Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Iwan Loggmowitsch Goremykin Stelle und russische Eigenart ist ihm die Verkörperung höchsten Menschentums. Durch diese Auffassungen ist auch seine Stellung einmal zur Bauernschaft, Blättert man heute in den Protokollen der besondern Agrarkommission Wenige Politiker können sich rühmen, länger als ein halbes Menschenalter sEr ist dazu nicht, wie ihm von den Demokraten nachgesagt wird, durch die Routine "Der wichtigste dieser äußeren Gründe, schreibt Goremykin, aus der sich alle anderen Iwan Loggmowitsch Goremykin Stelle und russische Eigenart ist ihm die Verkörperung höchsten Menschentums. Durch diese Auffassungen ist auch seine Stellung einmal zur Bauernschaft, Blättert man heute in den Protokollen der besondern Agrarkommission Wenige Politiker können sich rühmen, länger als ein halbes Menschenalter sEr ist dazu nicht, wie ihm von den Demokraten nachgesagt wird, durch die Routine „Der wichtigste dieser äußeren Gründe, schreibt Goremykin, aus der sich alle anderen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327824"/> <fw type="header" place="top"> Iwan Loggmowitsch Goremykin</fw><lb/> <p xml:id="ID_1687" prev="#ID_1686"> Stelle und russische Eigenart ist ihm die Verkörperung höchsten Menschentums.<lb/> Er wurzelt mit seinen Anschauungen durchaus in den Dogmen jener Slawjano-<lb/> philen, die ich an anderer Stelle als „entartete" näher gekennzeichnet habe<lb/> und die, wie Katkow und TscherkaM, den großrussischen Stamm als den festen<lb/> Kern des gesamten Slawentums hinstellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1688"> Durch diese Auffassungen ist auch seine Stellung einmal zur Bauernschaft,<lb/> zur orthodoxen Kirche und zu den Problemen der europäischen Politik gegeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1689"> Blättert man heute in den Protokollen der besondern Agrarkommission<lb/> von 1904/S, so findet man in den Reden Goremnkins immer das Leitmotiv<lb/> wieder: den Bauern zum Staate, also zum Throne des Selbstherrschers zu sühren.<lb/> Eifersüchtig wacht er darüber, daß niemand sich als Wohltäter der Bauern<lb/> zwischen diese und den Zaren dränge; die Regierung des Selbstherrschers<lb/> müsse es machen. Darum ist für ihn auch stets Ausgangspunkt jeder<lb/> Bauernreform der Ukas vom 19. Februar 1861 und geschickt weiß er in seinen<lb/> Darlegungen immer an die Bestimmungen dieses „Gnadenaktes des Zar-Befreiers"<lb/> anzuknüpfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1690"> Wenige Politiker können sich rühmen, länger als ein halbes Menschenalter<lb/> an einer Anschauung festgehalten zu haben, die schließlich doch nur auf wandel¬<lb/> baren Fundamenten ruhen kann. Goremykin hat fein ganzes Leben die An¬<lb/> schauung vertreten, daß Rußland nur bestehen könne, wenn es gelingt, die<lb/> breite Masse der bäuerlichen Schichten zu staatlichem Bewußtsein zu erwecken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1691"> sEr ist dazu nicht, wie ihm von den Demokraten nachgesagt wird, durch die Routine<lb/> des Bureaukraten, der sich die Geschäfte erleichtern will, gekommen. Ein gründliches Studium<lb/> über die Geschichte der Bauern hat ihn dazu geführt. Als Bauernkommissar in Sjedletz<lb/> verfaßte er, um sich über die national-Politische Bedeutung der Polnischen Bauern Rechenschaft<lb/> zu geben, eine Arbeit, die 1369 erschienen ist. Dort sucht er nachzuweisen, wie der Mangel<lb/> eines Zusammenhanges zwischen Staat und Bauernschaft den letzten Grund für den inneren<lb/> Zusammenbruch des Polnischen Staates gebildet habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1692" next="#ID_1693"> „Der wichtigste dieser äußeren Gründe, schreibt Goremykin, aus der sich alle anderen<lb/> entwickelten, war der Einfluß des benachbarten Deutschlands, das Polen einige seiner staat¬<lb/> lichen Prinzipien aufdrängte. Unter diesen war das Verhängnisvollste die Bildung einer dem<lb/> slawischen Volke durchaus nicht gemäßen Aristokratie in Polen, die ihrerseits die Festigung<lb/> seiner mächtigen Obergewalt unmöglich machte. Bei der Einführung dieser deutschen<lb/> Begriffe in das Leben und die Sitten Polens war der Katholizismus eine der haupt¬<lb/> sächlichsten Waffen; der polnische Staat löste sich immer mehr von seinem völkischen,<lb/> slawischen Mutterboden und wurde schließlich zu einer eigentümlichen aristokratischen<lb/> Republik, die eine Mischung von deutschem Aristokratismus mit slawischer Gleichheit ver¬<lb/> körperte. In gleichem Maße aber wie die oberen Schichten des Polnischen Volkes<lb/> die Staatsgeschäfte Polens besorgten, wozu sie sich das ausschließliche Recht angeeignet<lb/> hatten, begann die Landbevölkerung, nach einigen mißlungenen Versuchen die Anerkennung<lb/> ihrer Rechte zu erlangen, sich ihnen gegenüber wenn nicht feindselig, so doch völlig gleich¬<lb/> gültig zu verhalten; in dieser Beziehung ist die Geschichte der polnischen Bauernschaft ein so<lb/> lehrreiches Beispiel, wie es sich in der Geschichte der Bauernschaft keines anderen europäischen<lb/> Staates findet. In den Augen des Bauern ist die wahrhafte Verkörperung des Staates,<lb/> seine Stütze und sein Schutz die Obergewalt; diese Macht war aber in Polen so schwach<lb/> daß sie niemals imstande war, die verstreuten Massen der Bauernschaft um sich zu scharen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0358]
Iwan Loggmowitsch Goremykin
Stelle und russische Eigenart ist ihm die Verkörperung höchsten Menschentums.
Er wurzelt mit seinen Anschauungen durchaus in den Dogmen jener Slawjano-
philen, die ich an anderer Stelle als „entartete" näher gekennzeichnet habe
und die, wie Katkow und TscherkaM, den großrussischen Stamm als den festen
Kern des gesamten Slawentums hinstellen.
Durch diese Auffassungen ist auch seine Stellung einmal zur Bauernschaft,
zur orthodoxen Kirche und zu den Problemen der europäischen Politik gegeben.
Blättert man heute in den Protokollen der besondern Agrarkommission
von 1904/S, so findet man in den Reden Goremnkins immer das Leitmotiv
wieder: den Bauern zum Staate, also zum Throne des Selbstherrschers zu sühren.
Eifersüchtig wacht er darüber, daß niemand sich als Wohltäter der Bauern
zwischen diese und den Zaren dränge; die Regierung des Selbstherrschers
müsse es machen. Darum ist für ihn auch stets Ausgangspunkt jeder
Bauernreform der Ukas vom 19. Februar 1861 und geschickt weiß er in seinen
Darlegungen immer an die Bestimmungen dieses „Gnadenaktes des Zar-Befreiers"
anzuknüpfen.
Wenige Politiker können sich rühmen, länger als ein halbes Menschenalter
an einer Anschauung festgehalten zu haben, die schließlich doch nur auf wandel¬
baren Fundamenten ruhen kann. Goremykin hat fein ganzes Leben die An¬
schauung vertreten, daß Rußland nur bestehen könne, wenn es gelingt, die
breite Masse der bäuerlichen Schichten zu staatlichem Bewußtsein zu erwecken.
sEr ist dazu nicht, wie ihm von den Demokraten nachgesagt wird, durch die Routine
des Bureaukraten, der sich die Geschäfte erleichtern will, gekommen. Ein gründliches Studium
über die Geschichte der Bauern hat ihn dazu geführt. Als Bauernkommissar in Sjedletz
verfaßte er, um sich über die national-Politische Bedeutung der Polnischen Bauern Rechenschaft
zu geben, eine Arbeit, die 1369 erschienen ist. Dort sucht er nachzuweisen, wie der Mangel
eines Zusammenhanges zwischen Staat und Bauernschaft den letzten Grund für den inneren
Zusammenbruch des Polnischen Staates gebildet habe.
„Der wichtigste dieser äußeren Gründe, schreibt Goremykin, aus der sich alle anderen
entwickelten, war der Einfluß des benachbarten Deutschlands, das Polen einige seiner staat¬
lichen Prinzipien aufdrängte. Unter diesen war das Verhängnisvollste die Bildung einer dem
slawischen Volke durchaus nicht gemäßen Aristokratie in Polen, die ihrerseits die Festigung
seiner mächtigen Obergewalt unmöglich machte. Bei der Einführung dieser deutschen
Begriffe in das Leben und die Sitten Polens war der Katholizismus eine der haupt¬
sächlichsten Waffen; der polnische Staat löste sich immer mehr von seinem völkischen,
slawischen Mutterboden und wurde schließlich zu einer eigentümlichen aristokratischen
Republik, die eine Mischung von deutschem Aristokratismus mit slawischer Gleichheit ver¬
körperte. In gleichem Maße aber wie die oberen Schichten des Polnischen Volkes
die Staatsgeschäfte Polens besorgten, wozu sie sich das ausschließliche Recht angeeignet
hatten, begann die Landbevölkerung, nach einigen mißlungenen Versuchen die Anerkennung
ihrer Rechte zu erlangen, sich ihnen gegenüber wenn nicht feindselig, so doch völlig gleich¬
gültig zu verhalten; in dieser Beziehung ist die Geschichte der polnischen Bauernschaft ein so
lehrreiches Beispiel, wie es sich in der Geschichte der Bauernschaft keines anderen europäischen
Staates findet. In den Augen des Bauern ist die wahrhafte Verkörperung des Staates,
seine Stütze und sein Schutz die Obergewalt; diese Macht war aber in Polen so schwach
daß sie niemals imstande war, die verstreuten Massen der Bauernschaft um sich zu scharen,
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