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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Iwan Logginoroitsch Goremykin

kratie geführt wurde, und traf entsprechend fehlerhafte Dispositionen für die
Duma. Man wußte nicht, daß Witte es verstanden hatte, dem Zaren das
Oktobermanifest unter der Vorspiegelung der Tatsache abzuringen, daß seine
Selbstherrlichkeit in Nichts angetastet sei; man glaubte, auch der Zar habe sich
mit der Einführung eines konstitutionellen Systems in Rußland abgefunden und
ging nun daran das monarchisch-konstitutionelle System zu einem parla¬
mentarischen umzugestalten. Wenn der Verherrlicher des russischen Proletariats
N. Trotzky*) schreibt, "in die heilige Krone des zarischen Absolutismus ist die
Spur des Proletarierstiefels unverwischbar eingegraben", so ist das zwar nicht
sehr geschmackvoll ausgedrückt, aber es entspricht doch der Auffassung, die bis tief
in die Reihen der liberalen Oktobermänner geteilt wurde. Des Grafen Witte,
der eitel und öffentlicher Schmeichelei ebenso zugänglich war, wie er vor
energischen Vorstoßen zurückwich, glaubte die demokratische Mehrheit im Lande
sicher zu sein, nachdem er sich im Oktober 1905 durch den Eisenbahnstreik und
das kühne Auftreten des Arbeiterdelegiertenrats hatte in das Boxhorn jagen
lassen. Man rechnete bestimmt damit, Witte werde, ebenso wie er dem
Drängen eines Chrustaljow nachgab, auch vor der Volksvertretung zurückweichen
und aus den Reihen der Dumaabgeordneten ein Kabinett bilden. Mit dieser
Möglichkeit aber rechnete auch der Zar. Anscheinend Schwanebach, der spätere
Reichskontrolleur, ein in der Vorgeschichte der großen französischen Revolution
höchst bewanderter Mann, hatte ihn auf die Ähnlichkeit der Haltung Wildes mit
der des charakterlosen Necker aufmerksam gemacht.

Der Zar handelte entsprechend. Er erinnerte sich des Mannes, den ihm
Pobjedonostzew zehn Jahre zuvor als einen streng orthodoxen Russen und Ver¬
fechter des selbstherrlichen Zarentums geschildert und warm empfohlen hatte, als
es seinerzeit galt Durnowo durch eine durchaus zuverlässige Kraft zu ersetzen:
Goremykin. Und Iwan Logginowitsch folgte dem Rufe feines Kaiser¬
lichen Herrn, um der zarischen Autorität zurückzuerobern, was noch zu erobern war.

Witte ward kalt gestellt. Aber die "Tirana", das Blatt des Petersburger
Historikers M. M. Kowalewski, begrüßte den neuen Ministerpräsidenten mit den
Worten: "Goremykin ist nicht einfach ein Name, das ist ein Feldzeichen der
Feindschaft, der hartnäckigsten Feindschaft gegen die Freiheit. Das ist kein
Zufallsheld der Bedrückung, das ist ihre tatkräftige Seele, ihr Praktiker. Für
Leute dieser Schule ist die Duma ein Übel und noch dazu kein notwendiges
Übel, sondern im Gegenteil ein solches, das zu umgehen ist und ausgerottet
werden muß." So beurteilte die gesamte öffentliche Meinung in Rußland den
neuen Ministerpräsidenten und noch ehe er einen Schritt auf der politischen
Bühne getan hatte, war er ausgepfiffen und diskreditiert. Vom Standpunkt der
nichtrussischen Demokratie, die das Russentum nicht zur Besinnung kommen
lassen durfte, ganz recht, vom Standpunkt derer, denen wirklich an einer inneren



") N. Trotzky, Nußland in der Revolution, Verlag Kaden u. Comp,, Dresden, mit zu¬
meist guten Illustrationen. S. 97.
Iwan Logginoroitsch Goremykin

kratie geführt wurde, und traf entsprechend fehlerhafte Dispositionen für die
Duma. Man wußte nicht, daß Witte es verstanden hatte, dem Zaren das
Oktobermanifest unter der Vorspiegelung der Tatsache abzuringen, daß seine
Selbstherrlichkeit in Nichts angetastet sei; man glaubte, auch der Zar habe sich
mit der Einführung eines konstitutionellen Systems in Rußland abgefunden und
ging nun daran das monarchisch-konstitutionelle System zu einem parla¬
mentarischen umzugestalten. Wenn der Verherrlicher des russischen Proletariats
N. Trotzky*) schreibt, „in die heilige Krone des zarischen Absolutismus ist die
Spur des Proletarierstiefels unverwischbar eingegraben", so ist das zwar nicht
sehr geschmackvoll ausgedrückt, aber es entspricht doch der Auffassung, die bis tief
in die Reihen der liberalen Oktobermänner geteilt wurde. Des Grafen Witte,
der eitel und öffentlicher Schmeichelei ebenso zugänglich war, wie er vor
energischen Vorstoßen zurückwich, glaubte die demokratische Mehrheit im Lande
sicher zu sein, nachdem er sich im Oktober 1905 durch den Eisenbahnstreik und
das kühne Auftreten des Arbeiterdelegiertenrats hatte in das Boxhorn jagen
lassen. Man rechnete bestimmt damit, Witte werde, ebenso wie er dem
Drängen eines Chrustaljow nachgab, auch vor der Volksvertretung zurückweichen
und aus den Reihen der Dumaabgeordneten ein Kabinett bilden. Mit dieser
Möglichkeit aber rechnete auch der Zar. Anscheinend Schwanebach, der spätere
Reichskontrolleur, ein in der Vorgeschichte der großen französischen Revolution
höchst bewanderter Mann, hatte ihn auf die Ähnlichkeit der Haltung Wildes mit
der des charakterlosen Necker aufmerksam gemacht.

Der Zar handelte entsprechend. Er erinnerte sich des Mannes, den ihm
Pobjedonostzew zehn Jahre zuvor als einen streng orthodoxen Russen und Ver¬
fechter des selbstherrlichen Zarentums geschildert und warm empfohlen hatte, als
es seinerzeit galt Durnowo durch eine durchaus zuverlässige Kraft zu ersetzen:
Goremykin. Und Iwan Logginowitsch folgte dem Rufe feines Kaiser¬
lichen Herrn, um der zarischen Autorität zurückzuerobern, was noch zu erobern war.

Witte ward kalt gestellt. Aber die „Tirana", das Blatt des Petersburger
Historikers M. M. Kowalewski, begrüßte den neuen Ministerpräsidenten mit den
Worten: „Goremykin ist nicht einfach ein Name, das ist ein Feldzeichen der
Feindschaft, der hartnäckigsten Feindschaft gegen die Freiheit. Das ist kein
Zufallsheld der Bedrückung, das ist ihre tatkräftige Seele, ihr Praktiker. Für
Leute dieser Schule ist die Duma ein Übel und noch dazu kein notwendiges
Übel, sondern im Gegenteil ein solches, das zu umgehen ist und ausgerottet
werden muß." So beurteilte die gesamte öffentliche Meinung in Rußland den
neuen Ministerpräsidenten und noch ehe er einen Schritt auf der politischen
Bühne getan hatte, war er ausgepfiffen und diskreditiert. Vom Standpunkt der
nichtrussischen Demokratie, die das Russentum nicht zur Besinnung kommen
lassen durfte, ganz recht, vom Standpunkt derer, denen wirklich an einer inneren



") N. Trotzky, Nußland in der Revolution, Verlag Kaden u. Comp,, Dresden, mit zu¬
meist guten Illustrationen. S. 97.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/355>, abgerufen am 04.01.2025.