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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Modernes Hellenentum

dem sich der Grieche orientiert, die gesamte Kunst und Geistesrichtung des Landes
wird von der französischen Spruche bestimmt. Morsas dichtete französische
Sonette, die Handlung der gelesensten Romane hat Paris zum Schauplatz, und
die Werke der beliebten Dramatiker könnten überall spielen, nur nicht in Griechen¬
land. Hier und da, wie bei dem Maler Ralli, der, technisch von Israels be¬
einflußt, heimatliche Motive malt, scheinen ebenso nationale Anläufe vorhanden
zu sein wie in einigen Buzanz verherrlichenden Theaterstücken. Gefühl und
Wirkung aber sind rein äußerlich und verstauen ins Rührselige oder in einen
doktrinären Chauvinismus.

Zum Genießen, zur Kunst muß jedes Volk erst reifen. Nicht Spende noch
Wohltat können solche Reife herbeiführen, dies kann allein eine bewußte Erziehung.
Die Macht zur Kunsterziehung nun besäße in Griechenland einzig und allein
die Regierung.

Sobald eine fortschrittlich national denkende Negierung in Griechenland
ettvas für die Kunst tun will, ist sofort eine gegnerische Mehrheit mit ihrem
Geheimmittel zur Stelle; und dieses Geheimmittel heißt: Sprache! Zwei Sprachen
bestehen in Griechenland nebeneinander: die "äsmotiki" oder freie Bürgersprache
und die antiquisierende "I<Atarev0U8a" oder reine Sprache, die auf Stelzen geht.
Sobald nun irgendein neues bedeutendes Werk zu entstehen scheint, stürmt die
antiquisierende Sprache dagegen an, und so wird jede neue Leistung, jeder
künstlerische Fortschritt unmöglich. Noch immer beherrschen Griechenland
Parthenon und Akropolis.

Den besten Beweis für die ganze Sachlage liefert das Schicksal des neuen
griechischen Theaters. Im Ausland lebende Griechen hatten König Georg
bedeutende Summen zur Verschönerung Athens zur Verfügung gestellt. Der
König beschloß in richtiger Erkenntnis dessen, was seiner Hauptstadt besonders
mangelte, die Errichtung eines königlichen Theaters. Thon, der Adjutant des
Königs, wurde zum Intendanten ernannt. Leider benutzte er die Gelegenheit,
einen ihm gehörigen Bauplatz in der Konstantinstraße auf diese Weise gut los¬
zuwerden, so daß sich also das königliche Theater in einer Gegend erhob, die
ungefähr dem Berliner Norden entspricht. König Georg, der Paris außer¬
ordentlich liebte, weilte inzwischen in der französischen Hauptstadt und versprach
dort gutmütigerweise der Rejane, sie solle die Ehre haben, sein Theater zu
eröffnen. Nun brach der Sturm in der Presse Athens und bei den griechischen
Philologen los, die beide der Ansicht waren, ein nationales Theater müsse auch
vor allem der nationalen Muse dienen. Die Geldmittel waren durch die un¬
geheuren Uniosten aufgebraucht. Heftige Prcsseangriffe waren zu erwarten, so
beschloß man denn schließlich, mit einem eiligst zusammengerafften, mehr als
ungleichwertigen griechischen Schauspielermate.rial das Spiel zu beginnen. Der
griechische Dichter Wlachos wurde zum Direktor ernannt, als Oberregisseur
wurde der an namhaften deutschen Bühnen geschulte Herr Ekeuomo berufen.
Leider machte die Minderwertigkeit eines Teiles der zusammengerafften Schau-


Modernes Hellenentum

dem sich der Grieche orientiert, die gesamte Kunst und Geistesrichtung des Landes
wird von der französischen Spruche bestimmt. Morsas dichtete französische
Sonette, die Handlung der gelesensten Romane hat Paris zum Schauplatz, und
die Werke der beliebten Dramatiker könnten überall spielen, nur nicht in Griechen¬
land. Hier und da, wie bei dem Maler Ralli, der, technisch von Israels be¬
einflußt, heimatliche Motive malt, scheinen ebenso nationale Anläufe vorhanden
zu sein wie in einigen Buzanz verherrlichenden Theaterstücken. Gefühl und
Wirkung aber sind rein äußerlich und verstauen ins Rührselige oder in einen
doktrinären Chauvinismus.

Zum Genießen, zur Kunst muß jedes Volk erst reifen. Nicht Spende noch
Wohltat können solche Reife herbeiführen, dies kann allein eine bewußte Erziehung.
Die Macht zur Kunsterziehung nun besäße in Griechenland einzig und allein
die Regierung.

Sobald eine fortschrittlich national denkende Negierung in Griechenland
ettvas für die Kunst tun will, ist sofort eine gegnerische Mehrheit mit ihrem
Geheimmittel zur Stelle; und dieses Geheimmittel heißt: Sprache! Zwei Sprachen
bestehen in Griechenland nebeneinander: die „äsmotiki" oder freie Bürgersprache
und die antiquisierende „I<Atarev0U8a" oder reine Sprache, die auf Stelzen geht.
Sobald nun irgendein neues bedeutendes Werk zu entstehen scheint, stürmt die
antiquisierende Sprache dagegen an, und so wird jede neue Leistung, jeder
künstlerische Fortschritt unmöglich. Noch immer beherrschen Griechenland
Parthenon und Akropolis.

Den besten Beweis für die ganze Sachlage liefert das Schicksal des neuen
griechischen Theaters. Im Ausland lebende Griechen hatten König Georg
bedeutende Summen zur Verschönerung Athens zur Verfügung gestellt. Der
König beschloß in richtiger Erkenntnis dessen, was seiner Hauptstadt besonders
mangelte, die Errichtung eines königlichen Theaters. Thon, der Adjutant des
Königs, wurde zum Intendanten ernannt. Leider benutzte er die Gelegenheit,
einen ihm gehörigen Bauplatz in der Konstantinstraße auf diese Weise gut los¬
zuwerden, so daß sich also das königliche Theater in einer Gegend erhob, die
ungefähr dem Berliner Norden entspricht. König Georg, der Paris außer¬
ordentlich liebte, weilte inzwischen in der französischen Hauptstadt und versprach
dort gutmütigerweise der Rejane, sie solle die Ehre haben, sein Theater zu
eröffnen. Nun brach der Sturm in der Presse Athens und bei den griechischen
Philologen los, die beide der Ansicht waren, ein nationales Theater müsse auch
vor allem der nationalen Muse dienen. Die Geldmittel waren durch die un¬
geheuren Uniosten aufgebraucht. Heftige Prcsseangriffe waren zu erwarten, so
beschloß man denn schließlich, mit einem eiligst zusammengerafften, mehr als
ungleichwertigen griechischen Schauspielermate.rial das Spiel zu beginnen. Der
griechische Dichter Wlachos wurde zum Direktor ernannt, als Oberregisseur
wurde der an namhaften deutschen Bühnen geschulte Herr Ekeuomo berufen.
Leider machte die Minderwertigkeit eines Teiles der zusammengerafften Schau-


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[0295] Modernes Hellenentum dem sich der Grieche orientiert, die gesamte Kunst und Geistesrichtung des Landes wird von der französischen Spruche bestimmt. Morsas dichtete französische Sonette, die Handlung der gelesensten Romane hat Paris zum Schauplatz, und die Werke der beliebten Dramatiker könnten überall spielen, nur nicht in Griechen¬ land. Hier und da, wie bei dem Maler Ralli, der, technisch von Israels be¬ einflußt, heimatliche Motive malt, scheinen ebenso nationale Anläufe vorhanden zu sein wie in einigen Buzanz verherrlichenden Theaterstücken. Gefühl und Wirkung aber sind rein äußerlich und verstauen ins Rührselige oder in einen doktrinären Chauvinismus. Zum Genießen, zur Kunst muß jedes Volk erst reifen. Nicht Spende noch Wohltat können solche Reife herbeiführen, dies kann allein eine bewußte Erziehung. Die Macht zur Kunsterziehung nun besäße in Griechenland einzig und allein die Regierung. Sobald eine fortschrittlich national denkende Negierung in Griechenland ettvas für die Kunst tun will, ist sofort eine gegnerische Mehrheit mit ihrem Geheimmittel zur Stelle; und dieses Geheimmittel heißt: Sprache! Zwei Sprachen bestehen in Griechenland nebeneinander: die „äsmotiki" oder freie Bürgersprache und die antiquisierende „I<Atarev0U8a" oder reine Sprache, die auf Stelzen geht. Sobald nun irgendein neues bedeutendes Werk zu entstehen scheint, stürmt die antiquisierende Sprache dagegen an, und so wird jede neue Leistung, jeder künstlerische Fortschritt unmöglich. Noch immer beherrschen Griechenland Parthenon und Akropolis. Den besten Beweis für die ganze Sachlage liefert das Schicksal des neuen griechischen Theaters. Im Ausland lebende Griechen hatten König Georg bedeutende Summen zur Verschönerung Athens zur Verfügung gestellt. Der König beschloß in richtiger Erkenntnis dessen, was seiner Hauptstadt besonders mangelte, die Errichtung eines königlichen Theaters. Thon, der Adjutant des Königs, wurde zum Intendanten ernannt. Leider benutzte er die Gelegenheit, einen ihm gehörigen Bauplatz in der Konstantinstraße auf diese Weise gut los¬ zuwerden, so daß sich also das königliche Theater in einer Gegend erhob, die ungefähr dem Berliner Norden entspricht. König Georg, der Paris außer¬ ordentlich liebte, weilte inzwischen in der französischen Hauptstadt und versprach dort gutmütigerweise der Rejane, sie solle die Ehre haben, sein Theater zu eröffnen. Nun brach der Sturm in der Presse Athens und bei den griechischen Philologen los, die beide der Ansicht waren, ein nationales Theater müsse auch vor allem der nationalen Muse dienen. Die Geldmittel waren durch die un¬ geheuren Uniosten aufgebraucht. Heftige Prcsseangriffe waren zu erwarten, so beschloß man denn schließlich, mit einem eiligst zusammengerafften, mehr als ungleichwertigen griechischen Schauspielermate.rial das Spiel zu beginnen. Der griechische Dichter Wlachos wurde zum Direktor ernannt, als Oberregisseur wurde der an namhaften deutschen Bühnen geschulte Herr Ekeuomo berufen. Leider machte die Minderwertigkeit eines Teiles der zusammengerafften Schau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/295>, abgerufen am 04.01.2025.