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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

die Kulisse für die Arbeit anderer: für Stolypin, damals Minister des Innern,
und für Gurko, den Landwirtschaftsminister. Goremykin selbst ist nur wenig
hervorgetreten. Seine erste große Rede in der neuen Duma, die er meist
ablas, zeigte nicht, daß hinter diesem Programm der Regierung auch der Mann
stand, von dem es vorgetragen wurde. Das Mißtrauensvotum, das die Duma
ihm damals bescherte, hatte somit auch nichts zu bedeuten.

Man hüte sich vor allen Dingen, Goremykin als einen Deutschenfreund zu
reklamieren, weil er aus dem konservativen Kreise des russischen Adels stammte.
Das Argument ist so verfehlt wie nur irgend möglich. Wirtschaftlich stehen
diese Kreise unserer Zollpolitik feindlich gegenüber; politisch waren sie Freunde
Preußens nur so lange, als dieses im Gegensatz zu Österreich stand; Freunde
des geeinten Deutschen Reiches, das obendrein noch den Bund mit Österreich-
Ungarn schloß, konnten sie nie und nimmer werden. So war es denn auch
eine ganz natürliche Erscheinung, daß die Annäherung an Frankreich (schon
18711) von diesen "konservativen" Kreisen empfohlen wurde, daß in diesen
"konservativen" Kreisen der hauptsächlichste Widerstand gegen das Dreikaiser¬
bündnis aufwuchs, und daß diese "Konservativen" es waren, die die gesamte
deutschfeindliche Politik solange gestärkt haben, bis die Verbindung mit Frank¬
reich hergestellt war. Was wir an deutschfreundlicher Politik in Nußland sehen,
ist ein Ausfluß der persönlichen Gesinnung, die die einzelnen Zaren den Königen
von Preußen entgegenbringen. Unsere Freundschaft mit Rußland seit der Reichs¬
gründung beruhte fast ausschließlich auf der Freundschaft der Monarchen und
auf den Diensten, die besonders Preußen der russischen Dynastie in den schweren
Krisen geleistet hat. Wenn Nikolaus der Zweite heute noch Kaiser von Ru߬
land ist. so hat die Haltung Deutschlands während der letzten revolutionären
Krise ihr großes Verdienst daran. Sie ging nicht, wie Herr Ssasonow kürzlich
in der Haushaltskommission sagte, darauf aus, die Notlage Rußlands zu nutzen.
Deutschland hat vielmehr durch seine unzweideutige Stellungnahme für Rußland
im Jahre 1905 und 1906 den Aufstand in Polen und Litauen verhindert.
Solange die Zaren selbstherrlich regierten, vermochte ihr Einfluß selbst gegen die
Stimmung der russischen Machthaber eine deutschfreundliche Politik durchzu¬
setzen. Der zweite und dritte Alexander bieten dafür den besten Beleg. Heute
sieht die Sache ganz anders aus. Das Volk regiert mit, und seine wirklichen
Führer, nicht die Westler, haben durch Parlament und Presse, am meisten aber
durch den Reichsrat, einen Einfluß gewonnen, der denjenigen des Hofes auf
ein Minimum zurückdrängt. Unter diesen historischen Gesichtspunkt gestellt, muß
auch die Ernennung Goremykins zunächst als ein Sieg der konservativen
Moskowiterpartei betrachtet werden.

Wohin aber die Reise der russischen Politik gehen soll, davon wird man
sich erst ein Bild machen können, wenn die Namen der neuen Männer bekannt
sein werden, die Herr Goremykin in sein Kabinett bekommt, -- dann wird sich
auch entscheiden, ob die auswärtige Politik, ob die Finanz- und Wirtschafts-


Reichsspiegel

die Kulisse für die Arbeit anderer: für Stolypin, damals Minister des Innern,
und für Gurko, den Landwirtschaftsminister. Goremykin selbst ist nur wenig
hervorgetreten. Seine erste große Rede in der neuen Duma, die er meist
ablas, zeigte nicht, daß hinter diesem Programm der Regierung auch der Mann
stand, von dem es vorgetragen wurde. Das Mißtrauensvotum, das die Duma
ihm damals bescherte, hatte somit auch nichts zu bedeuten.

Man hüte sich vor allen Dingen, Goremykin als einen Deutschenfreund zu
reklamieren, weil er aus dem konservativen Kreise des russischen Adels stammte.
Das Argument ist so verfehlt wie nur irgend möglich. Wirtschaftlich stehen
diese Kreise unserer Zollpolitik feindlich gegenüber; politisch waren sie Freunde
Preußens nur so lange, als dieses im Gegensatz zu Österreich stand; Freunde
des geeinten Deutschen Reiches, das obendrein noch den Bund mit Österreich-
Ungarn schloß, konnten sie nie und nimmer werden. So war es denn auch
eine ganz natürliche Erscheinung, daß die Annäherung an Frankreich (schon
18711) von diesen „konservativen" Kreisen empfohlen wurde, daß in diesen
„konservativen" Kreisen der hauptsächlichste Widerstand gegen das Dreikaiser¬
bündnis aufwuchs, und daß diese „Konservativen" es waren, die die gesamte
deutschfeindliche Politik solange gestärkt haben, bis die Verbindung mit Frank¬
reich hergestellt war. Was wir an deutschfreundlicher Politik in Nußland sehen,
ist ein Ausfluß der persönlichen Gesinnung, die die einzelnen Zaren den Königen
von Preußen entgegenbringen. Unsere Freundschaft mit Rußland seit der Reichs¬
gründung beruhte fast ausschließlich auf der Freundschaft der Monarchen und
auf den Diensten, die besonders Preußen der russischen Dynastie in den schweren
Krisen geleistet hat. Wenn Nikolaus der Zweite heute noch Kaiser von Ru߬
land ist. so hat die Haltung Deutschlands während der letzten revolutionären
Krise ihr großes Verdienst daran. Sie ging nicht, wie Herr Ssasonow kürzlich
in der Haushaltskommission sagte, darauf aus, die Notlage Rußlands zu nutzen.
Deutschland hat vielmehr durch seine unzweideutige Stellungnahme für Rußland
im Jahre 1905 und 1906 den Aufstand in Polen und Litauen verhindert.
Solange die Zaren selbstherrlich regierten, vermochte ihr Einfluß selbst gegen die
Stimmung der russischen Machthaber eine deutschfreundliche Politik durchzu¬
setzen. Der zweite und dritte Alexander bieten dafür den besten Beleg. Heute
sieht die Sache ganz anders aus. Das Volk regiert mit, und seine wirklichen
Führer, nicht die Westler, haben durch Parlament und Presse, am meisten aber
durch den Reichsrat, einen Einfluß gewonnen, der denjenigen des Hofes auf
ein Minimum zurückdrängt. Unter diesen historischen Gesichtspunkt gestellt, muß
auch die Ernennung Goremykins zunächst als ein Sieg der konservativen
Moskowiterpartei betrachtet werden.

Wohin aber die Reise der russischen Politik gehen soll, davon wird man
sich erst ein Bild machen können, wenn die Namen der neuen Männer bekannt
sein werden, die Herr Goremykin in sein Kabinett bekommt, — dann wird sich
auch entscheiden, ob die auswärtige Politik, ob die Finanz- und Wirtschafts-


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[0342] Reichsspiegel die Kulisse für die Arbeit anderer: für Stolypin, damals Minister des Innern, und für Gurko, den Landwirtschaftsminister. Goremykin selbst ist nur wenig hervorgetreten. Seine erste große Rede in der neuen Duma, die er meist ablas, zeigte nicht, daß hinter diesem Programm der Regierung auch der Mann stand, von dem es vorgetragen wurde. Das Mißtrauensvotum, das die Duma ihm damals bescherte, hatte somit auch nichts zu bedeuten. Man hüte sich vor allen Dingen, Goremykin als einen Deutschenfreund zu reklamieren, weil er aus dem konservativen Kreise des russischen Adels stammte. Das Argument ist so verfehlt wie nur irgend möglich. Wirtschaftlich stehen diese Kreise unserer Zollpolitik feindlich gegenüber; politisch waren sie Freunde Preußens nur so lange, als dieses im Gegensatz zu Österreich stand; Freunde des geeinten Deutschen Reiches, das obendrein noch den Bund mit Österreich- Ungarn schloß, konnten sie nie und nimmer werden. So war es denn auch eine ganz natürliche Erscheinung, daß die Annäherung an Frankreich (schon 18711) von diesen „konservativen" Kreisen empfohlen wurde, daß in diesen „konservativen" Kreisen der hauptsächlichste Widerstand gegen das Dreikaiser¬ bündnis aufwuchs, und daß diese „Konservativen" es waren, die die gesamte deutschfeindliche Politik solange gestärkt haben, bis die Verbindung mit Frank¬ reich hergestellt war. Was wir an deutschfreundlicher Politik in Nußland sehen, ist ein Ausfluß der persönlichen Gesinnung, die die einzelnen Zaren den Königen von Preußen entgegenbringen. Unsere Freundschaft mit Rußland seit der Reichs¬ gründung beruhte fast ausschließlich auf der Freundschaft der Monarchen und auf den Diensten, die besonders Preußen der russischen Dynastie in den schweren Krisen geleistet hat. Wenn Nikolaus der Zweite heute noch Kaiser von Ru߬ land ist. so hat die Haltung Deutschlands während der letzten revolutionären Krise ihr großes Verdienst daran. Sie ging nicht, wie Herr Ssasonow kürzlich in der Haushaltskommission sagte, darauf aus, die Notlage Rußlands zu nutzen. Deutschland hat vielmehr durch seine unzweideutige Stellungnahme für Rußland im Jahre 1905 und 1906 den Aufstand in Polen und Litauen verhindert. Solange die Zaren selbstherrlich regierten, vermochte ihr Einfluß selbst gegen die Stimmung der russischen Machthaber eine deutschfreundliche Politik durchzu¬ setzen. Der zweite und dritte Alexander bieten dafür den besten Beleg. Heute sieht die Sache ganz anders aus. Das Volk regiert mit, und seine wirklichen Führer, nicht die Westler, haben durch Parlament und Presse, am meisten aber durch den Reichsrat, einen Einfluß gewonnen, der denjenigen des Hofes auf ein Minimum zurückdrängt. Unter diesen historischen Gesichtspunkt gestellt, muß auch die Ernennung Goremykins zunächst als ein Sieg der konservativen Moskowiterpartei betrachtet werden. Wohin aber die Reise der russischen Politik gehen soll, davon wird man sich erst ein Bild machen können, wenn die Namen der neuen Männer bekannt sein werden, die Herr Goremykin in sein Kabinett bekommt, — dann wird sich auch entscheiden, ob die auswärtige Politik, ob die Finanz- und Wirtschafts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/342>, abgerufen am 29.12.2024.