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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Modernes Hellenentum

Gesprächen über den neuesten Pariser Schläger und seine Absicht, demnächst
wieder seine gewohnte Reise über Marseille nach Paris anzutreten. Alle aber
suhlen sich als die Nachkommen des großen Perikles und seiner Athena, alle
sind stolz darauf, daß der Schatten der Mropolis über sie fällt und -- sie
erdrückt.

Indessen sitzen in einem kleinen Kaffeehaus eines entlegenen Stadtteils
einige Künstler zusammen. Hier ist die Luft reiner, denn nur wenige rauchen
und nur ein Drittel bestellt einen Kaffee, obschon dieser hier bloß 10 oder gar
5 Lepta kostet. Die Besucher sind fast ausschließlich bildende Künstler. Dichter
und Schauspieler; der Typus des Musikers fehlt in Griechenland so gut wie
völlig. Blaß und verhungert seufzen und klagen sie über ihr furchtbares Los.
Eine Sehnsucht beherrscht sie alle: die nötigen Mittel aufzutreiben, um in das
paradiesische Ausland zu fliehen. Einige von ihnen sind in der Fremde groß
geworden, wie der Dichter Jean Mor6as in Paris und der Maler Guisis in
München. Nun möchten ihnen alle nach. Nimmt man den Direktor der
Königlichen Akademie der bildenden Künste und noch ein oder zwei andere aus,
die bei der Aristokratie eingeführt und beliebt sind, so muß der Rest der
athenischen Künstler mit erniedrigenden Arbeiten sein Brot verdienen, mit
Schildermalen oder mit der mechanischen Fabrikation sogenannter byzan¬
tinischer Heiligenbilder für einen Händler gegen einen mehr als kärg¬
lichen Lohn.

Der Dichter ist im heutigen Athen noch schlimmer daran. Es ist möglich,
daß er bei einer der wenigen mangelhaft finanzierten Zeitungen oder Wochen¬
schriften als Reporter unterkomme, um sich langsam, langsam unter tausend
Widerwärtigkeiten emporzurackern. Es gibt ja auch hier und da einen Buch¬
verleger oder einen den Druck bezahlenden Mäcen. Aber es gibt kein Honorar.
Der Dichter kann von Zeit zu Zeit ein oder zwei Franken verdienen, indem er
mit seinem Werke hausieren geht oder einen Bekannten unter der Hand bittet,
ihm ein Buch abzukaufen. Stephanos Marzokis ist nach Solomos als der
größte Dichter des heutigen Griechenland anerkannt. Einige Zeit hielt er sich
Nut Stundengeben über Wasser. Dann geriet er ins äußerste Elend, verkaufte
seine schöne Bibliothek und verrenkte schließlich, während der letzten Kriege von
feinen helfenden Freunden verlassen, auf dem Stroh.

Für die Schauspieler hat sich die Lage in den letzten Jahren ein klein
wenig gebessert, aber wie steht sie heute noch für die Mehrzahl? Um nur
einigermaßen bei einer Theatergesellschaft unterzukommen, muß der Schauspieler
eine hübsche Frau haben. Der Durchschnittsgrieche geht nur der Frauen wegen
ins Theater. So engagieren denn die Theaterdirektoren lediglich Frauen mit
einer möglichst großen Liebhaberschar, und der als notwendiges Übel mit¬
engagierte Mann muß da, abgesehen von seiner schauspielerischen Tätigkeit,
passiv mittun, um im richtigen Augenblicke allein in irgendeinem berüchtigten
Spielleiter zu verschwinden.


Modernes Hellenentum

Gesprächen über den neuesten Pariser Schläger und seine Absicht, demnächst
wieder seine gewohnte Reise über Marseille nach Paris anzutreten. Alle aber
suhlen sich als die Nachkommen des großen Perikles und seiner Athena, alle
sind stolz darauf, daß der Schatten der Mropolis über sie fällt und — sie
erdrückt.

Indessen sitzen in einem kleinen Kaffeehaus eines entlegenen Stadtteils
einige Künstler zusammen. Hier ist die Luft reiner, denn nur wenige rauchen
und nur ein Drittel bestellt einen Kaffee, obschon dieser hier bloß 10 oder gar
5 Lepta kostet. Die Besucher sind fast ausschließlich bildende Künstler. Dichter
und Schauspieler; der Typus des Musikers fehlt in Griechenland so gut wie
völlig. Blaß und verhungert seufzen und klagen sie über ihr furchtbares Los.
Eine Sehnsucht beherrscht sie alle: die nötigen Mittel aufzutreiben, um in das
paradiesische Ausland zu fliehen. Einige von ihnen sind in der Fremde groß
geworden, wie der Dichter Jean Mor6as in Paris und der Maler Guisis in
München. Nun möchten ihnen alle nach. Nimmt man den Direktor der
Königlichen Akademie der bildenden Künste und noch ein oder zwei andere aus,
die bei der Aristokratie eingeführt und beliebt sind, so muß der Rest der
athenischen Künstler mit erniedrigenden Arbeiten sein Brot verdienen, mit
Schildermalen oder mit der mechanischen Fabrikation sogenannter byzan¬
tinischer Heiligenbilder für einen Händler gegen einen mehr als kärg¬
lichen Lohn.

Der Dichter ist im heutigen Athen noch schlimmer daran. Es ist möglich,
daß er bei einer der wenigen mangelhaft finanzierten Zeitungen oder Wochen¬
schriften als Reporter unterkomme, um sich langsam, langsam unter tausend
Widerwärtigkeiten emporzurackern. Es gibt ja auch hier und da einen Buch¬
verleger oder einen den Druck bezahlenden Mäcen. Aber es gibt kein Honorar.
Der Dichter kann von Zeit zu Zeit ein oder zwei Franken verdienen, indem er
mit seinem Werke hausieren geht oder einen Bekannten unter der Hand bittet,
ihm ein Buch abzukaufen. Stephanos Marzokis ist nach Solomos als der
größte Dichter des heutigen Griechenland anerkannt. Einige Zeit hielt er sich
Nut Stundengeben über Wasser. Dann geriet er ins äußerste Elend, verkaufte
seine schöne Bibliothek und verrenkte schließlich, während der letzten Kriege von
feinen helfenden Freunden verlassen, auf dem Stroh.

Für die Schauspieler hat sich die Lage in den letzten Jahren ein klein
wenig gebessert, aber wie steht sie heute noch für die Mehrzahl? Um nur
einigermaßen bei einer Theatergesellschaft unterzukommen, muß der Schauspieler
eine hübsche Frau haben. Der Durchschnittsgrieche geht nur der Frauen wegen
ins Theater. So engagieren denn die Theaterdirektoren lediglich Frauen mit
einer möglichst großen Liebhaberschar, und der als notwendiges Übel mit¬
engagierte Mann muß da, abgesehen von seiner schauspielerischen Tätigkeit,
passiv mittun, um im richtigen Augenblicke allein in irgendeinem berüchtigten
Spielleiter zu verschwinden.


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[0293] Modernes Hellenentum Gesprächen über den neuesten Pariser Schläger und seine Absicht, demnächst wieder seine gewohnte Reise über Marseille nach Paris anzutreten. Alle aber suhlen sich als die Nachkommen des großen Perikles und seiner Athena, alle sind stolz darauf, daß der Schatten der Mropolis über sie fällt und — sie erdrückt. Indessen sitzen in einem kleinen Kaffeehaus eines entlegenen Stadtteils einige Künstler zusammen. Hier ist die Luft reiner, denn nur wenige rauchen und nur ein Drittel bestellt einen Kaffee, obschon dieser hier bloß 10 oder gar 5 Lepta kostet. Die Besucher sind fast ausschließlich bildende Künstler. Dichter und Schauspieler; der Typus des Musikers fehlt in Griechenland so gut wie völlig. Blaß und verhungert seufzen und klagen sie über ihr furchtbares Los. Eine Sehnsucht beherrscht sie alle: die nötigen Mittel aufzutreiben, um in das paradiesische Ausland zu fliehen. Einige von ihnen sind in der Fremde groß geworden, wie der Dichter Jean Mor6as in Paris und der Maler Guisis in München. Nun möchten ihnen alle nach. Nimmt man den Direktor der Königlichen Akademie der bildenden Künste und noch ein oder zwei andere aus, die bei der Aristokratie eingeführt und beliebt sind, so muß der Rest der athenischen Künstler mit erniedrigenden Arbeiten sein Brot verdienen, mit Schildermalen oder mit der mechanischen Fabrikation sogenannter byzan¬ tinischer Heiligenbilder für einen Händler gegen einen mehr als kärg¬ lichen Lohn. Der Dichter ist im heutigen Athen noch schlimmer daran. Es ist möglich, daß er bei einer der wenigen mangelhaft finanzierten Zeitungen oder Wochen¬ schriften als Reporter unterkomme, um sich langsam, langsam unter tausend Widerwärtigkeiten emporzurackern. Es gibt ja auch hier und da einen Buch¬ verleger oder einen den Druck bezahlenden Mäcen. Aber es gibt kein Honorar. Der Dichter kann von Zeit zu Zeit ein oder zwei Franken verdienen, indem er mit seinem Werke hausieren geht oder einen Bekannten unter der Hand bittet, ihm ein Buch abzukaufen. Stephanos Marzokis ist nach Solomos als der größte Dichter des heutigen Griechenland anerkannt. Einige Zeit hielt er sich Nut Stundengeben über Wasser. Dann geriet er ins äußerste Elend, verkaufte seine schöne Bibliothek und verrenkte schließlich, während der letzten Kriege von feinen helfenden Freunden verlassen, auf dem Stroh. Für die Schauspieler hat sich die Lage in den letzten Jahren ein klein wenig gebessert, aber wie steht sie heute noch für die Mehrzahl? Um nur einigermaßen bei einer Theatergesellschaft unterzukommen, muß der Schauspieler eine hübsche Frau haben. Der Durchschnittsgrieche geht nur der Frauen wegen ins Theater. So engagieren denn die Theaterdirektoren lediglich Frauen mit einer möglichst großen Liebhaberschar, und der als notwendiges Übel mit¬ engagierte Mann muß da, abgesehen von seiner schauspielerischen Tätigkeit, passiv mittun, um im richtigen Augenblicke allein in irgendeinem berüchtigten Spielleiter zu verschwinden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/293>, abgerufen am 29.12.2024.