschreiten, die Spangrün
aus Grünspan machten. Daß die Sprache zur Bildung eines besonderen Namens
für dasjenige ringförmige Gebäck überging, das nicht geschlossen war, erklärt
sich nur, wenn für ein ringförmiges, aber geschlossenes Gebäck bereits ein
anderer Name existierte. Darum entstand das Gebäck eines Ringes oder
Kringels früher als das eines Mauloff oder Hornoff, und mit Recht nennt der
"Deutsche Sprachschatz" das letztere im Jahre 1691 eine "Species spirarum"
(eine Art Ring). Auch das Auftauchen des Lübecker Mulapens läßt annehmen,
daß es zu seiner Zeit in Lübeck bereits Feuerstübchen gab, die einer Tür zum
Verschließen der hineingelegten Feuerung nicht entbehrten, d. h. Feuerstübchen
besserer Qualität: das Mulapen ist -- wie noch heute -- das Feuerstübchen
der Armen. Die Unkenntnis, was in Wahrheit die eine wie die andere Zu¬
sammensetzung bedeute, leistete der Möglichkeit Vorschub, auf der einmal betretenen
Bahn des Irrtums fortzuschreiten: man schreckte nun auch nicht mehr davor
zurück, das Hornaffengebäck "Maulaffe" zu nennen, den Hornaffen, wie wir es
an der Pariser Hauptkirche sahen, als Affen mit einem Horn darzustellen und



Vilmar, Kurhessisches Idiotikon.
Ein Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie

Die Zusammensetzung mit den: niederdeutschen „apeu" für offen und ein
Blick auf das naturwüchsige Tongefäß sprechen für das hohe Alter des „Mul-
apen". Auch die anderweit nachgewiesenen Wortformen Mauloff, Mulop,
Maulop, Maulauf ergeben eine frühe Entstehungszeit. Kommt noch hinzu,
daß der „Maulaffe" bis in das neunzehnte Jahrhundert als Gebäck in
elliptischer Ringform üblich war°^), so wird hierdurch zugleich Licht darüber ver¬
breitet, wie es sich erklärt, daß Hornaffe und Maulaffe mannigfach als gleich¬
bedeutend für einen gebackenen Ring gebraucht wird, der zwei an ihren Spitzen
sich nähernde, mit ihrer Basis zusammengefügte Hörner darstellt. Auch der Horn¬
affe hat Ringgestalt, nur die weniger gewöhnliche eines Ringes mit offenem
Maule. Heißt das Feuerstübchen, das offenen Maules ist, Mauloffen, so ist
man nicht minder berechtigt, einen solchen Ring, der die Eigentümlichkeit hat.
offen zu sein, als einen Gegenstand mit offenem Maule zu bezeichnen und ihn
deshalb neben Hornoffen auch Mauloffen oder Mulop zu nennen. Nach Lexers
mittelhochdeutschen Wörterbuch gibt es als Gebäck auch einen „Muutaffen" und
nach einem in Schmellers bayerischen Wörterbuch angeführten Vokabularium von
1468 sogar einen „Affenmund", von dem ein Münchener heilig Geistspiel (1519)
erzählt, zu Fastnacht seien „sechzehn Affenmund mit Honig überstrichen". Die
damaligen Sprachbildner glaubten demnach zum einen Teile den Maulaffen
in einen Mundaffen verfeinern, zum anderen Teile, da doch in ihrem Gebäck
von einem Affen durchaus nichts zu sehen war, auf den Mund den Hauptnach¬
druck legen und deshalb einen „Affenmund" dem Mundaffen vorziehen zu sollen.
Daß äffen offen bedeute, wußte» sie nicht, waren aber doch nahe daran, den
„Affenmund" als die wahre Verhochdeutschuug sowohl des Horn- als des Maul¬
affen zu entdecken und damit den Weg derjenigen zu beschreiten, die Spangrün
aus Grünspan machten. Daß die Sprache zur Bildung eines besonderen Namens
für dasjenige ringförmige Gebäck überging, das nicht geschlossen war, erklärt
sich nur, wenn für ein ringförmiges, aber geschlossenes Gebäck bereits ein
anderer Name existierte. Darum entstand das Gebäck eines Ringes oder
Kringels früher als das eines Mauloff oder Hornoff, und mit Recht nennt der
„Deutsche Sprachschatz" das letztere im Jahre 1691 eine „Species spirarum"
(eine Art Ring). Auch das Auftauchen des Lübecker Mulapens läßt annehmen,
daß es zu seiner Zeit in Lübeck bereits Feuerstübchen gab, die einer Tür zum
Verschließen der hineingelegten Feuerung nicht entbehrten, d. h. Feuerstübchen
besserer Qualität: das Mulapen ist — wie noch heute — das Feuerstübchen
der Armen. Die Unkenntnis, was in Wahrheit die eine wie die andere Zu¬
sammensetzung bedeute, leistete der Möglichkeit Vorschub, auf der einmal betretenen
Bahn des Irrtums fortzuschreiten: man schreckte nun auch nicht mehr davor
zurück, das Hornaffengebäck „Maulaffe" zu nennen, den Hornaffen, wie wir es
an der Pariser Hauptkirche sahen, als Affen mit einem Horn darzustellen und



Vilmar, Kurhessisches Idiotikon.
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[0376] Ein Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie Die Zusammensetzung mit den: niederdeutschen „apeu" für offen und ein Blick auf das naturwüchsige Tongefäß sprechen für das hohe Alter des „Mul- apen". Auch die anderweit nachgewiesenen Wortformen Mauloff, Mulop, Maulop, Maulauf ergeben eine frühe Entstehungszeit. Kommt noch hinzu, daß der „Maulaffe" bis in das neunzehnte Jahrhundert als Gebäck in elliptischer Ringform üblich war°^), so wird hierdurch zugleich Licht darüber ver¬ breitet, wie es sich erklärt, daß Hornaffe und Maulaffe mannigfach als gleich¬ bedeutend für einen gebackenen Ring gebraucht wird, der zwei an ihren Spitzen sich nähernde, mit ihrer Basis zusammengefügte Hörner darstellt. Auch der Horn¬ affe hat Ringgestalt, nur die weniger gewöhnliche eines Ringes mit offenem Maule. Heißt das Feuerstübchen, das offenen Maules ist, Mauloffen, so ist man nicht minder berechtigt, einen solchen Ring, der die Eigentümlichkeit hat. offen zu sein, als einen Gegenstand mit offenem Maule zu bezeichnen und ihn deshalb neben Hornoffen auch Mauloffen oder Mulop zu nennen. Nach Lexers mittelhochdeutschen Wörterbuch gibt es als Gebäck auch einen „Muutaffen" und nach einem in Schmellers bayerischen Wörterbuch angeführten Vokabularium von 1468 sogar einen „Affenmund", von dem ein Münchener heilig Geistspiel (1519) erzählt, zu Fastnacht seien „sechzehn Affenmund mit Honig überstrichen". Die damaligen Sprachbildner glaubten demnach zum einen Teile den Maulaffen in einen Mundaffen verfeinern, zum anderen Teile, da doch in ihrem Gebäck von einem Affen durchaus nichts zu sehen war, auf den Mund den Hauptnach¬ druck legen und deshalb einen „Affenmund" dem Mundaffen vorziehen zu sollen. Daß äffen offen bedeute, wußte» sie nicht, waren aber doch nahe daran, den „Affenmund" als die wahre Verhochdeutschuug sowohl des Horn- als des Maul¬ affen zu entdecken und damit den Weg derjenigen zu beschreiten, die Spangrün aus Grünspan machten. Daß die Sprache zur Bildung eines besonderen Namens für dasjenige ringförmige Gebäck überging, das nicht geschlossen war, erklärt sich nur, wenn für ein ringförmiges, aber geschlossenes Gebäck bereits ein anderer Name existierte. Darum entstand das Gebäck eines Ringes oder Kringels früher als das eines Mauloff oder Hornoff, und mit Recht nennt der „Deutsche Sprachschatz" das letztere im Jahre 1691 eine „Species spirarum" (eine Art Ring). Auch das Auftauchen des Lübecker Mulapens läßt annehmen, daß es zu seiner Zeit in Lübeck bereits Feuerstübchen gab, die einer Tür zum Verschließen der hineingelegten Feuerung nicht entbehrten, d. h. Feuerstübchen besserer Qualität: das Mulapen ist — wie noch heute — das Feuerstübchen der Armen. Die Unkenntnis, was in Wahrheit die eine wie die andere Zu¬ sammensetzung bedeute, leistete der Möglichkeit Vorschub, auf der einmal betretenen Bahn des Irrtums fortzuschreiten: man schreckte nun auch nicht mehr davor zurück, das Hornaffengebäck „Maulaffe" zu nennen, den Hornaffen, wie wir es an der Pariser Hauptkirche sahen, als Affen mit einem Horn darzustellen und Vilmar, Kurhessisches Idiotikon.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/376>, abgerufen am 04.01.2025.