Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Hexe von Mayen

Kölner Minister, der Deutschland fast an Frankreich ausgeliefert hätte. Nun
war er vom Kaiser verhaftet und nach Wien gebracht worden, wo er in strenger
Haft lebte. Vielleicht würde er hingerichtet werden. Die Fürsten sprachen
darüber, ob der Kaiser das Recht habe, einen Reichsfürsten zu richten wie
einen anderen Ritter, und während einer der Welfenherzöge dafür war, erklärte
Hans Adel von Plön, so etwas dürfte selbst ein Kaiser nicht. Die Meinungen
platzten heftig aufeinander; der Holsteiner schlug auf den Tisch, und der rheinische
Kurfürst sah den Augenblick gekommen, wo die Ketzer mit den Degen auf¬
einander loshauen würden. Da aber warf sein Domherr ein geschicktes Wort
dazwischen; die nordischen Herren lachten und waren wieder versöhnt. Nur
der Lothringer sah finster drein. Ihm lag nichts an dem Fürstenberg, aber er
mußte an seine eigene Heimatlosigkeit denken und daran, daß ihm der Kaiser
wohl einen Orden verleihen, sonst aber nichts sür ihn tun wollte.

JmNebenzelt wurde unterdessen noch mehr gezecht als bei den fürstlichen Herren.
Die Rheinländer tranken den Braunschweigern und den Holsteinern zu und wunderten
sich, wie viel dieseHerren von ihrem Rebensaft vertragen konnten, obwohl sie an dickes
Bier gewohnt waren. Aber die vom Norden wollten das dicke Bier allein nicht
gelten lassen. In der Stadt Hamburg fand sich immer ein guter Rotwein,
und der kam auch nach Braunschweig, Hannover und Holstein. Die Franzen
schickten ihn dorthin und ließen sich gut dafür bezahlen. Es kam die Rede
auf Hamburg und auf die Kaufherren. Den rheinischen Herren lief das Wasser
im Munde zusammen, als sie hörten, wie viel Geld in der Reichsstadt sein sollte.
Ihre Väter und Großväter hatten noch Zoll und Geld von den Handelsleuten
erhoben, jetzt ging es am Rhein leider nicht mehr, war aber doch ein Geschäft,
das nicht zu verachten war. Besonders heute, wo die Armut einzog in viele
adlige Geschlechter. Sie sprachen so eifrig darüber, daß sie kaum merkten, wie
einige holsteinische Edelleute aufstanden und die Tafel verließen.

Josias von Sehestedt war einer von ihnen, der andere war Daniel Rantzau.
Beide hatten doch mehr Wein getrunken als ihnen dienlich war, und sie wollten
sich vor den Fremden keine Blöße geben. So gingen sie durch das Lager,
wo die Soldaten um ihre Feuer saßen und sangen. In den Kellern zu An-
dernach lag mancher gute Tropfen und ihre Besitzer hatten sie hergeben müssen.
Die Nordländer kochten sich vom Niersteiner ein Suppe, die ihnen gar nicht
schmeckte, aber sie wurden lustig davon und sangen mit rauhen und meistens
falschen Stimmen. ,

Die zwei Junker gingen zum Rhein hinunter. Der lag ein wenig ver¬
schlafen da, aber das Frühlingsgrün legte sich um seine Ufer und in einigen
Fliederbüschen hingen große rötliche Blüten.

"Es ist kein übles Land hiert" meinte der Rantzau. während er sich um¬
sah. "Nur, daß es keine roten Dächer gibt, ist langweilig. Und dann die
alten Mauern!" er stieß mit dem Fuß gegen einen abgebröckelten Teil der Um-
wallung.


Die Hexe von Mayen

Kölner Minister, der Deutschland fast an Frankreich ausgeliefert hätte. Nun
war er vom Kaiser verhaftet und nach Wien gebracht worden, wo er in strenger
Haft lebte. Vielleicht würde er hingerichtet werden. Die Fürsten sprachen
darüber, ob der Kaiser das Recht habe, einen Reichsfürsten zu richten wie
einen anderen Ritter, und während einer der Welfenherzöge dafür war, erklärte
Hans Adel von Plön, so etwas dürfte selbst ein Kaiser nicht. Die Meinungen
platzten heftig aufeinander; der Holsteiner schlug auf den Tisch, und der rheinische
Kurfürst sah den Augenblick gekommen, wo die Ketzer mit den Degen auf¬
einander loshauen würden. Da aber warf sein Domherr ein geschicktes Wort
dazwischen; die nordischen Herren lachten und waren wieder versöhnt. Nur
der Lothringer sah finster drein. Ihm lag nichts an dem Fürstenberg, aber er
mußte an seine eigene Heimatlosigkeit denken und daran, daß ihm der Kaiser
wohl einen Orden verleihen, sonst aber nichts sür ihn tun wollte.

JmNebenzelt wurde unterdessen noch mehr gezecht als bei den fürstlichen Herren.
Die Rheinländer tranken den Braunschweigern und den Holsteinern zu und wunderten
sich, wie viel dieseHerren von ihrem Rebensaft vertragen konnten, obwohl sie an dickes
Bier gewohnt waren. Aber die vom Norden wollten das dicke Bier allein nicht
gelten lassen. In der Stadt Hamburg fand sich immer ein guter Rotwein,
und der kam auch nach Braunschweig, Hannover und Holstein. Die Franzen
schickten ihn dorthin und ließen sich gut dafür bezahlen. Es kam die Rede
auf Hamburg und auf die Kaufherren. Den rheinischen Herren lief das Wasser
im Munde zusammen, als sie hörten, wie viel Geld in der Reichsstadt sein sollte.
Ihre Väter und Großväter hatten noch Zoll und Geld von den Handelsleuten
erhoben, jetzt ging es am Rhein leider nicht mehr, war aber doch ein Geschäft,
das nicht zu verachten war. Besonders heute, wo die Armut einzog in viele
adlige Geschlechter. Sie sprachen so eifrig darüber, daß sie kaum merkten, wie
einige holsteinische Edelleute aufstanden und die Tafel verließen.

Josias von Sehestedt war einer von ihnen, der andere war Daniel Rantzau.
Beide hatten doch mehr Wein getrunken als ihnen dienlich war, und sie wollten
sich vor den Fremden keine Blöße geben. So gingen sie durch das Lager,
wo die Soldaten um ihre Feuer saßen und sangen. In den Kellern zu An-
dernach lag mancher gute Tropfen und ihre Besitzer hatten sie hergeben müssen.
Die Nordländer kochten sich vom Niersteiner ein Suppe, die ihnen gar nicht
schmeckte, aber sie wurden lustig davon und sangen mit rauhen und meistens
falschen Stimmen. ,

Die zwei Junker gingen zum Rhein hinunter. Der lag ein wenig ver¬
schlafen da, aber das Frühlingsgrün legte sich um seine Ufer und in einigen
Fliederbüschen hingen große rötliche Blüten.

„Es ist kein übles Land hiert" meinte der Rantzau. während er sich um¬
sah. „Nur, daß es keine roten Dächer gibt, ist langweilig. Und dann die
alten Mauern!" er stieß mit dem Fuß gegen einen abgebröckelten Teil der Um-
wallung.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327797"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Hexe von Mayen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1537" prev="#ID_1536"> Kölner Minister, der Deutschland fast an Frankreich ausgeliefert hätte. Nun<lb/>
war er vom Kaiser verhaftet und nach Wien gebracht worden, wo er in strenger<lb/>
Haft lebte. Vielleicht würde er hingerichtet werden. Die Fürsten sprachen<lb/>
darüber, ob der Kaiser das Recht habe, einen Reichsfürsten zu richten wie<lb/>
einen anderen Ritter, und während einer der Welfenherzöge dafür war, erklärte<lb/>
Hans Adel von Plön, so etwas dürfte selbst ein Kaiser nicht. Die Meinungen<lb/>
platzten heftig aufeinander; der Holsteiner schlug auf den Tisch, und der rheinische<lb/>
Kurfürst sah den Augenblick gekommen, wo die Ketzer mit den Degen auf¬<lb/>
einander loshauen würden. Da aber warf sein Domherr ein geschicktes Wort<lb/>
dazwischen; die nordischen Herren lachten und waren wieder versöhnt. Nur<lb/>
der Lothringer sah finster drein. Ihm lag nichts an dem Fürstenberg, aber er<lb/>
mußte an seine eigene Heimatlosigkeit denken und daran, daß ihm der Kaiser<lb/>
wohl einen Orden verleihen, sonst aber nichts sür ihn tun wollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1538"> JmNebenzelt wurde unterdessen noch mehr gezecht als bei den fürstlichen Herren.<lb/>
Die Rheinländer tranken den Braunschweigern und den Holsteinern zu und wunderten<lb/>
sich, wie viel dieseHerren von ihrem Rebensaft vertragen konnten, obwohl sie an dickes<lb/>
Bier gewohnt waren. Aber die vom Norden wollten das dicke Bier allein nicht<lb/>
gelten lassen. In der Stadt Hamburg fand sich immer ein guter Rotwein,<lb/>
und der kam auch nach Braunschweig, Hannover und Holstein. Die Franzen<lb/>
schickten ihn dorthin und ließen sich gut dafür bezahlen. Es kam die Rede<lb/>
auf Hamburg und auf die Kaufherren. Den rheinischen Herren lief das Wasser<lb/>
im Munde zusammen, als sie hörten, wie viel Geld in der Reichsstadt sein sollte.<lb/>
Ihre Väter und Großväter hatten noch Zoll und Geld von den Handelsleuten<lb/>
erhoben, jetzt ging es am Rhein leider nicht mehr, war aber doch ein Geschäft,<lb/>
das nicht zu verachten war. Besonders heute, wo die Armut einzog in viele<lb/>
adlige Geschlechter. Sie sprachen so eifrig darüber, daß sie kaum merkten, wie<lb/>
einige holsteinische Edelleute aufstanden und die Tafel verließen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1539"> Josias von Sehestedt war einer von ihnen, der andere war Daniel Rantzau.<lb/>
Beide hatten doch mehr Wein getrunken als ihnen dienlich war, und sie wollten<lb/>
sich vor den Fremden keine Blöße geben. So gingen sie durch das Lager,<lb/>
wo die Soldaten um ihre Feuer saßen und sangen. In den Kellern zu An-<lb/>
dernach lag mancher gute Tropfen und ihre Besitzer hatten sie hergeben müssen.<lb/>
Die Nordländer kochten sich vom Niersteiner ein Suppe, die ihnen gar nicht<lb/>
schmeckte, aber sie wurden lustig davon und sangen mit rauhen und meistens<lb/>
falschen Stimmen. ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1540"> Die zwei Junker gingen zum Rhein hinunter. Der lag ein wenig ver¬<lb/>
schlafen da, aber das Frühlingsgrün legte sich um seine Ufer und in einigen<lb/>
Fliederbüschen hingen große rötliche Blüten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1541"> &#x201E;Es ist kein übles Land hiert" meinte der Rantzau. während er sich um¬<lb/>
sah. &#x201E;Nur, daß es keine roten Dächer gibt, ist langweilig. Und dann die<lb/>
alten Mauern!" er stieß mit dem Fuß gegen einen abgebröckelten Teil der Um-<lb/>
wallung.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0331] Die Hexe von Mayen Kölner Minister, der Deutschland fast an Frankreich ausgeliefert hätte. Nun war er vom Kaiser verhaftet und nach Wien gebracht worden, wo er in strenger Haft lebte. Vielleicht würde er hingerichtet werden. Die Fürsten sprachen darüber, ob der Kaiser das Recht habe, einen Reichsfürsten zu richten wie einen anderen Ritter, und während einer der Welfenherzöge dafür war, erklärte Hans Adel von Plön, so etwas dürfte selbst ein Kaiser nicht. Die Meinungen platzten heftig aufeinander; der Holsteiner schlug auf den Tisch, und der rheinische Kurfürst sah den Augenblick gekommen, wo die Ketzer mit den Degen auf¬ einander loshauen würden. Da aber warf sein Domherr ein geschicktes Wort dazwischen; die nordischen Herren lachten und waren wieder versöhnt. Nur der Lothringer sah finster drein. Ihm lag nichts an dem Fürstenberg, aber er mußte an seine eigene Heimatlosigkeit denken und daran, daß ihm der Kaiser wohl einen Orden verleihen, sonst aber nichts sür ihn tun wollte. JmNebenzelt wurde unterdessen noch mehr gezecht als bei den fürstlichen Herren. Die Rheinländer tranken den Braunschweigern und den Holsteinern zu und wunderten sich, wie viel dieseHerren von ihrem Rebensaft vertragen konnten, obwohl sie an dickes Bier gewohnt waren. Aber die vom Norden wollten das dicke Bier allein nicht gelten lassen. In der Stadt Hamburg fand sich immer ein guter Rotwein, und der kam auch nach Braunschweig, Hannover und Holstein. Die Franzen schickten ihn dorthin und ließen sich gut dafür bezahlen. Es kam die Rede auf Hamburg und auf die Kaufherren. Den rheinischen Herren lief das Wasser im Munde zusammen, als sie hörten, wie viel Geld in der Reichsstadt sein sollte. Ihre Väter und Großväter hatten noch Zoll und Geld von den Handelsleuten erhoben, jetzt ging es am Rhein leider nicht mehr, war aber doch ein Geschäft, das nicht zu verachten war. Besonders heute, wo die Armut einzog in viele adlige Geschlechter. Sie sprachen so eifrig darüber, daß sie kaum merkten, wie einige holsteinische Edelleute aufstanden und die Tafel verließen. Josias von Sehestedt war einer von ihnen, der andere war Daniel Rantzau. Beide hatten doch mehr Wein getrunken als ihnen dienlich war, und sie wollten sich vor den Fremden keine Blöße geben. So gingen sie durch das Lager, wo die Soldaten um ihre Feuer saßen und sangen. In den Kellern zu An- dernach lag mancher gute Tropfen und ihre Besitzer hatten sie hergeben müssen. Die Nordländer kochten sich vom Niersteiner ein Suppe, die ihnen gar nicht schmeckte, aber sie wurden lustig davon und sangen mit rauhen und meistens falschen Stimmen. , Die zwei Junker gingen zum Rhein hinunter. Der lag ein wenig ver¬ schlafen da, aber das Frühlingsgrün legte sich um seine Ufer und in einigen Fliederbüschen hingen große rötliche Blüten. „Es ist kein übles Land hiert" meinte der Rantzau. während er sich um¬ sah. „Nur, daß es keine roten Dächer gibt, ist langweilig. Und dann die alten Mauern!" er stieß mit dem Fuß gegen einen abgebröckelten Teil der Um- wallung.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/331
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/331>, abgerufen am 04.01.2025.