Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.lveltpolitik, von Frankreich aus gesehen erreichen, haben auch noch neuerdings wieder solche Formen angenommen, daß Dem Bestreben, durch Einwirkung auf die russisch-polnischen Beziehungen Wir haben erfahren, in welchem Umfange Frankreich dem Zarenreiche Durch das Einvernehmen mit England die französische Mittelmeerposition lveltpolitik, von Frankreich aus gesehen erreichen, haben auch noch neuerdings wieder solche Formen angenommen, daß Dem Bestreben, durch Einwirkung auf die russisch-polnischen Beziehungen Wir haben erfahren, in welchem Umfange Frankreich dem Zarenreiche Durch das Einvernehmen mit England die französische Mittelmeerposition <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0305" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327771"/> <fw type="header" place="top"> lveltpolitik, von Frankreich aus gesehen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1465" prev="#ID_1464"> erreichen, haben auch noch neuerdings wieder solche Formen angenommen, daß<lb/> man sich in der russischen Presse schließlich dagegen verwahren und den französischen<lb/> Freunden zu verstehen geben mußte, daß derartig grobkörnige Einmischungen<lb/> von dritter Seite den Interessen der russischen Polen selbst auf die Dauer nicht<lb/> dienlich sein könnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1466"> Dem Bestreben, durch Einwirkung auf die russisch-polnischen Beziehungen<lb/> die Gefahr einer polnischen Revolution während eines europäischen Krieges zu<lb/> bannen, ist das weitere Bestreben gefolgt, die russische Mobilmachung ganz<lb/> wesentlich zu beschleunigen, um durch die Wucht eines so beschleunigten russischen<lb/> Anpralls an der deutschen Ostgrenze die französische Ostgrenze entsprechend zu<lb/> entlasten. Diese Aufgabe war es in erster Linie, die Herrn Delcassö für seine<lb/> von Anfang an nur auf kurze Zeit berechnet gewesene diplomatische Mission in<lb/> Petersburg zugedacht wurde. Er hat sie ohne Zweifel so glänzend gelöst, wie<lb/> es angesichts der Verhältnisse in Rußland nur irgend denkbar war. Nie¬<lb/> mals war die diplomatische Intimität zwischen zwei selbständigen Staatswesen<lb/> größer als die zwischen Frankreich und Rußland in Verfolg dieser Delcassöschen<lb/> Arbeit. Man hat in der deutschen Öffentlichkeit diesen französischen Staatsmann<lb/> unterschätzt, als er nach Faschoda die englisch-französische Annäherung herbei¬<lb/> führte, hat ihn unterschätzt, als Fürst Bülow ihn im Verlauf der Marokkosache<lb/> vorübergehend, dem äußeren Schein nach, stürzen konnte, und hat ihn unterschätzt,<lb/> als man sich über sein vermeintliches Petersburger Fiasko lustig machen zu<lb/> dürfen meinte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1467"> Wir haben erfahren, in welchem Umfange Frankreich dem Zarenreiche<lb/> Mittel zur Erhöhung seiner militärischen Bereitschaft gen Westen und zur<lb/> wesentlichen Beschleunigung seiner Mobilmachung zur Verfügung stellt. Nußland<lb/> ließ sich um so leichter bereitfinden, gegen Deutschland bedrohlich aufzutreten,<lb/> als es ein lebhaftes Interesse hatte, darauf bedacht zu sein, den westlichen<lb/> Nachbar in Schach zu halten, damit er es nicht störe bei den geplanten Aus¬<lb/> breitungen der eigenen Westgrenze im Süden und im Norden in seinem Vor¬<lb/> gehen gegen die Türkei und in seinem Begehren nach freien Häfen an der<lb/> skandinavischen Küste des Atlantik.</p><lb/> <p xml:id="ID_1468"> Durch das Einvernehmen mit England die französische Mittelmeerposition<lb/> zu stützen, durch die Bedrohung von russischer Seite den östlichen Nachbarn zu<lb/> schwächen in der Abwehr der französischen Tendenz zur Verschiebung seiner<lb/> Ostgrenze — das sind die beiden Hanptabfichten, von denen die französische<lb/> Machtpolitik sich gegenwärtig leiten läßt. Unter diesen Gesichtswinkeln erscheint<lb/> heute die alte Welt, von Frankreich aus gesehen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0305]
lveltpolitik, von Frankreich aus gesehen
erreichen, haben auch noch neuerdings wieder solche Formen angenommen, daß
man sich in der russischen Presse schließlich dagegen verwahren und den französischen
Freunden zu verstehen geben mußte, daß derartig grobkörnige Einmischungen
von dritter Seite den Interessen der russischen Polen selbst auf die Dauer nicht
dienlich sein könnten.
Dem Bestreben, durch Einwirkung auf die russisch-polnischen Beziehungen
die Gefahr einer polnischen Revolution während eines europäischen Krieges zu
bannen, ist das weitere Bestreben gefolgt, die russische Mobilmachung ganz
wesentlich zu beschleunigen, um durch die Wucht eines so beschleunigten russischen
Anpralls an der deutschen Ostgrenze die französische Ostgrenze entsprechend zu
entlasten. Diese Aufgabe war es in erster Linie, die Herrn Delcassö für seine
von Anfang an nur auf kurze Zeit berechnet gewesene diplomatische Mission in
Petersburg zugedacht wurde. Er hat sie ohne Zweifel so glänzend gelöst, wie
es angesichts der Verhältnisse in Rußland nur irgend denkbar war. Nie¬
mals war die diplomatische Intimität zwischen zwei selbständigen Staatswesen
größer als die zwischen Frankreich und Rußland in Verfolg dieser Delcassöschen
Arbeit. Man hat in der deutschen Öffentlichkeit diesen französischen Staatsmann
unterschätzt, als er nach Faschoda die englisch-französische Annäherung herbei¬
führte, hat ihn unterschätzt, als Fürst Bülow ihn im Verlauf der Marokkosache
vorübergehend, dem äußeren Schein nach, stürzen konnte, und hat ihn unterschätzt,
als man sich über sein vermeintliches Petersburger Fiasko lustig machen zu
dürfen meinte.
Wir haben erfahren, in welchem Umfange Frankreich dem Zarenreiche
Mittel zur Erhöhung seiner militärischen Bereitschaft gen Westen und zur
wesentlichen Beschleunigung seiner Mobilmachung zur Verfügung stellt. Nußland
ließ sich um so leichter bereitfinden, gegen Deutschland bedrohlich aufzutreten,
als es ein lebhaftes Interesse hatte, darauf bedacht zu sein, den westlichen
Nachbar in Schach zu halten, damit er es nicht störe bei den geplanten Aus¬
breitungen der eigenen Westgrenze im Süden und im Norden in seinem Vor¬
gehen gegen die Türkei und in seinem Begehren nach freien Häfen an der
skandinavischen Küste des Atlantik.
Durch das Einvernehmen mit England die französische Mittelmeerposition
zu stützen, durch die Bedrohung von russischer Seite den östlichen Nachbarn zu
schwächen in der Abwehr der französischen Tendenz zur Verschiebung seiner
Ostgrenze — das sind die beiden Hanptabfichten, von denen die französische
Machtpolitik sich gegenwärtig leiten läßt. Unter diesen Gesichtswinkeln erscheint
heute die alte Welt, von Frankreich aus gesehen.
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