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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

ihren Sohn blickte, als wüßte sie sein Schicksal im voraus. Das Schicksal, das
Unwissende und Ungläubige ihm bereiteten.

Es kam die Dämmerung und die Buchstaben tanzten Sebastian vor den
Augen. Da legte er die Feder hin, saß eine Weile schweigend, warf einen
Mantel über und ging auf die Straße. Sie war dunkel, wie es sich zu später
Stunde gehörte. Nur an einer Ecke brannte die kleine Öllampe vor dem Bild
der Mutter Gottes. Einen Augenblick sah der Junker in das milde Antlitz, über
dem die Lichtstrahlen wie Lächeln huschten, dann ging er wieder dem Turme
zu. Er lag finster vor ihm; als er in das Stübchen blickte, wo Jupp und
seine Tochter hausten, sah er den Alten auf seiner Streu liegen und hörte sein
festes Schnarchen. Käthas Stimme drang aus dem Schwnnekoben nebenan,
sie fütterte das Tier und gab ihm vielleicht eine neue Streu. Dicht neben der
Tür hing der große Schlüssel des Turmes, daneben der kleinere für die Zellen,
und auf dem Tisch stand die brennende Laterne, die der Wärter am Abend
brauchte.

Sebastian griff zu den Schlüsseln, der Laterne, und schloß mit zitternden
Händen den Turm auf und bald hernach die Zelle oben.

"Kütha, bist du es?" fragte eine leise, müde Stimme. "Wie gut, daß
du noch kommst! Es ist so finster und die Eulen schreien!"

Heilwig saß auf ihrem Lager. Sie hatte ihr Haar losgemacht und die
goldene Flut fiel über ihre Schultern. Dann stand sie hastig auf.

"Herr Stadtschreiber, wenn Ihr es wieder wagt, mich zu besuchen, dann
zeige ich Euch meine Kraft!"

Mit trotziger Gebärde reckte sie die Arme in die Höhe.

Sebastian bemühte sich, ruhig zu sprechen.

"Fräulein, ich bin es, Sebastian von Wiltberg! Kein Haar will ich Euch
krümmen, sondern Euch erretten!"

Sie sah forschend in sein Gesicht.

"Ihr seid der, der vorhin bei mir war, nicht wahr? Und Ihr wollt
mich retten? Ist das Eure wahre Meinung?"

Er zog ein kleines Amulete aus der Brust und legte zwei Finger darauf.

"Ich schwöre es beim heiligen Sebastian, meinem Schutzpatron!"

Da schlüpfte sie eilig mit ihm die Treppen hinunter, vergaß aber nicht
den Schlüssel ihrer Zelle abzuziehen und in ihrem Kleid zu verstecken. Dasselbe
tat sie mit dem Schlüssel des großen Turmes, sprach aber kein Wort dabei
und folgte Sebastian, der eben so leise, wie er gekommen war, in Jupps
Wohnung ging, die brennende Laterne an ihren Platz stellte und dann erst
wieder aufatmete, als seine eigene Tür sich hinter ihm und der Geretteten
schloß. Bursch sprang ihnen entgegen, beroch den fremden Gast und stieß ein
leises Gewinsel aus, während Sebastian rasch einen Span in das halb ver¬
löschende Feuer steckte und seine schlecht brennende Lampe anzündete. Über
ihn war ein lachender Wagemut gekommen, den er selbst verwunderlich fand.


Die Hexe von Mayen

ihren Sohn blickte, als wüßte sie sein Schicksal im voraus. Das Schicksal, das
Unwissende und Ungläubige ihm bereiteten.

Es kam die Dämmerung und die Buchstaben tanzten Sebastian vor den
Augen. Da legte er die Feder hin, saß eine Weile schweigend, warf einen
Mantel über und ging auf die Straße. Sie war dunkel, wie es sich zu später
Stunde gehörte. Nur an einer Ecke brannte die kleine Öllampe vor dem Bild
der Mutter Gottes. Einen Augenblick sah der Junker in das milde Antlitz, über
dem die Lichtstrahlen wie Lächeln huschten, dann ging er wieder dem Turme
zu. Er lag finster vor ihm; als er in das Stübchen blickte, wo Jupp und
seine Tochter hausten, sah er den Alten auf seiner Streu liegen und hörte sein
festes Schnarchen. Käthas Stimme drang aus dem Schwnnekoben nebenan,
sie fütterte das Tier und gab ihm vielleicht eine neue Streu. Dicht neben der
Tür hing der große Schlüssel des Turmes, daneben der kleinere für die Zellen,
und auf dem Tisch stand die brennende Laterne, die der Wärter am Abend
brauchte.

Sebastian griff zu den Schlüsseln, der Laterne, und schloß mit zitternden
Händen den Turm auf und bald hernach die Zelle oben.

„Kütha, bist du es?" fragte eine leise, müde Stimme. „Wie gut, daß
du noch kommst! Es ist so finster und die Eulen schreien!"

Heilwig saß auf ihrem Lager. Sie hatte ihr Haar losgemacht und die
goldene Flut fiel über ihre Schultern. Dann stand sie hastig auf.

„Herr Stadtschreiber, wenn Ihr es wieder wagt, mich zu besuchen, dann
zeige ich Euch meine Kraft!"

Mit trotziger Gebärde reckte sie die Arme in die Höhe.

Sebastian bemühte sich, ruhig zu sprechen.

„Fräulein, ich bin es, Sebastian von Wiltberg! Kein Haar will ich Euch
krümmen, sondern Euch erretten!"

Sie sah forschend in sein Gesicht.

„Ihr seid der, der vorhin bei mir war, nicht wahr? Und Ihr wollt
mich retten? Ist das Eure wahre Meinung?"

Er zog ein kleines Amulete aus der Brust und legte zwei Finger darauf.

„Ich schwöre es beim heiligen Sebastian, meinem Schutzpatron!"

Da schlüpfte sie eilig mit ihm die Treppen hinunter, vergaß aber nicht
den Schlüssel ihrer Zelle abzuziehen und in ihrem Kleid zu verstecken. Dasselbe
tat sie mit dem Schlüssel des großen Turmes, sprach aber kein Wort dabei
und folgte Sebastian, der eben so leise, wie er gekommen war, in Jupps
Wohnung ging, die brennende Laterne an ihren Platz stellte und dann erst
wieder aufatmete, als seine eigene Tür sich hinter ihm und der Geretteten
schloß. Bursch sprang ihnen entgegen, beroch den fremden Gast und stieß ein
leises Gewinsel aus, während Sebastian rasch einen Span in das halb ver¬
löschende Feuer steckte und seine schlecht brennende Lampe anzündete. Über
ihn war ein lachender Wagemut gekommen, den er selbst verwunderlich fand.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/288>, abgerufen am 04.01.2025.