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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Gin Streifzug
in die Volksetymologie und Volksmythologie
Adolf Stölzel von

Die vorangegangenen Aufsätze über diese,, Gegenstand finden sich
in Heft 46, 47, 49 des Jahrgangs 1913 und in Heft 2 des laufenden
Jahrgangs.

7.

Ist das Ring- oder Kringel- oder Gringel-Gebäck "schon uralt", und diente
es als Nachbildung des Ringes, der ein Attribut des Sonnengottes war, dem
Gotte und seinen Priestern als Opferspeise, aber den Ackerern, die den Weizen als
das wertvollere und bessere Material für den Opferkuchen säeten, sowie den
Pferden ihres Pfluges und dem Ackerboden, den sie durchpflügten, als Mittel,
eine günstige Ernte herbeizuführen, so lag es gewiß nahe, auch dem anderen
Attribute des Gottes, seinen beiden Hörnern, zu Ehren ein Gebäck zu schaffen,
das diese beiden Hörner darstellte und mittels ihrer nicht nur an das dem
Sonnengotte gebührende Ningspeiseopfer, sondern auch an das aus dem Horne
ihm zu spendende Trankopfer erinnerte. Zwei Hörner ließen sich aber leicht
zu einem Gebäck vereinen, sobald man sie mit ihrer Basis zusammenfügte und
ihre Spitzen einander näherte. So entstand wiederum ein Ring, aber ein der
altbekannten torques ähnlicher offener Ring. Es war ein in zwei Enden aus-
laufendes Doppelhorn. Dieses hatte vor dem Ringe ^auch noch den Vorzug,
sowohl die beiden Hornmonate zu versinnbildlichen, in welche einerseits die
Sonnenwendzeit, anderseits die Zeit. des heidnischen Festes der Februa und
später die Zeit des christlichen Festes der Reinigung Mariä fiel, als da, wo
dies Fest, wie in Schlesien, auf Martini verlegt war, den einstigen Hörnern
des heiligen Martin ein Gedenken zu widmen, d. h. zum Martinshorn zu werden.
Sahen wir doch auch aus den heidnischen ksnae /mZusti die christliche Petri-
Kettenfeier entstehen. In welchem ausgedehnten Maße zahlreiche und wunder¬
same Gebäcke für ein bestimmtes Fest sich bildeten, lehren z. B. für das Oster¬
fest (d. h. das Fest, an welchem der Sonnenaufgang genau im Osten eintritt)




Gin Streifzug
in die Volksetymologie und Volksmythologie
Adolf Stölzel von

Die vorangegangenen Aufsätze über diese,, Gegenstand finden sich
in Heft 46, 47, 49 des Jahrgangs 1913 und in Heft 2 des laufenden
Jahrgangs.

7.

Ist das Ring- oder Kringel- oder Gringel-Gebäck „schon uralt", und diente
es als Nachbildung des Ringes, der ein Attribut des Sonnengottes war, dem
Gotte und seinen Priestern als Opferspeise, aber den Ackerern, die den Weizen als
das wertvollere und bessere Material für den Opferkuchen säeten, sowie den
Pferden ihres Pfluges und dem Ackerboden, den sie durchpflügten, als Mittel,
eine günstige Ernte herbeizuführen, so lag es gewiß nahe, auch dem anderen
Attribute des Gottes, seinen beiden Hörnern, zu Ehren ein Gebäck zu schaffen,
das diese beiden Hörner darstellte und mittels ihrer nicht nur an das dem
Sonnengotte gebührende Ningspeiseopfer, sondern auch an das aus dem Horne
ihm zu spendende Trankopfer erinnerte. Zwei Hörner ließen sich aber leicht
zu einem Gebäck vereinen, sobald man sie mit ihrer Basis zusammenfügte und
ihre Spitzen einander näherte. So entstand wiederum ein Ring, aber ein der
altbekannten torques ähnlicher offener Ring. Es war ein in zwei Enden aus-
laufendes Doppelhorn. Dieses hatte vor dem Ringe ^auch noch den Vorzug,
sowohl die beiden Hornmonate zu versinnbildlichen, in welche einerseits die
Sonnenwendzeit, anderseits die Zeit. des heidnischen Festes der Februa und
später die Zeit des christlichen Festes der Reinigung Mariä fiel, als da, wo
dies Fest, wie in Schlesien, auf Martini verlegt war, den einstigen Hörnern
des heiligen Martin ein Gedenken zu widmen, d. h. zum Martinshorn zu werden.
Sahen wir doch auch aus den heidnischen ksnae /mZusti die christliche Petri-
Kettenfeier entstehen. In welchem ausgedehnten Maße zahlreiche und wunder¬
same Gebäcke für ein bestimmtes Fest sich bildeten, lehren z. B. für das Oster¬
fest (d. h. das Fest, an welchem der Sonnenaufgang genau im Osten eintritt)


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[0372] [Abbildung] Gin Streifzug in die Volksetymologie und Volksmythologie Adolf Stölzel von Die vorangegangenen Aufsätze über diese,, Gegenstand finden sich in Heft 46, 47, 49 des Jahrgangs 1913 und in Heft 2 des laufenden Jahrgangs. 7. Ist das Ring- oder Kringel- oder Gringel-Gebäck „schon uralt", und diente es als Nachbildung des Ringes, der ein Attribut des Sonnengottes war, dem Gotte und seinen Priestern als Opferspeise, aber den Ackerern, die den Weizen als das wertvollere und bessere Material für den Opferkuchen säeten, sowie den Pferden ihres Pfluges und dem Ackerboden, den sie durchpflügten, als Mittel, eine günstige Ernte herbeizuführen, so lag es gewiß nahe, auch dem anderen Attribute des Gottes, seinen beiden Hörnern, zu Ehren ein Gebäck zu schaffen, das diese beiden Hörner darstellte und mittels ihrer nicht nur an das dem Sonnengotte gebührende Ningspeiseopfer, sondern auch an das aus dem Horne ihm zu spendende Trankopfer erinnerte. Zwei Hörner ließen sich aber leicht zu einem Gebäck vereinen, sobald man sie mit ihrer Basis zusammenfügte und ihre Spitzen einander näherte. So entstand wiederum ein Ring, aber ein der altbekannten torques ähnlicher offener Ring. Es war ein in zwei Enden aus- laufendes Doppelhorn. Dieses hatte vor dem Ringe ^auch noch den Vorzug, sowohl die beiden Hornmonate zu versinnbildlichen, in welche einerseits die Sonnenwendzeit, anderseits die Zeit. des heidnischen Festes der Februa und später die Zeit des christlichen Festes der Reinigung Mariä fiel, als da, wo dies Fest, wie in Schlesien, auf Martini verlegt war, den einstigen Hörnern des heiligen Martin ein Gedenken zu widmen, d. h. zum Martinshorn zu werden. Sahen wir doch auch aus den heidnischen ksnae /mZusti die christliche Petri- Kettenfeier entstehen. In welchem ausgedehnten Maße zahlreiche und wunder¬ same Gebäcke für ein bestimmtes Fest sich bildeten, lehren z. B. für das Oster¬ fest (d. h. das Fest, an welchem der Sonnenaufgang genau im Osten eintritt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/372>, abgerufen am 04.01.2025.