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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Goethes Vater

ansah, den man im Gefolg meiner Unarten habe ausgehen lassen, um mich zu
kränken und zu beschämen, wenn ich nunmehr statt jener gehofften Ehre
schimpflich sitzen geblieben"*).

Als der Wartezustand schließlich unerträglich wird, weiß der väterliche Freund
Rat. Er entwirft dem Sohne in fürsorglichster Weise einen Reiseplan nach
Italien, stellt ihm eine kleine Handbibliothek zusammen und schickt ihn so aus¬
gerüstet heimlich zum zweiten Male nach dem Süden. Wie diese Reise eben¬
falls vereitelt und Goethe dennoch nach Weimar geführt wurde, ist genugsam
bekannt.

Der Aufenthalt in Weimar war zunächst nur als vorübergehend gedacht.
Als aber der Sohn sich nicht anschickte zurückzukehren, als er Geld und Aus¬
stattung von den Eltern verlangte und es sich außerdem herausstellte, daß er
in Frankfurt Schulden hinterlassen habe, trotz der reichlichen Mittel, die ihm
zuflössen, schwoll der Unmut des Herrn Rat. Dazu drangen noch die Nachrichten
von dem tollen, lustigen Treiben aus Weimar nach Frankfurt. Eine solche
Lebensführung entsprach in keiner Hinsicht der ernsten Weltanschauung von
Goethes Vater. Die Erinnerung, wie sein Sohn aus Leipzig, gebrochen an
Leib und Seele, zurückgekehrt war, stand wie ein Schreckensgespenst vor
ihm auf.

Aber noch ein anderes quälte ihn, die eigene Zurücksetzung vor dem
herzoglichen Freund. Konnte der Sohn sich ein schöneres Leben als das der
Frankfurter Jahre denken? Hatte er dem Dichter nicht die unerträgliche Advokatur
fast ganz abgenommen, nur damit er möglichst seiner Muse leben konnte?
Hatte er ihn nicht gefördert, getragen, wo es nur immer anging? Ja, er
hatte sein ganzes Leben den Kindern gewidmet und nun erntete er Undank;
denn er sah sich wieder in die Untätigkeit zurückgestoßen, nachdem er in den
letzten Jahren durch seine Mitarbeit im Berufe des Sohnes so glücklich geworden
war. Hatte dieser, der so viel Liebe, wenn auch herbe Liebe von ihm empfangen,
nicht ein wenig die Verpflichtung, seinem Vater die Treue dadurch zu entgelten,
daß er ihm, auf seine paar alten Tage wenigstens, die kleine befriedigende
Tätigkeit, den bescheidenen Wirkungskreis beließ? Nach einer äußerst anregenden
Zeit wartete seiner eine gähnende Leere. Man darf nicht vergessen, daß er mit
seinem Sohne tagtäglich zusammen war. Es ist der Fall von dem Höhepunkt seines
Lebens, gegen den er sich wehrt. Deshalb darf man es dem alten gekränkten
Mann nicht verdenken, wenn er mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln
den Sohn nach Frankfurt zurückzuziehen suchte. Nicht aus Geiz verweigerte er
Mitgift und Ausstattung sowie die Bezahlung der Schulden; geizig war, wie
wir gesehen haben, der kaiserliche Rat in gesunden Tagen nie gewesen. Es
war das letzte Mittel, um den Sohn sich gefügig zu machen, der stärkste Trumpf,
den er in der Hand hatte. Er spielte ihn aus und verlor. Gegen die Macht



") Goethe: "Dichtung und Wahrheit."
Goethes Vater

ansah, den man im Gefolg meiner Unarten habe ausgehen lassen, um mich zu
kränken und zu beschämen, wenn ich nunmehr statt jener gehofften Ehre
schimpflich sitzen geblieben"*).

Als der Wartezustand schließlich unerträglich wird, weiß der väterliche Freund
Rat. Er entwirft dem Sohne in fürsorglichster Weise einen Reiseplan nach
Italien, stellt ihm eine kleine Handbibliothek zusammen und schickt ihn so aus¬
gerüstet heimlich zum zweiten Male nach dem Süden. Wie diese Reise eben¬
falls vereitelt und Goethe dennoch nach Weimar geführt wurde, ist genugsam
bekannt.

Der Aufenthalt in Weimar war zunächst nur als vorübergehend gedacht.
Als aber der Sohn sich nicht anschickte zurückzukehren, als er Geld und Aus¬
stattung von den Eltern verlangte und es sich außerdem herausstellte, daß er
in Frankfurt Schulden hinterlassen habe, trotz der reichlichen Mittel, die ihm
zuflössen, schwoll der Unmut des Herrn Rat. Dazu drangen noch die Nachrichten
von dem tollen, lustigen Treiben aus Weimar nach Frankfurt. Eine solche
Lebensführung entsprach in keiner Hinsicht der ernsten Weltanschauung von
Goethes Vater. Die Erinnerung, wie sein Sohn aus Leipzig, gebrochen an
Leib und Seele, zurückgekehrt war, stand wie ein Schreckensgespenst vor
ihm auf.

Aber noch ein anderes quälte ihn, die eigene Zurücksetzung vor dem
herzoglichen Freund. Konnte der Sohn sich ein schöneres Leben als das der
Frankfurter Jahre denken? Hatte er dem Dichter nicht die unerträgliche Advokatur
fast ganz abgenommen, nur damit er möglichst seiner Muse leben konnte?
Hatte er ihn nicht gefördert, getragen, wo es nur immer anging? Ja, er
hatte sein ganzes Leben den Kindern gewidmet und nun erntete er Undank;
denn er sah sich wieder in die Untätigkeit zurückgestoßen, nachdem er in den
letzten Jahren durch seine Mitarbeit im Berufe des Sohnes so glücklich geworden
war. Hatte dieser, der so viel Liebe, wenn auch herbe Liebe von ihm empfangen,
nicht ein wenig die Verpflichtung, seinem Vater die Treue dadurch zu entgelten,
daß er ihm, auf seine paar alten Tage wenigstens, die kleine befriedigende
Tätigkeit, den bescheidenen Wirkungskreis beließ? Nach einer äußerst anregenden
Zeit wartete seiner eine gähnende Leere. Man darf nicht vergessen, daß er mit
seinem Sohne tagtäglich zusammen war. Es ist der Fall von dem Höhepunkt seines
Lebens, gegen den er sich wehrt. Deshalb darf man es dem alten gekränkten
Mann nicht verdenken, wenn er mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln
den Sohn nach Frankfurt zurückzuziehen suchte. Nicht aus Geiz verweigerte er
Mitgift und Ausstattung sowie die Bezahlung der Schulden; geizig war, wie
wir gesehen haben, der kaiserliche Rat in gesunden Tagen nie gewesen. Es
war das letzte Mittel, um den Sohn sich gefügig zu machen, der stärkste Trumpf,
den er in der Hand hatte. Er spielte ihn aus und verlor. Gegen die Macht



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[0274] Goethes Vater ansah, den man im Gefolg meiner Unarten habe ausgehen lassen, um mich zu kränken und zu beschämen, wenn ich nunmehr statt jener gehofften Ehre schimpflich sitzen geblieben"*). Als der Wartezustand schließlich unerträglich wird, weiß der väterliche Freund Rat. Er entwirft dem Sohne in fürsorglichster Weise einen Reiseplan nach Italien, stellt ihm eine kleine Handbibliothek zusammen und schickt ihn so aus¬ gerüstet heimlich zum zweiten Male nach dem Süden. Wie diese Reise eben¬ falls vereitelt und Goethe dennoch nach Weimar geführt wurde, ist genugsam bekannt. Der Aufenthalt in Weimar war zunächst nur als vorübergehend gedacht. Als aber der Sohn sich nicht anschickte zurückzukehren, als er Geld und Aus¬ stattung von den Eltern verlangte und es sich außerdem herausstellte, daß er in Frankfurt Schulden hinterlassen habe, trotz der reichlichen Mittel, die ihm zuflössen, schwoll der Unmut des Herrn Rat. Dazu drangen noch die Nachrichten von dem tollen, lustigen Treiben aus Weimar nach Frankfurt. Eine solche Lebensführung entsprach in keiner Hinsicht der ernsten Weltanschauung von Goethes Vater. Die Erinnerung, wie sein Sohn aus Leipzig, gebrochen an Leib und Seele, zurückgekehrt war, stand wie ein Schreckensgespenst vor ihm auf. Aber noch ein anderes quälte ihn, die eigene Zurücksetzung vor dem herzoglichen Freund. Konnte der Sohn sich ein schöneres Leben als das der Frankfurter Jahre denken? Hatte er dem Dichter nicht die unerträgliche Advokatur fast ganz abgenommen, nur damit er möglichst seiner Muse leben konnte? Hatte er ihn nicht gefördert, getragen, wo es nur immer anging? Ja, er hatte sein ganzes Leben den Kindern gewidmet und nun erntete er Undank; denn er sah sich wieder in die Untätigkeit zurückgestoßen, nachdem er in den letzten Jahren durch seine Mitarbeit im Berufe des Sohnes so glücklich geworden war. Hatte dieser, der so viel Liebe, wenn auch herbe Liebe von ihm empfangen, nicht ein wenig die Verpflichtung, seinem Vater die Treue dadurch zu entgelten, daß er ihm, auf seine paar alten Tage wenigstens, die kleine befriedigende Tätigkeit, den bescheidenen Wirkungskreis beließ? Nach einer äußerst anregenden Zeit wartete seiner eine gähnende Leere. Man darf nicht vergessen, daß er mit seinem Sohne tagtäglich zusammen war. Es ist der Fall von dem Höhepunkt seines Lebens, gegen den er sich wehrt. Deshalb darf man es dem alten gekränkten Mann nicht verdenken, wenn er mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln den Sohn nach Frankfurt zurückzuziehen suchte. Nicht aus Geiz verweigerte er Mitgift und Ausstattung sowie die Bezahlung der Schulden; geizig war, wie wir gesehen haben, der kaiserliche Rat in gesunden Tagen nie gewesen. Es war das letzte Mittel, um den Sohn sich gefügig zu machen, der stärkste Trumpf, den er in der Hand hatte. Er spielte ihn aus und verlor. Gegen die Macht ") Goethe: „Dichtung und Wahrheit."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/274>, abgerufen am 04.01.2025.