Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Iwan Logginowitsch Goremykin während der abgelaufenen acht Jahre ständig autoritativer Berater der Re¬ Gelingt aber wenigstens die Sammlung der Nationalrussen für friedliche Arbeit Iwan Logginowitsch Goremykin während der abgelaufenen acht Jahre ständig autoritativer Berater der Re¬ Gelingt aber wenigstens die Sammlung der Nationalrussen für friedliche Arbeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0360" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327826"/> <fw type="header" place="top"> Iwan Logginowitsch Goremykin</fw><lb/> <p xml:id="ID_1697" prev="#ID_1696"> während der abgelaufenen acht Jahre ständig autoritativer Berater der Re¬<lb/> gierung geblieben ist, und daß nun der Augenblick eingetreten ist, wo die innere<lb/> Entwicklung es erheischt zum nächsten Punkt von Goremykins alten Erneuerungs¬<lb/> programm zu schreiten. Die Bauern sind einstweilen wirtschaftlich befriedigt.<lb/> Jetzt gilt es, sie als Bauernstand zusammenzufassen und ihnen die gleichen Rechte<lb/> einzuräumen, wie sie die anderen Stände: Adel, Bürger, Kaufmann, Handwerker<lb/> genießen, das ist: Gleichstellung vor dem Gesetz, aber auf ständischer Grund¬<lb/> lage, die es ermöglicht, die Bauern durch ihre eigenen ständischen Organe<lb/> in direkte Verbindung mit dem Staatsoberhaupt treten zu lassen. Man<lb/> darf sich überzeugt halten, daß Goremykin ehrlich bestrebt sein wird, die<lb/> notwendigen Gesetze mit Hilfe der Duma zustande zu bringen. Aber kaum<lb/> wird er sich eine liberale Verwaltungsreform oder die Wiederaufnahme der<lb/> Kirchenreform aufdrängen lassen. Daher dürfte sein und seiner Mitarbeiter<lb/> nächstes Bestreben sein, das russische Element zu sammeln. Wieweit<lb/> ihm solches gelingen wird, läßt sich noch nicht übersehen: die Liberalen stehen<lb/> immer noch schmollend beiseite und denken an die Rückwirkungen solcher<lb/> nationalrussischen Politik auf Polen, Juden, Armenier, Letten und Ehlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1698"> Gelingt aber wenigstens die Sammlung der Nationalrussen für friedliche Arbeit<lb/> mit friedlichen Mitteln? Das ist schon eine Frage, deren Beantwortung über<lb/> den Rahmen meiner Aufgabe hinausgehen würde. Aber eins bleibt doch zu<lb/> erwägen: sollte Goremykin, der sein ganzes Leben hindurch geduldig hat warten<lb/> können bis die ihm am Herzen liegenden Fragen heranreiften, der niemals den<lb/> Ehrgeiz verraten hat, die Lösung der einen oder anderen Aufgabe mit seinem<lb/> Namen zu verknüpfen, sollte dieser Goremykin, der heute fünfundsiebzig Jahre<lb/> alt ist, sich wirklich drängen lassen, die Zukunft des sich erneuernden Rußland<lb/> aufs Spiel zu setzen durch einen großen Krieg, in dessen Gefolge die Revolution<lb/> stehen würde? Stolypin ist vor dem fanatischen Nationalismus der echt<lb/> russischen Männer zurückgewichen, Kokowzow hat ihnen keinen Einhalt gebieten<lb/> können, — wird Goremykin, der Jünger Tscherkasskis, es können und wollen?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0360]
Iwan Logginowitsch Goremykin
während der abgelaufenen acht Jahre ständig autoritativer Berater der Re¬
gierung geblieben ist, und daß nun der Augenblick eingetreten ist, wo die innere
Entwicklung es erheischt zum nächsten Punkt von Goremykins alten Erneuerungs¬
programm zu schreiten. Die Bauern sind einstweilen wirtschaftlich befriedigt.
Jetzt gilt es, sie als Bauernstand zusammenzufassen und ihnen die gleichen Rechte
einzuräumen, wie sie die anderen Stände: Adel, Bürger, Kaufmann, Handwerker
genießen, das ist: Gleichstellung vor dem Gesetz, aber auf ständischer Grund¬
lage, die es ermöglicht, die Bauern durch ihre eigenen ständischen Organe
in direkte Verbindung mit dem Staatsoberhaupt treten zu lassen. Man
darf sich überzeugt halten, daß Goremykin ehrlich bestrebt sein wird, die
notwendigen Gesetze mit Hilfe der Duma zustande zu bringen. Aber kaum
wird er sich eine liberale Verwaltungsreform oder die Wiederaufnahme der
Kirchenreform aufdrängen lassen. Daher dürfte sein und seiner Mitarbeiter
nächstes Bestreben sein, das russische Element zu sammeln. Wieweit
ihm solches gelingen wird, läßt sich noch nicht übersehen: die Liberalen stehen
immer noch schmollend beiseite und denken an die Rückwirkungen solcher
nationalrussischen Politik auf Polen, Juden, Armenier, Letten und Ehlen.
Gelingt aber wenigstens die Sammlung der Nationalrussen für friedliche Arbeit
mit friedlichen Mitteln? Das ist schon eine Frage, deren Beantwortung über
den Rahmen meiner Aufgabe hinausgehen würde. Aber eins bleibt doch zu
erwägen: sollte Goremykin, der sein ganzes Leben hindurch geduldig hat warten
können bis die ihm am Herzen liegenden Fragen heranreiften, der niemals den
Ehrgeiz verraten hat, die Lösung der einen oder anderen Aufgabe mit seinem
Namen zu verknüpfen, sollte dieser Goremykin, der heute fünfundsiebzig Jahre
alt ist, sich wirklich drängen lassen, die Zukunft des sich erneuernden Rußland
aufs Spiel zu setzen durch einen großen Krieg, in dessen Gefolge die Revolution
stehen würde? Stolypin ist vor dem fanatischen Nationalismus der echt
russischen Männer zurückgewichen, Kokowzow hat ihnen keinen Einhalt gebieten
können, — wird Goremykin, der Jünger Tscherkasskis, es können und wollen?
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