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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

"So, Fräulein, nun müßt Ihr es Euch bei mir bequem machen. Viel
kann ich Euch nicht bieten, im Schrank wird aber noch ein Häpplein Käse sein
und ein Stück Brot -- das muß dann Euer Nachtmahl sein!"

Heilwig stand noch im Eingang des Häubchens und sah sich um. Man
sah es ihr an, daß sie noch halb betäubt von der hastigen Befreiung war und
daß sie sich bemühte, ihre Gedanken zu sammeln.

"Wie wollt Ihr mich aus der Stadt schaffen?" fragte sie jetzt, und der
Junker lachte.

"Wenn ich es selbst nur wüßte, Fräulein! An allen vier Toren stehen
die Wachen, und wenn es auch alte schwache Kerle sind, so liegen doch schwere
Schlösser vor den Türen und diese sind aus starkem Eichenholz. Also müßt
Ihr schon hier bleiben, bis uns ein besserer Gedanke kommt!"

"Und weiter wißt Ihr keinen Rat?"

Heilwigs Stimme klang ungeduldig, und Sebastian ärgerte sich. Er kam
sich so großartig vor, daß er die Jungfrau so schnell befreit hatte, und nun
war sie noch nicht zufrieden.

"Ihr könntet schon ein wenig dankbarer sein," begann er, aber Heilwig
unterbrach ihn.

"Gewiß, ich bin Euch dankbar, wenn Ihr mir wirklich helfen wollt, wenn
aber Kätha mich nicht findet, Lärm schlägt und ich alsdann bei Euch gefunden
werde, ist dies für mich nicht weit schlimmer, als wenn ich ruhig in meinem
Gefängnis sitze und kein Mensch Anstoß an mir nehmen kann?"

"Ich wollte Euch retten, Euch vor Schande und Tod bewahren!" erwiderte
er trotzig, und sie warf ihm einen ernsten Blick zu.

"Gut, ich glaube Euch: Eure Augen blicken ehrlich und nicht so häßlich,
wie bei dem Stadtschreiber, aber dann überlegt auch, wie ich mich retten kann.
Gibt es keinen Ausweg aus der Stadt?"

"Es gibt ein Loch in der Mauer --" begann er.

"Wo?"

Langsam ging er durch sein kleines Zimmer, und von hier in den Garten.
Der Wind pfiff scharf, einige Vögel taumelten schlaftrunken von den Büschen.
Als er die grünen Ranken vom Mauerloch entfernte, schien eine Mondsichel in
den Garten und warf ein grünes, unheimliches Licht auf die zwei, die sich jetzt
ansahen.

"Es ist der Stadtgraben hinter der Mauer!" flüsterte Sebastian.

"Ist er tief?" Heilwig stand schon vor dem Loch, steckte den halben Ober-
iorper hindurch und blickte auf das träge und schwarz dahinfließende Wasser
unter sich.

"Er wird nicht tief sein, aber voll Schlamm und Ekel!" beantwortete sie
sich selbst die Frage, um sich dann wieder umzuwenden.

"Gebt mir Eure Kleider, Junker, und helft mir, daß ich nicht gerade ins
Wasser komme. Eine Strickleiter, oder ähnliches, muß ich haben, und dann


Die Hexe von Mayen

„So, Fräulein, nun müßt Ihr es Euch bei mir bequem machen. Viel
kann ich Euch nicht bieten, im Schrank wird aber noch ein Häpplein Käse sein
und ein Stück Brot — das muß dann Euer Nachtmahl sein!"

Heilwig stand noch im Eingang des Häubchens und sah sich um. Man
sah es ihr an, daß sie noch halb betäubt von der hastigen Befreiung war und
daß sie sich bemühte, ihre Gedanken zu sammeln.

„Wie wollt Ihr mich aus der Stadt schaffen?" fragte sie jetzt, und der
Junker lachte.

„Wenn ich es selbst nur wüßte, Fräulein! An allen vier Toren stehen
die Wachen, und wenn es auch alte schwache Kerle sind, so liegen doch schwere
Schlösser vor den Türen und diese sind aus starkem Eichenholz. Also müßt
Ihr schon hier bleiben, bis uns ein besserer Gedanke kommt!"

„Und weiter wißt Ihr keinen Rat?"

Heilwigs Stimme klang ungeduldig, und Sebastian ärgerte sich. Er kam
sich so großartig vor, daß er die Jungfrau so schnell befreit hatte, und nun
war sie noch nicht zufrieden.

„Ihr könntet schon ein wenig dankbarer sein," begann er, aber Heilwig
unterbrach ihn.

„Gewiß, ich bin Euch dankbar, wenn Ihr mir wirklich helfen wollt, wenn
aber Kätha mich nicht findet, Lärm schlägt und ich alsdann bei Euch gefunden
werde, ist dies für mich nicht weit schlimmer, als wenn ich ruhig in meinem
Gefängnis sitze und kein Mensch Anstoß an mir nehmen kann?"

„Ich wollte Euch retten, Euch vor Schande und Tod bewahren!" erwiderte
er trotzig, und sie warf ihm einen ernsten Blick zu.

„Gut, ich glaube Euch: Eure Augen blicken ehrlich und nicht so häßlich,
wie bei dem Stadtschreiber, aber dann überlegt auch, wie ich mich retten kann.
Gibt es keinen Ausweg aus der Stadt?"

„Es gibt ein Loch in der Mauer —" begann er.

„Wo?"

Langsam ging er durch sein kleines Zimmer, und von hier in den Garten.
Der Wind pfiff scharf, einige Vögel taumelten schlaftrunken von den Büschen.
Als er die grünen Ranken vom Mauerloch entfernte, schien eine Mondsichel in
den Garten und warf ein grünes, unheimliches Licht auf die zwei, die sich jetzt
ansahen.

„Es ist der Stadtgraben hinter der Mauer!" flüsterte Sebastian.

„Ist er tief?" Heilwig stand schon vor dem Loch, steckte den halben Ober-
iorper hindurch und blickte auf das träge und schwarz dahinfließende Wasser
unter sich.

„Er wird nicht tief sein, aber voll Schlamm und Ekel!" beantwortete sie
sich selbst die Frage, um sich dann wieder umzuwenden.

„Gebt mir Eure Kleider, Junker, und helft mir, daß ich nicht gerade ins
Wasser komme. Eine Strickleiter, oder ähnliches, muß ich haben, und dann


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[0289] Die Hexe von Mayen „So, Fräulein, nun müßt Ihr es Euch bei mir bequem machen. Viel kann ich Euch nicht bieten, im Schrank wird aber noch ein Häpplein Käse sein und ein Stück Brot — das muß dann Euer Nachtmahl sein!" Heilwig stand noch im Eingang des Häubchens und sah sich um. Man sah es ihr an, daß sie noch halb betäubt von der hastigen Befreiung war und daß sie sich bemühte, ihre Gedanken zu sammeln. „Wie wollt Ihr mich aus der Stadt schaffen?" fragte sie jetzt, und der Junker lachte. „Wenn ich es selbst nur wüßte, Fräulein! An allen vier Toren stehen die Wachen, und wenn es auch alte schwache Kerle sind, so liegen doch schwere Schlösser vor den Türen und diese sind aus starkem Eichenholz. Also müßt Ihr schon hier bleiben, bis uns ein besserer Gedanke kommt!" „Und weiter wißt Ihr keinen Rat?" Heilwigs Stimme klang ungeduldig, und Sebastian ärgerte sich. Er kam sich so großartig vor, daß er die Jungfrau so schnell befreit hatte, und nun war sie noch nicht zufrieden. „Ihr könntet schon ein wenig dankbarer sein," begann er, aber Heilwig unterbrach ihn. „Gewiß, ich bin Euch dankbar, wenn Ihr mir wirklich helfen wollt, wenn aber Kätha mich nicht findet, Lärm schlägt und ich alsdann bei Euch gefunden werde, ist dies für mich nicht weit schlimmer, als wenn ich ruhig in meinem Gefängnis sitze und kein Mensch Anstoß an mir nehmen kann?" „Ich wollte Euch retten, Euch vor Schande und Tod bewahren!" erwiderte er trotzig, und sie warf ihm einen ernsten Blick zu. „Gut, ich glaube Euch: Eure Augen blicken ehrlich und nicht so häßlich, wie bei dem Stadtschreiber, aber dann überlegt auch, wie ich mich retten kann. Gibt es keinen Ausweg aus der Stadt?" „Es gibt ein Loch in der Mauer —" begann er. „Wo?" Langsam ging er durch sein kleines Zimmer, und von hier in den Garten. Der Wind pfiff scharf, einige Vögel taumelten schlaftrunken von den Büschen. Als er die grünen Ranken vom Mauerloch entfernte, schien eine Mondsichel in den Garten und warf ein grünes, unheimliches Licht auf die zwei, die sich jetzt ansahen. „Es ist der Stadtgraben hinter der Mauer!" flüsterte Sebastian. „Ist er tief?" Heilwig stand schon vor dem Loch, steckte den halben Ober- iorper hindurch und blickte auf das träge und schwarz dahinfließende Wasser unter sich. „Er wird nicht tief sein, aber voll Schlamm und Ekel!" beantwortete sie sich selbst die Frage, um sich dann wieder umzuwenden. „Gebt mir Eure Kleider, Junker, und helft mir, daß ich nicht gerade ins Wasser komme. Eine Strickleiter, oder ähnliches, muß ich haben, und dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/289>, abgerufen am 04.01.2025.