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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

und damit sind wir zufrieden. Darum aber habe ich doch von der Genoveva
gehört und möchte wohl ein Buch über sie lesen, da ich gut lesen kann und
mich gern darin übe. Warum aber wollt Ihr dies Buch schreiben? So ein
junger Herr, der Besseres tun könnte!" Sebastian hörte ihr ernsthaft zu, dann
schüttelte er den Kopf.

"Fräulein, es gibt verschiedene Berufungen: ich bin zur Gelehrsamkeit und
zum Nachdenken berufen worden, darin darf mich niemand stören. Ihr aber
müßt Euch zurecht machen, und dann versuchen wir beide, über den Stadt¬
graben zu kommen!"

"Ich allein!" Heilwig sprach herrisch. "Was soll die Stadt sagen, wenn
Ihr morgen mit der Hexe verschwunden seid? Sie wird sagen, ich hätte Euch
verführt. Das will ich nicht, laßt mich allein gehen und beschreibt mir nur
den Weg!"

Sie achtete nicht auf seine Antwort, lief in die nebenstehende Kammer, wo
Sebastians Lagerstatt war, und kehrte nach wenigen Augenblicken zurück. In
Jagdrock und Hosen, ein altes Messer im Gürtel und die Haare unter einer
Lederkappe verborgen.

"Habt Ihr einen Spiegel?" fragte sie, und er schüttelte den Kopf. Jetzt
fand er sie noch schöner als in dem Tuchkleid, und der Abschied wurde
ihm schwer.

Sie gab ihm ein Bündel.

"Hier sind meine Kleider! Verwahrt sie, daß der Stadtschreiber sie nicht
findet. Er wird kommen und alles bei Euch durchsuchen, dessen bin ich sicher.
Und nun sagt mir noch einmal den Weg: der Mond scheint und ich werde schon
hinfinden I"

Sie war heiter und er fühlte von neuem einen stechenden Schmerz. Dann
aber nahm er sich zusammen und beschrieb ihr den Pfad. Über die Berge ging
es und wieder an den Steinbrüchen vorüber, in denen die Kottenheimer sie
faßten. Und dann kam nachher Niedermendig, wo gleichfalls Höhlen in der
Erde waren, wo man sich verbergen konnte, wenn man den richtigen Eingang
wußte. Und dann brauchte man nicht mehr lange zu gehen: der Wald nahm
einen auf und am tiefen Laacher See lag die Benediktiner-Abtei.

Die Mönche ließen keine Frauen in ihr Kloster, die Jungfrau wußte dies
vielleicht nicht. Nein, sie wußte es nicht und stutzte; dann aber warf sie den
Kopf in den Nacken und sagte, daß sie an die Pforte klopfen und bitten wollte,
den Herrn Abt zu sehen. Vielleicht käme er dann zu ihr.

Junker Sebastian war immer bedenklicher geworden.

"Ihr solltet hier bleiben," begann er, aber sie lief schon in den Garten,
in den der Mond durch die Maueröffnung schien, und verlangte ein Brett oder
eine Strickleiter. Zögernd stand er vor ihr, sie ließ ihre Blicke schweifen und
sah einige Bohnenlatten in der Ecke neben dem Hause stehen.


Die Hexe von Mayen

und damit sind wir zufrieden. Darum aber habe ich doch von der Genoveva
gehört und möchte wohl ein Buch über sie lesen, da ich gut lesen kann und
mich gern darin übe. Warum aber wollt Ihr dies Buch schreiben? So ein
junger Herr, der Besseres tun könnte!" Sebastian hörte ihr ernsthaft zu, dann
schüttelte er den Kopf.

„Fräulein, es gibt verschiedene Berufungen: ich bin zur Gelehrsamkeit und
zum Nachdenken berufen worden, darin darf mich niemand stören. Ihr aber
müßt Euch zurecht machen, und dann versuchen wir beide, über den Stadt¬
graben zu kommen!"

„Ich allein!" Heilwig sprach herrisch. „Was soll die Stadt sagen, wenn
Ihr morgen mit der Hexe verschwunden seid? Sie wird sagen, ich hätte Euch
verführt. Das will ich nicht, laßt mich allein gehen und beschreibt mir nur
den Weg!"

Sie achtete nicht auf seine Antwort, lief in die nebenstehende Kammer, wo
Sebastians Lagerstatt war, und kehrte nach wenigen Augenblicken zurück. In
Jagdrock und Hosen, ein altes Messer im Gürtel und die Haare unter einer
Lederkappe verborgen.

„Habt Ihr einen Spiegel?" fragte sie, und er schüttelte den Kopf. Jetzt
fand er sie noch schöner als in dem Tuchkleid, und der Abschied wurde
ihm schwer.

Sie gab ihm ein Bündel.

„Hier sind meine Kleider! Verwahrt sie, daß der Stadtschreiber sie nicht
findet. Er wird kommen und alles bei Euch durchsuchen, dessen bin ich sicher.
Und nun sagt mir noch einmal den Weg: der Mond scheint und ich werde schon
hinfinden I"

Sie war heiter und er fühlte von neuem einen stechenden Schmerz. Dann
aber nahm er sich zusammen und beschrieb ihr den Pfad. Über die Berge ging
es und wieder an den Steinbrüchen vorüber, in denen die Kottenheimer sie
faßten. Und dann kam nachher Niedermendig, wo gleichfalls Höhlen in der
Erde waren, wo man sich verbergen konnte, wenn man den richtigen Eingang
wußte. Und dann brauchte man nicht mehr lange zu gehen: der Wald nahm
einen auf und am tiefen Laacher See lag die Benediktiner-Abtei.

Die Mönche ließen keine Frauen in ihr Kloster, die Jungfrau wußte dies
vielleicht nicht. Nein, sie wußte es nicht und stutzte; dann aber warf sie den
Kopf in den Nacken und sagte, daß sie an die Pforte klopfen und bitten wollte,
den Herrn Abt zu sehen. Vielleicht käme er dann zu ihr.

Junker Sebastian war immer bedenklicher geworden.

„Ihr solltet hier bleiben," begann er, aber sie lief schon in den Garten,
in den der Mond durch die Maueröffnung schien, und verlangte ein Brett oder
eine Strickleiter. Zögernd stand er vor ihr, sie ließ ihre Blicke schweifen und
sah einige Bohnenlatten in der Ecke neben dem Hause stehen.


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[0291] Die Hexe von Mayen und damit sind wir zufrieden. Darum aber habe ich doch von der Genoveva gehört und möchte wohl ein Buch über sie lesen, da ich gut lesen kann und mich gern darin übe. Warum aber wollt Ihr dies Buch schreiben? So ein junger Herr, der Besseres tun könnte!" Sebastian hörte ihr ernsthaft zu, dann schüttelte er den Kopf. „Fräulein, es gibt verschiedene Berufungen: ich bin zur Gelehrsamkeit und zum Nachdenken berufen worden, darin darf mich niemand stören. Ihr aber müßt Euch zurecht machen, und dann versuchen wir beide, über den Stadt¬ graben zu kommen!" „Ich allein!" Heilwig sprach herrisch. „Was soll die Stadt sagen, wenn Ihr morgen mit der Hexe verschwunden seid? Sie wird sagen, ich hätte Euch verführt. Das will ich nicht, laßt mich allein gehen und beschreibt mir nur den Weg!" Sie achtete nicht auf seine Antwort, lief in die nebenstehende Kammer, wo Sebastians Lagerstatt war, und kehrte nach wenigen Augenblicken zurück. In Jagdrock und Hosen, ein altes Messer im Gürtel und die Haare unter einer Lederkappe verborgen. „Habt Ihr einen Spiegel?" fragte sie, und er schüttelte den Kopf. Jetzt fand er sie noch schöner als in dem Tuchkleid, und der Abschied wurde ihm schwer. Sie gab ihm ein Bündel. „Hier sind meine Kleider! Verwahrt sie, daß der Stadtschreiber sie nicht findet. Er wird kommen und alles bei Euch durchsuchen, dessen bin ich sicher. Und nun sagt mir noch einmal den Weg: der Mond scheint und ich werde schon hinfinden I" Sie war heiter und er fühlte von neuem einen stechenden Schmerz. Dann aber nahm er sich zusammen und beschrieb ihr den Pfad. Über die Berge ging es und wieder an den Steinbrüchen vorüber, in denen die Kottenheimer sie faßten. Und dann kam nachher Niedermendig, wo gleichfalls Höhlen in der Erde waren, wo man sich verbergen konnte, wenn man den richtigen Eingang wußte. Und dann brauchte man nicht mehr lange zu gehen: der Wald nahm einen auf und am tiefen Laacher See lag die Benediktiner-Abtei. Die Mönche ließen keine Frauen in ihr Kloster, die Jungfrau wußte dies vielleicht nicht. Nein, sie wußte es nicht und stutzte; dann aber warf sie den Kopf in den Nacken und sagte, daß sie an die Pforte klopfen und bitten wollte, den Herrn Abt zu sehen. Vielleicht käme er dann zu ihr. Junker Sebastian war immer bedenklicher geworden. „Ihr solltet hier bleiben," begann er, aber sie lief schon in den Garten, in den der Mond durch die Maueröffnung schien, und verlangte ein Brett oder eine Strickleiter. Zögernd stand er vor ihr, sie ließ ihre Blicke schweifen und sah einige Bohnenlatten in der Ecke neben dem Hause stehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/291>, abgerufen am 29.12.2024.