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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Aabinettsorder vom Jahre i>?98

der Abgeordnete Ledebur am 11. Februar 1910 dem Kriegsminister von Heeringen
gegenüber auf jene angebliche Äußerung Friedrich Wilhelms des Dritten, der
keine Ausnahmestellung seiner Offiziere dem Bürgerstande gegenüber geduldet
habe. Daß der Kriegsminister in der nächsten Sitzung des Reichstages zum
soundsovielsten Male die Echtheit jener Kabinettsorder widerlegte, ist selbst¬
verständlich; selbstverständlich scheint es aber auch zu fein, daß sie immer wieder
zu parteipolitischer Zwecken ausgebeutet werden wird.

Aus der Fülle der Geschichtswerke, die in gutem Glauben die Kabinetts¬
order brachten, seien nur einige als besonders interessante Belege angeführt.
Der evangelische Bischof und Potsdamer Hofprediger Eylert, der dem König
persönlich nahegestanden hatte, führt in seinem beinahe offiziös anmutenden
Werke "Charakter-Züge und historische Fragmente aus dem Leben des Königs
von Preußen Friedrich Wilhelms des Dritten" (Bd. 3. S. 113 f Magde¬
burg 1846) die Kabinettsorder vom 1. Januar 1798 an, "als ein wichtiges
Dokument, die es wohl verdient, in Erinnerung gebracht zu werden". In den
Auszügen aus den Tagebüchern Heinrich Eduard Kochhanns, der lange Jahre
hindurch Stadtverordnetenvorsteher und nachher Ehrenbürger von Berlin war,
eines typischen Vertreters des Bürgertums, findet sich bei den Erörterungen über
das anmaßende Betragen der preußischen Offiziere vor 1848 die Bemerkung:
"Die Kabinettsorder Friedrich Wilhelms des Dritten vom Jahre 1798, die den
Offizieren anbefahl, den Bürgern die schuldige Achtung zu erweisen, blieb
unbeachtet." (Bd. 3, S. 52.)

Die drakonische Bestimmung, daß zuwiderhandelnde Offiziere Todesstrafe
zu erwarten hätten, läßt auf den ersten Blick die Fälschung der Kabinettsorder
erkennen. Im übrigen muß man anerkennen, daß der Wortlaut außerordentlich
geschickt gefaßt ist; denn aus diesen Worten spricht tatsächlich der Geist jener
Zeit, auch die Stimmung des jungen Königs, der in den ersten Monaten seiner
Regierung von außerordentlicher Milde und Humanität seinen Untertanen gegen¬
über beseelt war. Es ist interessant, und der fingierten Kabinettsorder eine un¬
zweifelhaft echte Kabinettsorder zu vergleichen, die der König wenige Tage später,
am 7. Januar 1798 erlassen hatte. Ein winziges Städtchen in der Prignitz,
das heute nur 1473 Einwohner zählt. Freyenstein, weigerte seinem Grundherrn,
einem Herrn von Winterfeld, den schuldigen Bürgereid in der Befürchtung, der
Grundherr würde sie nicht als Bürger, sondern dann als Laßbauern behandeln.
In dritter und letzter Instanz hatte das hartnäckige Städtchen bereits seinen
Prozeß verloren. Das Kammergericht drang auf Exekution, in gewalttätiger
Weise wurde diese verhindert, schon hielt man Requirierung des Militärs aus
dem benachbarten Kyritz für nötig, doch wollte es der König noch einmal mit
Güte versuchen und erließ deshalb folgende Kabinettsorder:*)



") Zuerst abgedruckt in der "Staats- und Gelehrtenzeitung des Hamburgischen un-
partheyischen Korrespondenten", 30. Januar 1798 (Ur. 17); dann unter anderem in folgenden
Die Aabinettsorder vom Jahre i>?98

der Abgeordnete Ledebur am 11. Februar 1910 dem Kriegsminister von Heeringen
gegenüber auf jene angebliche Äußerung Friedrich Wilhelms des Dritten, der
keine Ausnahmestellung seiner Offiziere dem Bürgerstande gegenüber geduldet
habe. Daß der Kriegsminister in der nächsten Sitzung des Reichstages zum
soundsovielsten Male die Echtheit jener Kabinettsorder widerlegte, ist selbst¬
verständlich; selbstverständlich scheint es aber auch zu fein, daß sie immer wieder
zu parteipolitischer Zwecken ausgebeutet werden wird.

Aus der Fülle der Geschichtswerke, die in gutem Glauben die Kabinetts¬
order brachten, seien nur einige als besonders interessante Belege angeführt.
Der evangelische Bischof und Potsdamer Hofprediger Eylert, der dem König
persönlich nahegestanden hatte, führt in seinem beinahe offiziös anmutenden
Werke „Charakter-Züge und historische Fragmente aus dem Leben des Königs
von Preußen Friedrich Wilhelms des Dritten" (Bd. 3. S. 113 f Magde¬
burg 1846) die Kabinettsorder vom 1. Januar 1798 an, „als ein wichtiges
Dokument, die es wohl verdient, in Erinnerung gebracht zu werden". In den
Auszügen aus den Tagebüchern Heinrich Eduard Kochhanns, der lange Jahre
hindurch Stadtverordnetenvorsteher und nachher Ehrenbürger von Berlin war,
eines typischen Vertreters des Bürgertums, findet sich bei den Erörterungen über
das anmaßende Betragen der preußischen Offiziere vor 1848 die Bemerkung:
„Die Kabinettsorder Friedrich Wilhelms des Dritten vom Jahre 1798, die den
Offizieren anbefahl, den Bürgern die schuldige Achtung zu erweisen, blieb
unbeachtet." (Bd. 3, S. 52.)

Die drakonische Bestimmung, daß zuwiderhandelnde Offiziere Todesstrafe
zu erwarten hätten, läßt auf den ersten Blick die Fälschung der Kabinettsorder
erkennen. Im übrigen muß man anerkennen, daß der Wortlaut außerordentlich
geschickt gefaßt ist; denn aus diesen Worten spricht tatsächlich der Geist jener
Zeit, auch die Stimmung des jungen Königs, der in den ersten Monaten seiner
Regierung von außerordentlicher Milde und Humanität seinen Untertanen gegen¬
über beseelt war. Es ist interessant, und der fingierten Kabinettsorder eine un¬
zweifelhaft echte Kabinettsorder zu vergleichen, die der König wenige Tage später,
am 7. Januar 1798 erlassen hatte. Ein winziges Städtchen in der Prignitz,
das heute nur 1473 Einwohner zählt. Freyenstein, weigerte seinem Grundherrn,
einem Herrn von Winterfeld, den schuldigen Bürgereid in der Befürchtung, der
Grundherr würde sie nicht als Bürger, sondern dann als Laßbauern behandeln.
In dritter und letzter Instanz hatte das hartnäckige Städtchen bereits seinen
Prozeß verloren. Das Kammergericht drang auf Exekution, in gewalttätiger
Weise wurde diese verhindert, schon hielt man Requirierung des Militärs aus
dem benachbarten Kyritz für nötig, doch wollte es der König noch einmal mit
Güte versuchen und erließ deshalb folgende Kabinettsorder:*)



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partheyischen Korrespondenten", 30. Januar 1798 (Ur. 17); dann unter anderem in folgenden
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[0364] Die Aabinettsorder vom Jahre i>?98 der Abgeordnete Ledebur am 11. Februar 1910 dem Kriegsminister von Heeringen gegenüber auf jene angebliche Äußerung Friedrich Wilhelms des Dritten, der keine Ausnahmestellung seiner Offiziere dem Bürgerstande gegenüber geduldet habe. Daß der Kriegsminister in der nächsten Sitzung des Reichstages zum soundsovielsten Male die Echtheit jener Kabinettsorder widerlegte, ist selbst¬ verständlich; selbstverständlich scheint es aber auch zu fein, daß sie immer wieder zu parteipolitischer Zwecken ausgebeutet werden wird. Aus der Fülle der Geschichtswerke, die in gutem Glauben die Kabinetts¬ order brachten, seien nur einige als besonders interessante Belege angeführt. Der evangelische Bischof und Potsdamer Hofprediger Eylert, der dem König persönlich nahegestanden hatte, führt in seinem beinahe offiziös anmutenden Werke „Charakter-Züge und historische Fragmente aus dem Leben des Königs von Preußen Friedrich Wilhelms des Dritten" (Bd. 3. S. 113 f Magde¬ burg 1846) die Kabinettsorder vom 1. Januar 1798 an, „als ein wichtiges Dokument, die es wohl verdient, in Erinnerung gebracht zu werden". In den Auszügen aus den Tagebüchern Heinrich Eduard Kochhanns, der lange Jahre hindurch Stadtverordnetenvorsteher und nachher Ehrenbürger von Berlin war, eines typischen Vertreters des Bürgertums, findet sich bei den Erörterungen über das anmaßende Betragen der preußischen Offiziere vor 1848 die Bemerkung: „Die Kabinettsorder Friedrich Wilhelms des Dritten vom Jahre 1798, die den Offizieren anbefahl, den Bürgern die schuldige Achtung zu erweisen, blieb unbeachtet." (Bd. 3, S. 52.) Die drakonische Bestimmung, daß zuwiderhandelnde Offiziere Todesstrafe zu erwarten hätten, läßt auf den ersten Blick die Fälschung der Kabinettsorder erkennen. Im übrigen muß man anerkennen, daß der Wortlaut außerordentlich geschickt gefaßt ist; denn aus diesen Worten spricht tatsächlich der Geist jener Zeit, auch die Stimmung des jungen Königs, der in den ersten Monaten seiner Regierung von außerordentlicher Milde und Humanität seinen Untertanen gegen¬ über beseelt war. Es ist interessant, und der fingierten Kabinettsorder eine un¬ zweifelhaft echte Kabinettsorder zu vergleichen, die der König wenige Tage später, am 7. Januar 1798 erlassen hatte. Ein winziges Städtchen in der Prignitz, das heute nur 1473 Einwohner zählt. Freyenstein, weigerte seinem Grundherrn, einem Herrn von Winterfeld, den schuldigen Bürgereid in der Befürchtung, der Grundherr würde sie nicht als Bürger, sondern dann als Laßbauern behandeln. In dritter und letzter Instanz hatte das hartnäckige Städtchen bereits seinen Prozeß verloren. Das Kammergericht drang auf Exekution, in gewalttätiger Weise wurde diese verhindert, schon hielt man Requirierung des Militärs aus dem benachbarten Kyritz für nötig, doch wollte es der König noch einmal mit Güte versuchen und erließ deshalb folgende Kabinettsorder:*) ") Zuerst abgedruckt in der „Staats- und Gelehrtenzeitung des Hamburgischen un- partheyischen Korrespondenten", 30. Januar 1798 (Ur. 17); dann unter anderem in folgenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/364>, abgerufen am 04.01.2025.