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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mciyen

"Heilige Mutter Gottes! Hat sie mir nit gesagt, sie wäre ein verirrtes
Ja'gerlein und ich sollte ihr den Weg weisen?"

Mit blitzenden Augen wandte sich Heilwig zu ihr.

"Hast du mir nicht gelobt, mich zum Kloster Laach zu bringen?"

Grill zuckte die Achseln.

"Was sollt ich da? Ich bringe Botschaft an den Herzog Adolf und ich
dachte, er könnte ein so feines Bürschlein wie dich gebrauchen!"

"Also hast Du mich betrogen!"

"Und du mich auch!" leiste die Frau, um dann plötzlich die Hände zu
falten und in die Knie zu sinken.

"Satan, hebe dich von mir! Wenn du die Hexe bist, die im Mayener
Turm saß, so hast du mich schon einmal bestohlen! Nun aber sollst du
brennen; ich werde dich anklagen!"

Wild stürzte sie auf Heilwig los. die ruhig stand, während beide Junker
betroffen von einer Frau zur anderen blickten. Josias Sehestedt faßte sich zuerst.
Er lüftete seine Kappe und trat mit einer Verbeugung auf Heilwig zu.

"Gestattet, Fräulein, daß ich mit Euch zum Herzog gehe und Euch in
seineu Schutz gebe. Dann wird alle Verdrießlichkeit von Euch schwinden und
Ihr werdet mit der nächsten Gelegenheit nach Holstein zurückgeschickt werden!"

"Was ich nicht verlange!" entgegnete Heilwig stolz. "Mein Herr Vater,
von dem mich Räuber trennten, wird schon in der Nähe sein, da er mich wohl
überall suchen läßt. Daher wollte ich nach Laach, weil ich den Abt kenne und
fast annehmen muß, daß er vom Aufenthalt meines Vaters weiß. Aber ich bin
bereit, mich zum Herzog zu begeben und seinen Schutz anzurufen. Es ist für
eine ehrsame Jungfrau schwer, allein in diesem rauhen Lande zu sein!"

Unterdessen hielt Rantzau Grill fest, die sich wie wild geberdete, viele
Heilige anrief und immer wieder berichtete, wie sie den jungen Jägersmann
in der Nähe der Stadt Manen gefunden habe, wie er den Weg nach Laach
nicht recht gewußt und sie sich sogleich vorgenommen, dem Herzog einen Zuwachs
zum Heer zu bringen. Freundlich hatte sie mit ihm gesprochen und auch er
war sanft gewesen, fast furchtsam. Aber, so war es; der Böse ging ja in
Gestalt eines Jägers, um die Unschuldigen zu betören, und dieser Hexe lieh er
seine Gestalt. Ängstlich sah sie auf Heilwig, die ihr achselzuckend zuhörte und
sich wieder an die Juncker wandte.

"Die Frau hat recht: ich bin in Manen eingesperrt gewesen, weil man
mich für eine Hexe oder eine Ketzerin hielt. Ich bin entkommen und bitte mich
in Schutz zu nehmen. Mein Vater, Herr Cav von Sehestedt, wird Euch sicherlich
lohnen, wenn Ihr mir einen Dienst erweiset!"

Daniel Rantzau verbeugte sich zierlich. Obgleich er einen Backenstreich
erhalten hatte, war er ganz unbefangen. Es war eine ehrliche Sache, eine feine
Dirn küssen zu wollen, und wenn sie sich ihrer Haut wehrte, so durfte man
ihr dies nicht übel nehmen. Er war gleich bereit, das Fräulein zum Herzog


Grenzboten I 1914 21
Die Hexe von Mciyen

„Heilige Mutter Gottes! Hat sie mir nit gesagt, sie wäre ein verirrtes
Ja'gerlein und ich sollte ihr den Weg weisen?"

Mit blitzenden Augen wandte sich Heilwig zu ihr.

„Hast du mir nicht gelobt, mich zum Kloster Laach zu bringen?"

Grill zuckte die Achseln.

„Was sollt ich da? Ich bringe Botschaft an den Herzog Adolf und ich
dachte, er könnte ein so feines Bürschlein wie dich gebrauchen!"

„Also hast Du mich betrogen!"

„Und du mich auch!" leiste die Frau, um dann plötzlich die Hände zu
falten und in die Knie zu sinken.

„Satan, hebe dich von mir! Wenn du die Hexe bist, die im Mayener
Turm saß, so hast du mich schon einmal bestohlen! Nun aber sollst du
brennen; ich werde dich anklagen!"

Wild stürzte sie auf Heilwig los. die ruhig stand, während beide Junker
betroffen von einer Frau zur anderen blickten. Josias Sehestedt faßte sich zuerst.
Er lüftete seine Kappe und trat mit einer Verbeugung auf Heilwig zu.

„Gestattet, Fräulein, daß ich mit Euch zum Herzog gehe und Euch in
seineu Schutz gebe. Dann wird alle Verdrießlichkeit von Euch schwinden und
Ihr werdet mit der nächsten Gelegenheit nach Holstein zurückgeschickt werden!"

„Was ich nicht verlange!" entgegnete Heilwig stolz. „Mein Herr Vater,
von dem mich Räuber trennten, wird schon in der Nähe sein, da er mich wohl
überall suchen läßt. Daher wollte ich nach Laach, weil ich den Abt kenne und
fast annehmen muß, daß er vom Aufenthalt meines Vaters weiß. Aber ich bin
bereit, mich zum Herzog zu begeben und seinen Schutz anzurufen. Es ist für
eine ehrsame Jungfrau schwer, allein in diesem rauhen Lande zu sein!"

Unterdessen hielt Rantzau Grill fest, die sich wie wild geberdete, viele
Heilige anrief und immer wieder berichtete, wie sie den jungen Jägersmann
in der Nähe der Stadt Manen gefunden habe, wie er den Weg nach Laach
nicht recht gewußt und sie sich sogleich vorgenommen, dem Herzog einen Zuwachs
zum Heer zu bringen. Freundlich hatte sie mit ihm gesprochen und auch er
war sanft gewesen, fast furchtsam. Aber, so war es; der Böse ging ja in
Gestalt eines Jägers, um die Unschuldigen zu betören, und dieser Hexe lieh er
seine Gestalt. Ängstlich sah sie auf Heilwig, die ihr achselzuckend zuhörte und
sich wieder an die Juncker wandte.

„Die Frau hat recht: ich bin in Manen eingesperrt gewesen, weil man
mich für eine Hexe oder eine Ketzerin hielt. Ich bin entkommen und bitte mich
in Schutz zu nehmen. Mein Vater, Herr Cav von Sehestedt, wird Euch sicherlich
lohnen, wenn Ihr mir einen Dienst erweiset!"

Daniel Rantzau verbeugte sich zierlich. Obgleich er einen Backenstreich
erhalten hatte, war er ganz unbefangen. Es war eine ehrliche Sache, eine feine
Dirn küssen zu wollen, und wenn sie sich ihrer Haut wehrte, so durfte man
ihr dies nicht übel nehmen. Er war gleich bereit, das Fräulein zum Herzog


Grenzboten I 1914 21
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[0333] Die Hexe von Mciyen „Heilige Mutter Gottes! Hat sie mir nit gesagt, sie wäre ein verirrtes Ja'gerlein und ich sollte ihr den Weg weisen?" Mit blitzenden Augen wandte sich Heilwig zu ihr. „Hast du mir nicht gelobt, mich zum Kloster Laach zu bringen?" Grill zuckte die Achseln. „Was sollt ich da? Ich bringe Botschaft an den Herzog Adolf und ich dachte, er könnte ein so feines Bürschlein wie dich gebrauchen!" „Also hast Du mich betrogen!" „Und du mich auch!" leiste die Frau, um dann plötzlich die Hände zu falten und in die Knie zu sinken. „Satan, hebe dich von mir! Wenn du die Hexe bist, die im Mayener Turm saß, so hast du mich schon einmal bestohlen! Nun aber sollst du brennen; ich werde dich anklagen!" Wild stürzte sie auf Heilwig los. die ruhig stand, während beide Junker betroffen von einer Frau zur anderen blickten. Josias Sehestedt faßte sich zuerst. Er lüftete seine Kappe und trat mit einer Verbeugung auf Heilwig zu. „Gestattet, Fräulein, daß ich mit Euch zum Herzog gehe und Euch in seineu Schutz gebe. Dann wird alle Verdrießlichkeit von Euch schwinden und Ihr werdet mit der nächsten Gelegenheit nach Holstein zurückgeschickt werden!" „Was ich nicht verlange!" entgegnete Heilwig stolz. „Mein Herr Vater, von dem mich Räuber trennten, wird schon in der Nähe sein, da er mich wohl überall suchen läßt. Daher wollte ich nach Laach, weil ich den Abt kenne und fast annehmen muß, daß er vom Aufenthalt meines Vaters weiß. Aber ich bin bereit, mich zum Herzog zu begeben und seinen Schutz anzurufen. Es ist für eine ehrsame Jungfrau schwer, allein in diesem rauhen Lande zu sein!" Unterdessen hielt Rantzau Grill fest, die sich wie wild geberdete, viele Heilige anrief und immer wieder berichtete, wie sie den jungen Jägersmann in der Nähe der Stadt Manen gefunden habe, wie er den Weg nach Laach nicht recht gewußt und sie sich sogleich vorgenommen, dem Herzog einen Zuwachs zum Heer zu bringen. Freundlich hatte sie mit ihm gesprochen und auch er war sanft gewesen, fast furchtsam. Aber, so war es; der Böse ging ja in Gestalt eines Jägers, um die Unschuldigen zu betören, und dieser Hexe lieh er seine Gestalt. Ängstlich sah sie auf Heilwig, die ihr achselzuckend zuhörte und sich wieder an die Juncker wandte. „Die Frau hat recht: ich bin in Manen eingesperrt gewesen, weil man mich für eine Hexe oder eine Ketzerin hielt. Ich bin entkommen und bitte mich in Schutz zu nehmen. Mein Vater, Herr Cav von Sehestedt, wird Euch sicherlich lohnen, wenn Ihr mir einen Dienst erweiset!" Daniel Rantzau verbeugte sich zierlich. Obgleich er einen Backenstreich erhalten hatte, war er ganz unbefangen. Es war eine ehrliche Sache, eine feine Dirn küssen zu wollen, und wenn sie sich ihrer Haut wehrte, so durfte man ihr dies nicht übel nehmen. Er war gleich bereit, das Fräulein zum Herzog Grenzboten I 1914 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/333>, abgerufen am 04.01.2025.