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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Hütet Lues zu träumen und zu dichten!

eine Fülle von Träumen (vorzugsweise Krankenträumen), die er auf Grund
der oben erwähnten Psychoanalyse zu deuten unternimmt. Das Wesen dieser
Analyse besteht darin, daß der Träumer dem Denker (bzw. der Patient dem
Arzt) nicht nur seinen Traum, sondern alles, was ihm gerade einfällt, zu er¬
zählen hat. Es wird -- gefördert natürlich durch Zwischenbemerkungen und
Fragen des (so viel ich weiß, unsichtbaren) Arztes an den in Ruhelage befind¬
lichen Kranken -- eine möglichste Menge von Gedankenassoziationen herbei¬
geführt, wobei das Nebensächliche so bedeutungsvoll ist wie das scheinbar
Hauptsächliche, weil jede solche Gedankenäußerung für psychisch determiniert gilt
und weil, wie Freud meint, "auch von den Urteilen, die man nach dem Er¬
wachen über den erinnerten Traum fällt, den Empfindungen, die die Reproduktion
dieses Traunies in uns hervorruft", ein großer Teil dem verborgenen Sinn
des Traums angehören und "in die Deutung einzufügen" ist. Wie ist nun
diese Traumdeutung beschaffen und auf welchen Voraussetzungen beruht sie?
Wir haben das vorzugsweise sexuell bestimmte Unbewußte schon hinreichend
kennen gelernt, um zu vermuten, daß ihm die Hauptrolle bei der Deutung zu¬
fällt. Freud unterscheidet denn auch von dem manifesten Trauminhalt (dem
eigentlichen Traum) die latenten Traumgedanken, die ihre Nahrung aus dem
eingekerkerten Unbewußten ziehen. Die von seinem Schüler Rank aufgestellte
Grundformel, die auch er anerkennt, lautet: "Der Traum stellt regelmäßig auf
der Grundlage und mit Hilfe verdrängten infamen-sexuellen Materials aktuelle,
in der Regel auch erotische Wünsche in verhüllter und symbolisch eingekleideter
Form als erfüllt dar." Vergegenwärtigen wir uns die in dieser Formel nieder¬
gelegten Voraussetzungen, so steht an der Spitze der Satz: Jeder Traum ist ein
zu erfüllender Wunsch. Dieser Wunsch stammt aus dem uns schon vertrauten
Unbewußten. Da dieses in seiner anrüchigen Zusammensetzung sich gewissermaßen
nur auf Schleichwegen Gehör zu verschaffen vermag und eine strenge Zensur
zu passieren hat, um sich auch nur im Traum in unser Bewußtsein einzu¬
schmuggeln, muß es sich eine Umwertung raffiniertester Art gefallen lasten.
Das, was wir als manifesten Trauminhalt finden, ist das Ergebnis einer ver¬
wickelten Traumarbeit, die durch Verschiebung und Verdichtung, also durch
eine ausgiebige Traumentstellnng die Grundtriebe durchaus maskiert, die
Affekte verschiebt, den Nachdruck vom Wesentlichen auf das Nebensächliche
verlegt, kurzum nach Kräften verwischt und fälscht, um eben das bis zur
Unkenntlichkeit verkleidete Unbewußte durch die Zensur zu bringen und das
Bewußtseinsunfähige um jeden Preis bewußtseinsfähig, man könnte sagen,
stubenrein, zu macheu. Die Rücksicht auf die Darstellbarkeit in Sinnesbildern -- der
Traum kann ja nur in Anschauungen, nicht abstrakt arbeiten -- und, wenigstens
bisweilen, auf "ein rationelles und intelligibles Äußeres des Traumgebildes"
komplizieren den manifesten Trauminhalt noch mehr. Aufgabe der Traum¬
deutung ist es nun, den Zusammenhang wiederherzustellen, den die Traum¬
arbeit aus Zensurangst entstellt, ja vernichtet hat. Dabei ist, entsprechend dem


Hütet Lues zu träumen und zu dichten!

eine Fülle von Träumen (vorzugsweise Krankenträumen), die er auf Grund
der oben erwähnten Psychoanalyse zu deuten unternimmt. Das Wesen dieser
Analyse besteht darin, daß der Träumer dem Denker (bzw. der Patient dem
Arzt) nicht nur seinen Traum, sondern alles, was ihm gerade einfällt, zu er¬
zählen hat. Es wird — gefördert natürlich durch Zwischenbemerkungen und
Fragen des (so viel ich weiß, unsichtbaren) Arztes an den in Ruhelage befind¬
lichen Kranken — eine möglichste Menge von Gedankenassoziationen herbei¬
geführt, wobei das Nebensächliche so bedeutungsvoll ist wie das scheinbar
Hauptsächliche, weil jede solche Gedankenäußerung für psychisch determiniert gilt
und weil, wie Freud meint, „auch von den Urteilen, die man nach dem Er¬
wachen über den erinnerten Traum fällt, den Empfindungen, die die Reproduktion
dieses Traunies in uns hervorruft", ein großer Teil dem verborgenen Sinn
des Traums angehören und „in die Deutung einzufügen" ist. Wie ist nun
diese Traumdeutung beschaffen und auf welchen Voraussetzungen beruht sie?
Wir haben das vorzugsweise sexuell bestimmte Unbewußte schon hinreichend
kennen gelernt, um zu vermuten, daß ihm die Hauptrolle bei der Deutung zu¬
fällt. Freud unterscheidet denn auch von dem manifesten Trauminhalt (dem
eigentlichen Traum) die latenten Traumgedanken, die ihre Nahrung aus dem
eingekerkerten Unbewußten ziehen. Die von seinem Schüler Rank aufgestellte
Grundformel, die auch er anerkennt, lautet: „Der Traum stellt regelmäßig auf
der Grundlage und mit Hilfe verdrängten infamen-sexuellen Materials aktuelle,
in der Regel auch erotische Wünsche in verhüllter und symbolisch eingekleideter
Form als erfüllt dar." Vergegenwärtigen wir uns die in dieser Formel nieder¬
gelegten Voraussetzungen, so steht an der Spitze der Satz: Jeder Traum ist ein
zu erfüllender Wunsch. Dieser Wunsch stammt aus dem uns schon vertrauten
Unbewußten. Da dieses in seiner anrüchigen Zusammensetzung sich gewissermaßen
nur auf Schleichwegen Gehör zu verschaffen vermag und eine strenge Zensur
zu passieren hat, um sich auch nur im Traum in unser Bewußtsein einzu¬
schmuggeln, muß es sich eine Umwertung raffiniertester Art gefallen lasten.
Das, was wir als manifesten Trauminhalt finden, ist das Ergebnis einer ver¬
wickelten Traumarbeit, die durch Verschiebung und Verdichtung, also durch
eine ausgiebige Traumentstellnng die Grundtriebe durchaus maskiert, die
Affekte verschiebt, den Nachdruck vom Wesentlichen auf das Nebensächliche
verlegt, kurzum nach Kräften verwischt und fälscht, um eben das bis zur
Unkenntlichkeit verkleidete Unbewußte durch die Zensur zu bringen und das
Bewußtseinsunfähige um jeden Preis bewußtseinsfähig, man könnte sagen,
stubenrein, zu macheu. Die Rücksicht auf die Darstellbarkeit in Sinnesbildern — der
Traum kann ja nur in Anschauungen, nicht abstrakt arbeiten — und, wenigstens
bisweilen, auf „ein rationelles und intelligibles Äußeres des Traumgebildes"
komplizieren den manifesten Trauminhalt noch mehr. Aufgabe der Traum¬
deutung ist es nun, den Zusammenhang wiederherzustellen, den die Traum¬
arbeit aus Zensurangst entstellt, ja vernichtet hat. Dabei ist, entsprechend dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/311>, abgerufen am 01.01.2025.