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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Goethes Vater

des Herzogs war der Vater ohnmächtig und er erblickte deshalb in ersterem
einen persönlichen Feind.

Und wieder stößt man auf den Eigensinn in Goethes Vater, der nicht zu¬
geben will, daß er verloren habe; genau wie in der erwähnten Episode mit
der Verdammung der Klopstockscher Hexameter. Der Glaube an seinen Trumpf
und die Feindschaft des Herzogs wird gewaltsam genährt, bis er allerdings
zur fixen Idee wird. Die Verbitterung und nicht zum wenigsten die über ihn
verhängte, nun doppelt fühlbare Untätigkeit beschleunigen den geistigen Verfall.
Man mag das Verfahren des alten Goethe als Egoismus brandmarken, im
Rückblick auf sein ganzes Leben und im Hinblick auf die bedauerliche, tiefe
Wirkung, welche die Trennung vom Sohne für ihn brachte, muß man ihm
verzeihen.

Im Herbst 1775 war Goethe nach Weimar gegangen. Im Mai des
Jahres 1776 wurde er als Geheimer Legationsrat für immer an Weimar
gebunden. Damit war dem Vater jede Hoffnung, den Sohn wieder bei sich
zu sehen, abgeschnitten; dreiviertel Jahr später, im Jahre 1777, trifft ihn der
erste Schlaganfall. Zu dieser Zeit stirbt Cornelie und Frau Abschreibt an
Lavater:

"Die arme Mutter hatte viel, viel zu tragen, mein Mann war den
ganzen Winter krank, das harte Zuschlagen einer Stubentür erschröckte ihn,
und dem Manne mußte ich der Todesbote sein von seiner Tochter, die er über
alles liebte').

Ein Brief aus dem Jahre 1778 vom Musiker Kranz an die Frau Rat
bezeugt, wie die Geisteskräfte des alten Mannes abgenommen haben. Er saß
bei dem Besuche des Musikers im Goethehaus, teilnahmslos vor sich hinbrütend,
in feinem Sessel.

Im Jahre 1779 endlich kehrt Goethe mit dem Herzog im Elternhause
ein. Frau Aja schreibt darüber an die Herzogin:

"Endlich der Auftritt mit dem Vater, das läßt sich nun gar nicht be¬
schreiben, mir war Angst, er stürbe auf der Stelle, noch an dem heutigen Tage,
da Jhro Durchlaucht schon eine ziemliche Weile von uns weg sind, ist er noch
nicht recht bei sich"**).

Im Jahre 1781 äußert sich Frau Rat in einem Briefe an den Dichter
folgendermaßen:

"Der Vater ist ein armer Mann, körperliche Kräfte noch so ziemlich, -- aber
im Geiste sehr schwach -- im übrigen so ziemlich zufrieden, nur wenn ihn die
Langeweile plagt--, dann ist's gar fatal.---An der Reparatur des
untersten Stockes hat er noch große Freude, meine Wohnstube, die jetzt ganz




*) Zitiert nach Ewart: "Goethes Vater."
"') Zitiert nach Ewart: "Alles um Liebe", S. 238.
Goethes Vater

des Herzogs war der Vater ohnmächtig und er erblickte deshalb in ersterem
einen persönlichen Feind.

Und wieder stößt man auf den Eigensinn in Goethes Vater, der nicht zu¬
geben will, daß er verloren habe; genau wie in der erwähnten Episode mit
der Verdammung der Klopstockscher Hexameter. Der Glaube an seinen Trumpf
und die Feindschaft des Herzogs wird gewaltsam genährt, bis er allerdings
zur fixen Idee wird. Die Verbitterung und nicht zum wenigsten die über ihn
verhängte, nun doppelt fühlbare Untätigkeit beschleunigen den geistigen Verfall.
Man mag das Verfahren des alten Goethe als Egoismus brandmarken, im
Rückblick auf sein ganzes Leben und im Hinblick auf die bedauerliche, tiefe
Wirkung, welche die Trennung vom Sohne für ihn brachte, muß man ihm
verzeihen.

Im Herbst 1775 war Goethe nach Weimar gegangen. Im Mai des
Jahres 1776 wurde er als Geheimer Legationsrat für immer an Weimar
gebunden. Damit war dem Vater jede Hoffnung, den Sohn wieder bei sich
zu sehen, abgeschnitten; dreiviertel Jahr später, im Jahre 1777, trifft ihn der
erste Schlaganfall. Zu dieser Zeit stirbt Cornelie und Frau Abschreibt an
Lavater:

„Die arme Mutter hatte viel, viel zu tragen, mein Mann war den
ganzen Winter krank, das harte Zuschlagen einer Stubentür erschröckte ihn,
und dem Manne mußte ich der Todesbote sein von seiner Tochter, die er über
alles liebte').

Ein Brief aus dem Jahre 1778 vom Musiker Kranz an die Frau Rat
bezeugt, wie die Geisteskräfte des alten Mannes abgenommen haben. Er saß
bei dem Besuche des Musikers im Goethehaus, teilnahmslos vor sich hinbrütend,
in feinem Sessel.

Im Jahre 1779 endlich kehrt Goethe mit dem Herzog im Elternhause
ein. Frau Aja schreibt darüber an die Herzogin:

„Endlich der Auftritt mit dem Vater, das läßt sich nun gar nicht be¬
schreiben, mir war Angst, er stürbe auf der Stelle, noch an dem heutigen Tage,
da Jhro Durchlaucht schon eine ziemliche Weile von uns weg sind, ist er noch
nicht recht bei sich"**).

Im Jahre 1781 äußert sich Frau Rat in einem Briefe an den Dichter
folgendermaßen:

„Der Vater ist ein armer Mann, körperliche Kräfte noch so ziemlich, — aber
im Geiste sehr schwach — im übrigen so ziemlich zufrieden, nur wenn ihn die
Langeweile plagt--, dann ist's gar fatal.---An der Reparatur des
untersten Stockes hat er noch große Freude, meine Wohnstube, die jetzt ganz




*) Zitiert nach Ewart: „Goethes Vater."
«') Zitiert nach Ewart: „Alles um Liebe", S. 238.
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[0275] Goethes Vater des Herzogs war der Vater ohnmächtig und er erblickte deshalb in ersterem einen persönlichen Feind. Und wieder stößt man auf den Eigensinn in Goethes Vater, der nicht zu¬ geben will, daß er verloren habe; genau wie in der erwähnten Episode mit der Verdammung der Klopstockscher Hexameter. Der Glaube an seinen Trumpf und die Feindschaft des Herzogs wird gewaltsam genährt, bis er allerdings zur fixen Idee wird. Die Verbitterung und nicht zum wenigsten die über ihn verhängte, nun doppelt fühlbare Untätigkeit beschleunigen den geistigen Verfall. Man mag das Verfahren des alten Goethe als Egoismus brandmarken, im Rückblick auf sein ganzes Leben und im Hinblick auf die bedauerliche, tiefe Wirkung, welche die Trennung vom Sohne für ihn brachte, muß man ihm verzeihen. Im Herbst 1775 war Goethe nach Weimar gegangen. Im Mai des Jahres 1776 wurde er als Geheimer Legationsrat für immer an Weimar gebunden. Damit war dem Vater jede Hoffnung, den Sohn wieder bei sich zu sehen, abgeschnitten; dreiviertel Jahr später, im Jahre 1777, trifft ihn der erste Schlaganfall. Zu dieser Zeit stirbt Cornelie und Frau Abschreibt an Lavater: „Die arme Mutter hatte viel, viel zu tragen, mein Mann war den ganzen Winter krank, das harte Zuschlagen einer Stubentür erschröckte ihn, und dem Manne mußte ich der Todesbote sein von seiner Tochter, die er über alles liebte'). Ein Brief aus dem Jahre 1778 vom Musiker Kranz an die Frau Rat bezeugt, wie die Geisteskräfte des alten Mannes abgenommen haben. Er saß bei dem Besuche des Musikers im Goethehaus, teilnahmslos vor sich hinbrütend, in feinem Sessel. Im Jahre 1779 endlich kehrt Goethe mit dem Herzog im Elternhause ein. Frau Aja schreibt darüber an die Herzogin: „Endlich der Auftritt mit dem Vater, das läßt sich nun gar nicht be¬ schreiben, mir war Angst, er stürbe auf der Stelle, noch an dem heutigen Tage, da Jhro Durchlaucht schon eine ziemliche Weile von uns weg sind, ist er noch nicht recht bei sich"**). Im Jahre 1781 äußert sich Frau Rat in einem Briefe an den Dichter folgendermaßen: „Der Vater ist ein armer Mann, körperliche Kräfte noch so ziemlich, — aber im Geiste sehr schwach — im übrigen so ziemlich zufrieden, nur wenn ihn die Langeweile plagt--, dann ist's gar fatal.---An der Reparatur des untersten Stockes hat er noch große Freude, meine Wohnstube, die jetzt ganz *) Zitiert nach Ewart: „Goethes Vater." «') Zitiert nach Ewart: „Alles um Liebe", S. 238.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/275>, abgerufen am 04.01.2025.