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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

sagt mir die Richtung nach dem Laacher Kloster. Ich helfe mir schon durch
-- weiß jetzt mehr Bescheid mit Eurer Art und Sprache."

Noch einmal beugte sie sich aus dem Loch und warf vorsichtig zuerst den
großen, dann den kleinen Schlüssel ins Wasser. Einen Augenblick horchte sie
auf das langsame Fallen der schweren Dinger, dann wandte sie sich von neuem
zu Sebastian.

"Gebt mir Eure Kleider, Junker, und habt Ihr kein Brett oder dergleichen?
Ich will versuchen, darauf Hinüberzugleiten. Aber wir müssen uns eilen.
Jetzt schläft wohl alles; aber wer weiß, was geschieht, wenn Kütha nicht in
den Turm kommen kann! Manchmal kam sie noch spät am Abend, manchmal
nicht; es war ganz unbestimmt. Also ist Eile vonnöten!"

"Ihr müßt warten bis nach Mitternacht!" erwiderte Sebastian und hörte
in demselben Augenblick die Schläge der Turmuhr. Sie klangen wie eine
Warnung, und er bekreuzigte sich unwillkürlich. Er beging eine Sünde, er
wußte es, und doch tat ihm sein Herz weh, wenn er dachte, daß er gleich Ab¬
schied von der Jungfrau nehmen sollte.

Sie aber drängte ihn.

"Habt Ihr die Uhr Mitternacht schlagen gehört? Jetzt ist es Zeit. Gebt
mir die Kleider!"

Er gehorchte schweigend. In einem Wandschrank hing ein altes Jagdkleid
von ihm. Ein vertragener Rock, dazu enge Beinkleider. Er warf beides der
Jungfrau hin, die vor seinem Schreibtisch stand und auf die vielen Papiere sah,
die dort aufgehäuft lagen. Sie hielt die Lampe in der Hand und warf dann
auch noch einen Blick auf die kahlen Wände, an denen nur das Bild des
heiligen Sebastian hing, und auf den einfachen Betstuhl in der Ecke.

"Schreibt und betet Ihr den ganzen Tag?" fragte sie, und es klang wie
Ehrerbietung in ihrer Stimme.

"Ich schreibe viel und ich möchte auch gern beten!" entgegnete er. Eigentlich
wollte er sich ein wenig mit seiner Heiligkeit brüsten, aber es kam ein Gefühl
des Elends über ihn, wie er es noch nie gekannt hatte.

"Alle Gebete werden nicht erhört!" sagte er, und wieder traf ihn der Blick
ihrer großen Augen.

"An Eurer Stelle wäre ich ein Kriegsmann geworden!" sagte sie. "Die
können auch fromm sein, und sie stehen mitten in der Welt. Wer aber Bücher
schreibt, der weiß nichts vom Leben und denkt nur an die, die vielleicht lange
tot sind!"

"Was wißt Ihr davon?"

"Nicht viel, Junker! Die Kätha hat mir von einem Ritterbürtigen erzählt,
der hier wohnt, für den sie kochte und der den ganzen Tag auf Papier schreibt.
Über die heilige Genoveva, von der ich auch gehört habe. Denn bei uns im
Norden weiß man ganz viel von den Heiligen, und wir haben Achtung vor
ihnen, wenn wir sie auch nicht anbeten. Wir beten den dreieinigen Gott an


Die Hexe von Mayen

sagt mir die Richtung nach dem Laacher Kloster. Ich helfe mir schon durch
— weiß jetzt mehr Bescheid mit Eurer Art und Sprache."

Noch einmal beugte sie sich aus dem Loch und warf vorsichtig zuerst den
großen, dann den kleinen Schlüssel ins Wasser. Einen Augenblick horchte sie
auf das langsame Fallen der schweren Dinger, dann wandte sie sich von neuem
zu Sebastian.

„Gebt mir Eure Kleider, Junker, und habt Ihr kein Brett oder dergleichen?
Ich will versuchen, darauf Hinüberzugleiten. Aber wir müssen uns eilen.
Jetzt schläft wohl alles; aber wer weiß, was geschieht, wenn Kütha nicht in
den Turm kommen kann! Manchmal kam sie noch spät am Abend, manchmal
nicht; es war ganz unbestimmt. Also ist Eile vonnöten!"

„Ihr müßt warten bis nach Mitternacht!" erwiderte Sebastian und hörte
in demselben Augenblick die Schläge der Turmuhr. Sie klangen wie eine
Warnung, und er bekreuzigte sich unwillkürlich. Er beging eine Sünde, er
wußte es, und doch tat ihm sein Herz weh, wenn er dachte, daß er gleich Ab¬
schied von der Jungfrau nehmen sollte.

Sie aber drängte ihn.

„Habt Ihr die Uhr Mitternacht schlagen gehört? Jetzt ist es Zeit. Gebt
mir die Kleider!"

Er gehorchte schweigend. In einem Wandschrank hing ein altes Jagdkleid
von ihm. Ein vertragener Rock, dazu enge Beinkleider. Er warf beides der
Jungfrau hin, die vor seinem Schreibtisch stand und auf die vielen Papiere sah,
die dort aufgehäuft lagen. Sie hielt die Lampe in der Hand und warf dann
auch noch einen Blick auf die kahlen Wände, an denen nur das Bild des
heiligen Sebastian hing, und auf den einfachen Betstuhl in der Ecke.

„Schreibt und betet Ihr den ganzen Tag?" fragte sie, und es klang wie
Ehrerbietung in ihrer Stimme.

„Ich schreibe viel und ich möchte auch gern beten!" entgegnete er. Eigentlich
wollte er sich ein wenig mit seiner Heiligkeit brüsten, aber es kam ein Gefühl
des Elends über ihn, wie er es noch nie gekannt hatte.

„Alle Gebete werden nicht erhört!" sagte er, und wieder traf ihn der Blick
ihrer großen Augen.

„An Eurer Stelle wäre ich ein Kriegsmann geworden!" sagte sie. „Die
können auch fromm sein, und sie stehen mitten in der Welt. Wer aber Bücher
schreibt, der weiß nichts vom Leben und denkt nur an die, die vielleicht lange
tot sind!"

„Was wißt Ihr davon?"

„Nicht viel, Junker! Die Kätha hat mir von einem Ritterbürtigen erzählt,
der hier wohnt, für den sie kochte und der den ganzen Tag auf Papier schreibt.
Über die heilige Genoveva, von der ich auch gehört habe. Denn bei uns im
Norden weiß man ganz viel von den Heiligen, und wir haben Achtung vor
ihnen, wenn wir sie auch nicht anbeten. Wir beten den dreieinigen Gott an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/290>, abgerufen am 01.01.2025.