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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Iwan Logginowitsch Goremykin

sich auf sie zu stützen und sie ihrerseits gegen die Willkür des Adels zu verteidigen. In¬
folgedessen gewöhnte sich der Polnische Bauer daran, an Stelle des Staates seinen Pan zu
sehen und als die Stunde des Zerfalls des polnischen Staates schlug, rührte sich der
Polnische Bauer nicht zu seiner Verteidigung. Diese Tatsache ist besonderer Aufmerksamkeit
wert..

Der Goremykin, dessen Anschauungen wir von 1869 an durch ein halbes
Jahrhundert an den Sitzungsberichten der hohen Regierungsbehörden, Komitees
und Kommissionen kontrollieren können, sieht somit ganz anders aus wie der,
den uns die Demokraten geschildert haben. Statt des gesinnungslosen Bureau¬
kraten oder gerissenen Advokaten ein tief und scharf nachdenkender Mann, der seinem
Ideal treu ist und mit Zähigkeit daran festhält, -- ein solcher also, wie ihn
sich die Trubetzkoj und Schipow und Stachowitsch eigentlich herbeisehnten. Da¬
bei auch keiner von denen, die mit ihren nationalen Empfindungen hausieren
gehen. Berührt da nicht das Folgende merkwürdig? AIs Herzenstein, der Kadetten¬
führer, die Worte sprach: "Es brennt, es gilt das Feuer zu löschen und löschen
kann man es nur durch Vergrößerung des bäuerlichen Landbesitzes!" da jubelten
ihm die Abgeordneten 'zu. Nachdem aber Goremykin erklärt hatte, der Ministerrat
werde nicht zögern, unverzüglich den Bedürfnissen der bäuerlichen Bevölkerung
Rechnung zu tragen, da schallte es zurück: Wie kommt ihr dazu?I Und
als schließlich Stolypin gemeinsam mit Kriwoschem tatkräftig an die Erfüllung
der bäuerlichen Wünsche nach Land ging, haben diejenigen, die früher am
lautesten nach Land riefen, um sich die Bauern gewogen zu machen, nun die
größten Schwierigkeiten gemacht und den Spruch umgedreht: erst Freiheit,
dann Landt

Es läßt sich noch nicht übersehen, ob Goremykins Absicht, die Bauern dem
russischen Staatsgedanken in dem Maße zu gewinnen, wie er es beabsichtigte,
gelungen ist. Eins ist zweifellos gelungen: als Folge des schnellen Ent¬
schlusses, der unerhörten Fixigkeit, mit der die Landordnuugskommissionen
bisher gearbeitet haben, haben die Bauern sich schnell daran gewöhnt, ihr
Heil wieder bei der Regierung, beim Zaren zu suchen, beim Zaren, der
Land gegeben hat und Freiheit, das ist Befreiung von dem Zwang des
Gemeinschaftsbesitzes*") und die genügt vorläufig den Bauern.




Welche Gründe den Zaren in erster Linie veranlaßt haben, gerade jetzt
wieder Goremykin an die Spitze der Regierung zu stellen, wird man nach dem
Gesagten begreifen, wenn man zunächst daran festhält, daß Goremykin auch




*) I. L. Goremykin "Skizzen aus der Geschichte der Bauern Polens". Se. Peters¬
burg 1869, S. 168 u. 169.
*") Näheres wolle man in dem interessanten Aufsatz von Professor or. Auhagen "Zur
Beurteilung der russischen Agrarreform" nachlesen. Rußlands Kultur und Volkswirtschaft.
Herausgegeben von Max Gering. G. I. Göschensche Verlagsbuchhandlung G. in. b. H,,
Berlin 1913.
Iwan Logginowitsch Goremykin

sich auf sie zu stützen und sie ihrerseits gegen die Willkür des Adels zu verteidigen. In¬
folgedessen gewöhnte sich der Polnische Bauer daran, an Stelle des Staates seinen Pan zu
sehen und als die Stunde des Zerfalls des polnischen Staates schlug, rührte sich der
Polnische Bauer nicht zu seiner Verteidigung. Diese Tatsache ist besonderer Aufmerksamkeit
wert..

Der Goremykin, dessen Anschauungen wir von 1869 an durch ein halbes
Jahrhundert an den Sitzungsberichten der hohen Regierungsbehörden, Komitees
und Kommissionen kontrollieren können, sieht somit ganz anders aus wie der,
den uns die Demokraten geschildert haben. Statt des gesinnungslosen Bureau¬
kraten oder gerissenen Advokaten ein tief und scharf nachdenkender Mann, der seinem
Ideal treu ist und mit Zähigkeit daran festhält, — ein solcher also, wie ihn
sich die Trubetzkoj und Schipow und Stachowitsch eigentlich herbeisehnten. Da¬
bei auch keiner von denen, die mit ihren nationalen Empfindungen hausieren
gehen. Berührt da nicht das Folgende merkwürdig? AIs Herzenstein, der Kadetten¬
führer, die Worte sprach: „Es brennt, es gilt das Feuer zu löschen und löschen
kann man es nur durch Vergrößerung des bäuerlichen Landbesitzes!" da jubelten
ihm die Abgeordneten 'zu. Nachdem aber Goremykin erklärt hatte, der Ministerrat
werde nicht zögern, unverzüglich den Bedürfnissen der bäuerlichen Bevölkerung
Rechnung zu tragen, da schallte es zurück: Wie kommt ihr dazu?I Und
als schließlich Stolypin gemeinsam mit Kriwoschem tatkräftig an die Erfüllung
der bäuerlichen Wünsche nach Land ging, haben diejenigen, die früher am
lautesten nach Land riefen, um sich die Bauern gewogen zu machen, nun die
größten Schwierigkeiten gemacht und den Spruch umgedreht: erst Freiheit,
dann Landt

Es läßt sich noch nicht übersehen, ob Goremykins Absicht, die Bauern dem
russischen Staatsgedanken in dem Maße zu gewinnen, wie er es beabsichtigte,
gelungen ist. Eins ist zweifellos gelungen: als Folge des schnellen Ent¬
schlusses, der unerhörten Fixigkeit, mit der die Landordnuugskommissionen
bisher gearbeitet haben, haben die Bauern sich schnell daran gewöhnt, ihr
Heil wieder bei der Regierung, beim Zaren zu suchen, beim Zaren, der
Land gegeben hat und Freiheit, das ist Befreiung von dem Zwang des
Gemeinschaftsbesitzes*") und die genügt vorläufig den Bauern.




Welche Gründe den Zaren in erster Linie veranlaßt haben, gerade jetzt
wieder Goremykin an die Spitze der Regierung zu stellen, wird man nach dem
Gesagten begreifen, wenn man zunächst daran festhält, daß Goremykin auch




*) I. L. Goremykin „Skizzen aus der Geschichte der Bauern Polens". Se. Peters¬
burg 1869, S. 168 u. 169.
*") Näheres wolle man in dem interessanten Aufsatz von Professor or. Auhagen „Zur
Beurteilung der russischen Agrarreform" nachlesen. Rußlands Kultur und Volkswirtschaft.
Herausgegeben von Max Gering. G. I. Göschensche Verlagsbuchhandlung G. in. b. H,,
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[0359] Iwan Logginowitsch Goremykin sich auf sie zu stützen und sie ihrerseits gegen die Willkür des Adels zu verteidigen. In¬ folgedessen gewöhnte sich der Polnische Bauer daran, an Stelle des Staates seinen Pan zu sehen und als die Stunde des Zerfalls des polnischen Staates schlug, rührte sich der Polnische Bauer nicht zu seiner Verteidigung. Diese Tatsache ist besonderer Aufmerksamkeit wert.. Der Goremykin, dessen Anschauungen wir von 1869 an durch ein halbes Jahrhundert an den Sitzungsberichten der hohen Regierungsbehörden, Komitees und Kommissionen kontrollieren können, sieht somit ganz anders aus wie der, den uns die Demokraten geschildert haben. Statt des gesinnungslosen Bureau¬ kraten oder gerissenen Advokaten ein tief und scharf nachdenkender Mann, der seinem Ideal treu ist und mit Zähigkeit daran festhält, — ein solcher also, wie ihn sich die Trubetzkoj und Schipow und Stachowitsch eigentlich herbeisehnten. Da¬ bei auch keiner von denen, die mit ihren nationalen Empfindungen hausieren gehen. Berührt da nicht das Folgende merkwürdig? AIs Herzenstein, der Kadetten¬ führer, die Worte sprach: „Es brennt, es gilt das Feuer zu löschen und löschen kann man es nur durch Vergrößerung des bäuerlichen Landbesitzes!" da jubelten ihm die Abgeordneten 'zu. Nachdem aber Goremykin erklärt hatte, der Ministerrat werde nicht zögern, unverzüglich den Bedürfnissen der bäuerlichen Bevölkerung Rechnung zu tragen, da schallte es zurück: Wie kommt ihr dazu?I Und als schließlich Stolypin gemeinsam mit Kriwoschem tatkräftig an die Erfüllung der bäuerlichen Wünsche nach Land ging, haben diejenigen, die früher am lautesten nach Land riefen, um sich die Bauern gewogen zu machen, nun die größten Schwierigkeiten gemacht und den Spruch umgedreht: erst Freiheit, dann Landt Es läßt sich noch nicht übersehen, ob Goremykins Absicht, die Bauern dem russischen Staatsgedanken in dem Maße zu gewinnen, wie er es beabsichtigte, gelungen ist. Eins ist zweifellos gelungen: als Folge des schnellen Ent¬ schlusses, der unerhörten Fixigkeit, mit der die Landordnuugskommissionen bisher gearbeitet haben, haben die Bauern sich schnell daran gewöhnt, ihr Heil wieder bei der Regierung, beim Zaren zu suchen, beim Zaren, der Land gegeben hat und Freiheit, das ist Befreiung von dem Zwang des Gemeinschaftsbesitzes*") und die genügt vorläufig den Bauern. Welche Gründe den Zaren in erster Linie veranlaßt haben, gerade jetzt wieder Goremykin an die Spitze der Regierung zu stellen, wird man nach dem Gesagten begreifen, wenn man zunächst daran festhält, daß Goremykin auch *) I. L. Goremykin „Skizzen aus der Geschichte der Bauern Polens". Se. Peters¬ burg 1869, S. 168 u. 169. *") Näheres wolle man in dem interessanten Aufsatz von Professor or. Auhagen „Zur Beurteilung der russischen Agrarreform" nachlesen. Rußlands Kultur und Volkswirtschaft. Herausgegeben von Max Gering. G. I. Göschensche Verlagsbuchhandlung G. in. b. H,, Berlin 1913.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/359>, abgerufen am 01.01.2025.