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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

Es war eine schreckliche Nacht gewesen, und wenn sie auch gut über den
Stadtgraben kam, so verlor sie doch gleich die Richtung des Weges, den sie
einschlagen sollte. Da war es denn ein wahres Glück, gegen Morgen einer
Frau zu begegnen, die sie fragen konnte und die ihr versprach, sie ins Kloster
zu bringen. Sie hatte sie betrogen: statt in die Berge, war sie in die Ebene
gekommen; jetzt wußte sie, daß es zu ihrem Heil war.

Aber sie blieb doch still und in sich gekehrt, während der Junker Sehestedt
sich Rantzau näherte und mit ihm beriet, wohin man die Jungfrau bringen
sollte. Der Rausch war von ihm abgefallen und er wußte, daß er Heilwig
beschützen mußte. Im Lager gab es wohl Frauen: wo war ein Heer ohne
sie? Aber es waren Wesen, von denen eine vornehme Jungfrau nichts ahnen
durfte.

"Sie muß nach Andernach!" meinte Rantzau. "Dort gibt es ritterbürtige
Familien, in denen das Fräulein gut aufgehoben ist."

Josias antwortete nicht gleich."

"Sie werden sie nicht nehmen! erwiderte er nach einer Weile. "Diese
Katholischen tun freundlich mit uns, so lange wir ihnen gegen die Franzen
helfen. Aber im Grunde genommen hassen sie uns. Es scheint, daß die Leute
in Mayen keinen Unterschied gemacht haben zwischen einer Hexe und einer
Lutherischen. Also ist es besser, die Jungfrau bleibt in unserem Schutz. Sie
hat wohl gerade genug erlebt!"

Hin und her redeten die Junker, während Heilwig sich an Grill wandte,
die verdrossen neben ihr herging.

"Bist du mir noch böse, daß ich kein Junge bin?" fragte sie scherzend,
aber die Angeredete wurde nicht freundlicher.

"Der Böse geht in mancherlei Gestalt um," erwiderte sie. "Hätte ich
gewußt, daß Ihr die Hexe aus dem Turm wäret, ich würde Euch in den Graben
oder in einen Steinbruch geworfen haben."

"Du bist zu häßlich!" rief Heilwig, und die andere zuckte die Achseln.

"Ich weiß, was sich für eine katholische Christin gehört! Was vom Bösen
ist, soll man nicht leben lassen!"

Heilwig wollte ihr noch ein begütigendes Wort sagen, als Josias, der Grills
letzte Worte gehört hatte, sie von dem jungen Mädchen wegstieß.

"Du selbst bist eine Hexe!" sagte er mit einem Fluch. "Und nun komm
mit zum Herzog: die Botschaft, die du bringst, soll geprüft werden!"

Unsanft schob er die Frau vor sich her, und da die kleine Gesellschaft
mittlerweile ans Lager gelangt war, fand sich Heilwig bald in einem Kreise
fröhlicher Junker, die durch Rantzau von ihrem Abenteuer unterrichtet wurden
und sie nun mit Neugierde und Wohlgefallen betrachteten. Zwar war es
mittlerweile dämmrig geworden und die Scheine der Lagerfeuer verbreiteten nur
mäßige Helle, aber der schmucke Jäger mit den goldenen Flechten gefiel ihnen
allen gut, und jeder wollte von der Jungfrau noch Einzelheiten über ihr Er-


21*
Die Hexe von Mayen

Es war eine schreckliche Nacht gewesen, und wenn sie auch gut über den
Stadtgraben kam, so verlor sie doch gleich die Richtung des Weges, den sie
einschlagen sollte. Da war es denn ein wahres Glück, gegen Morgen einer
Frau zu begegnen, die sie fragen konnte und die ihr versprach, sie ins Kloster
zu bringen. Sie hatte sie betrogen: statt in die Berge, war sie in die Ebene
gekommen; jetzt wußte sie, daß es zu ihrem Heil war.

Aber sie blieb doch still und in sich gekehrt, während der Junker Sehestedt
sich Rantzau näherte und mit ihm beriet, wohin man die Jungfrau bringen
sollte. Der Rausch war von ihm abgefallen und er wußte, daß er Heilwig
beschützen mußte. Im Lager gab es wohl Frauen: wo war ein Heer ohne
sie? Aber es waren Wesen, von denen eine vornehme Jungfrau nichts ahnen
durfte.

„Sie muß nach Andernach!" meinte Rantzau. „Dort gibt es ritterbürtige
Familien, in denen das Fräulein gut aufgehoben ist."

Josias antwortete nicht gleich."

„Sie werden sie nicht nehmen! erwiderte er nach einer Weile. „Diese
Katholischen tun freundlich mit uns, so lange wir ihnen gegen die Franzen
helfen. Aber im Grunde genommen hassen sie uns. Es scheint, daß die Leute
in Mayen keinen Unterschied gemacht haben zwischen einer Hexe und einer
Lutherischen. Also ist es besser, die Jungfrau bleibt in unserem Schutz. Sie
hat wohl gerade genug erlebt!"

Hin und her redeten die Junker, während Heilwig sich an Grill wandte,
die verdrossen neben ihr herging.

„Bist du mir noch böse, daß ich kein Junge bin?" fragte sie scherzend,
aber die Angeredete wurde nicht freundlicher.

„Der Böse geht in mancherlei Gestalt um," erwiderte sie. „Hätte ich
gewußt, daß Ihr die Hexe aus dem Turm wäret, ich würde Euch in den Graben
oder in einen Steinbruch geworfen haben."

„Du bist zu häßlich!" rief Heilwig, und die andere zuckte die Achseln.

„Ich weiß, was sich für eine katholische Christin gehört! Was vom Bösen
ist, soll man nicht leben lassen!"

Heilwig wollte ihr noch ein begütigendes Wort sagen, als Josias, der Grills
letzte Worte gehört hatte, sie von dem jungen Mädchen wegstieß.

„Du selbst bist eine Hexe!" sagte er mit einem Fluch. „Und nun komm
mit zum Herzog: die Botschaft, die du bringst, soll geprüft werden!"

Unsanft schob er die Frau vor sich her, und da die kleine Gesellschaft
mittlerweile ans Lager gelangt war, fand sich Heilwig bald in einem Kreise
fröhlicher Junker, die durch Rantzau von ihrem Abenteuer unterrichtet wurden
und sie nun mit Neugierde und Wohlgefallen betrachteten. Zwar war es
mittlerweile dämmrig geworden und die Scheine der Lagerfeuer verbreiteten nur
mäßige Helle, aber der schmucke Jäger mit den goldenen Flechten gefiel ihnen
allen gut, und jeder wollte von der Jungfrau noch Einzelheiten über ihr Er-


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[0335] Die Hexe von Mayen Es war eine schreckliche Nacht gewesen, und wenn sie auch gut über den Stadtgraben kam, so verlor sie doch gleich die Richtung des Weges, den sie einschlagen sollte. Da war es denn ein wahres Glück, gegen Morgen einer Frau zu begegnen, die sie fragen konnte und die ihr versprach, sie ins Kloster zu bringen. Sie hatte sie betrogen: statt in die Berge, war sie in die Ebene gekommen; jetzt wußte sie, daß es zu ihrem Heil war. Aber sie blieb doch still und in sich gekehrt, während der Junker Sehestedt sich Rantzau näherte und mit ihm beriet, wohin man die Jungfrau bringen sollte. Der Rausch war von ihm abgefallen und er wußte, daß er Heilwig beschützen mußte. Im Lager gab es wohl Frauen: wo war ein Heer ohne sie? Aber es waren Wesen, von denen eine vornehme Jungfrau nichts ahnen durfte. „Sie muß nach Andernach!" meinte Rantzau. „Dort gibt es ritterbürtige Familien, in denen das Fräulein gut aufgehoben ist." Josias antwortete nicht gleich." „Sie werden sie nicht nehmen! erwiderte er nach einer Weile. „Diese Katholischen tun freundlich mit uns, so lange wir ihnen gegen die Franzen helfen. Aber im Grunde genommen hassen sie uns. Es scheint, daß die Leute in Mayen keinen Unterschied gemacht haben zwischen einer Hexe und einer Lutherischen. Also ist es besser, die Jungfrau bleibt in unserem Schutz. Sie hat wohl gerade genug erlebt!" Hin und her redeten die Junker, während Heilwig sich an Grill wandte, die verdrossen neben ihr herging. „Bist du mir noch böse, daß ich kein Junge bin?" fragte sie scherzend, aber die Angeredete wurde nicht freundlicher. „Der Böse geht in mancherlei Gestalt um," erwiderte sie. „Hätte ich gewußt, daß Ihr die Hexe aus dem Turm wäret, ich würde Euch in den Graben oder in einen Steinbruch geworfen haben." „Du bist zu häßlich!" rief Heilwig, und die andere zuckte die Achseln. „Ich weiß, was sich für eine katholische Christin gehört! Was vom Bösen ist, soll man nicht leben lassen!" Heilwig wollte ihr noch ein begütigendes Wort sagen, als Josias, der Grills letzte Worte gehört hatte, sie von dem jungen Mädchen wegstieß. „Du selbst bist eine Hexe!" sagte er mit einem Fluch. „Und nun komm mit zum Herzog: die Botschaft, die du bringst, soll geprüft werden!" Unsanft schob er die Frau vor sich her, und da die kleine Gesellschaft mittlerweile ans Lager gelangt war, fand sich Heilwig bald in einem Kreise fröhlicher Junker, die durch Rantzau von ihrem Abenteuer unterrichtet wurden und sie nun mit Neugierde und Wohlgefallen betrachteten. Zwar war es mittlerweile dämmrig geworden und die Scheine der Lagerfeuer verbreiteten nur mäßige Helle, aber der schmucke Jäger mit den goldenen Flechten gefiel ihnen allen gut, und jeder wollte von der Jungfrau noch Einzelheiten über ihr Er- 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/335>, abgerufen am 29.12.2024.