Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Modernes Hellenentum Das letzte Jahrzehnt hat eine gewisse Reformation angebahnt. Die könig¬ Ist nun wirklich das griechische Volk zu arm, um sich für Kunst und Die Qualität des Gebotenen trägt gleichfalls keine Schuld. Das Hof¬ An Interesse von oben war keineswegs ein Mangel, wie dies die Soll immerhin der Endzweck aller Kunst Vergnügen sein, wie das die Modernes Hellenentum Das letzte Jahrzehnt hat eine gewisse Reformation angebahnt. Die könig¬ Ist nun wirklich das griechische Volk zu arm, um sich für Kunst und Die Qualität des Gebotenen trägt gleichfalls keine Schuld. Das Hof¬ An Interesse von oben war keineswegs ein Mangel, wie dies die Soll immerhin der Endzweck aller Kunst Vergnügen sein, wie das die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327760"/> <fw type="header" place="top"> Modernes Hellenentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_1418"> Das letzte Jahrzehnt hat eine gewisse Reformation angebahnt. Die könig¬<lb/> liche Bühne wurde geschaffen und Konstantin Christomanus, der bekannte ehe¬<lb/> malige Vorleser der Kaiserin Elisabeth von Österreich, eröffnete die „Neue<lb/> Bühne". Beide Bühnen mußten nach wenigen Jahren schließen. Aber oben<lb/> auf der Akropolis glänzt noch immer das Parthenon und freut sich seiner Über¬<lb/> legenheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1419"> Ist nun wirklich das griechische Volk zu arm, um sich für Kunst und<lb/> Literatur interessieren zu können? Im Auslande wird der Wohlstand Griechen¬<lb/> lands bedeutend unterschätzt. In Athen selbst wie in der Provinz sitzen genügend<lb/> reiche Leute, die sich ihre nationale Kunst ruhig etwas kosten lassen könnten.<lb/> Jedes Jahr besuchen zahlreiche französische Theatertruppen wie Ferrody, Toutaine,<lb/> Leroi usw. das Land. Sie verlangten bescheidenerweise nicht weniger als<lb/> 20 Drachmen für einen Parkettsitz, ein Preis, der sich während der berüchtigten<lb/> Charte-Clan'Tournee auf 50 Franken verstieg. Der Preis für einen Parkettsitz<lb/> im Hoftheater betrug nur 4 Drachmen. Die französischen Truppen machen<lb/> glänzende Geschäfte; am Geldmangel liegt es also nicht. Wohl aber an einem'<lb/> Mangel an ernstem Interesse für nationale Kunst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1420"> Die Qualität des Gebotenen trägt gleichfalls keine Schuld. Das Hof¬<lb/> theater stand zweifellos auf einer höheren Kulturstufe als die hier überall<lb/> blühenden Cass-Chantants. Die Ausstattung war glänzend, kostspielig und<lb/> künstlerisch. Die großeuropäisch gebildeten Dichter und Schauspieler stellten<lb/> ein im Vergleich mit dem Ausland durchaus nicht minderwertiges Material<lb/> dar. Nur etwas fehlte: freie Luft, Aufschwung, mit einem Worte das<lb/> Sprungbrett.</p><lb/> <p xml:id="ID_1421"> An Interesse von oben war keineswegs ein Mangel, wie dies die<lb/> Künstler teilweise behaupten. Mehr als auf den Ausstellungen Bilder kaufen,<lb/> Dichtern Jahresgagen zahlen, mehr als ein Theater erbauen und es trotz<lb/> gewaltigen Defizits durchhalten, konnte auch König Georg der Erste nicht tun.<lb/> Ja, der König tat noch weit mehr. Seine Majestät ließ sich dazu herab, die<lb/> tonangebenden Familien zu besuchen und ihren eifrigen Besuch in dem neuen<lb/> Hause anzuregen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1422" next="#ID_1423"> Soll immerhin der Endzweck aller Kunst Vergnügen sein, wie das die<lb/> Mehrheit will, so gibt es daneben doch noch ein anderes: die Wahrung nationaler<lb/> Güter, deren Notwendigkeit jedes reife Volk empfindet und für die sich das<lb/> ganze Volk einzusetzen hat. Es muß nicht ohne Bitterkeit ausgesprochen werden,<lb/> daß man solches nationales Empfinden weder beim griechischen Volke noch bei<lb/> vielen der griechischen Künstler findet. In Griechenland erschlägt die Ver¬<lb/> gangenheit die Gegenwart. Der Grieche sieht ausschließlich rückwärts. Er<lb/> führt seine Herrlichkeit auf die großen Ahnen zurück und läßt im übrigen das<lb/> neue Hellas Hellas sein. Seine Begierde nach Fortschritt erschöpft sich in der<lb/> Nachäffung ausländischer Moden, mögen diese auch zu seinem Charakter wie<lb/> die Faust aufs Auge passen. Vor allem ist Frankreich der Leuchtturm, nach</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
Modernes Hellenentum
Das letzte Jahrzehnt hat eine gewisse Reformation angebahnt. Die könig¬
liche Bühne wurde geschaffen und Konstantin Christomanus, der bekannte ehe¬
malige Vorleser der Kaiserin Elisabeth von Österreich, eröffnete die „Neue
Bühne". Beide Bühnen mußten nach wenigen Jahren schließen. Aber oben
auf der Akropolis glänzt noch immer das Parthenon und freut sich seiner Über¬
legenheit.
Ist nun wirklich das griechische Volk zu arm, um sich für Kunst und
Literatur interessieren zu können? Im Auslande wird der Wohlstand Griechen¬
lands bedeutend unterschätzt. In Athen selbst wie in der Provinz sitzen genügend
reiche Leute, die sich ihre nationale Kunst ruhig etwas kosten lassen könnten.
Jedes Jahr besuchen zahlreiche französische Theatertruppen wie Ferrody, Toutaine,
Leroi usw. das Land. Sie verlangten bescheidenerweise nicht weniger als
20 Drachmen für einen Parkettsitz, ein Preis, der sich während der berüchtigten
Charte-Clan'Tournee auf 50 Franken verstieg. Der Preis für einen Parkettsitz
im Hoftheater betrug nur 4 Drachmen. Die französischen Truppen machen
glänzende Geschäfte; am Geldmangel liegt es also nicht. Wohl aber an einem'
Mangel an ernstem Interesse für nationale Kunst.
Die Qualität des Gebotenen trägt gleichfalls keine Schuld. Das Hof¬
theater stand zweifellos auf einer höheren Kulturstufe als die hier überall
blühenden Cass-Chantants. Die Ausstattung war glänzend, kostspielig und
künstlerisch. Die großeuropäisch gebildeten Dichter und Schauspieler stellten
ein im Vergleich mit dem Ausland durchaus nicht minderwertiges Material
dar. Nur etwas fehlte: freie Luft, Aufschwung, mit einem Worte das
Sprungbrett.
An Interesse von oben war keineswegs ein Mangel, wie dies die
Künstler teilweise behaupten. Mehr als auf den Ausstellungen Bilder kaufen,
Dichtern Jahresgagen zahlen, mehr als ein Theater erbauen und es trotz
gewaltigen Defizits durchhalten, konnte auch König Georg der Erste nicht tun.
Ja, der König tat noch weit mehr. Seine Majestät ließ sich dazu herab, die
tonangebenden Familien zu besuchen und ihren eifrigen Besuch in dem neuen
Hause anzuregen.
Soll immerhin der Endzweck aller Kunst Vergnügen sein, wie das die
Mehrheit will, so gibt es daneben doch noch ein anderes: die Wahrung nationaler
Güter, deren Notwendigkeit jedes reife Volk empfindet und für die sich das
ganze Volk einzusetzen hat. Es muß nicht ohne Bitterkeit ausgesprochen werden,
daß man solches nationales Empfinden weder beim griechischen Volke noch bei
vielen der griechischen Künstler findet. In Griechenland erschlägt die Ver¬
gangenheit die Gegenwart. Der Grieche sieht ausschließlich rückwärts. Er
führt seine Herrlichkeit auf die großen Ahnen zurück und läßt im übrigen das
neue Hellas Hellas sein. Seine Begierde nach Fortschritt erschöpft sich in der
Nachäffung ausländischer Moden, mögen diese auch zu seinem Charakter wie
die Faust aufs Auge passen. Vor allem ist Frankreich der Leuchtturm, nach
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