Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Goethes Vater

enttäuschten Vater empfangen, indessen werden ihm Vorhaltungen nicht erspart.
Von den Beschreibungen der Nebelseen, wilden Felsen und Drachennestern will
der ärgerliche Rat nichts wissen und entgegnet: "Was denn eigentlich an alle-
dem zu haben sei, wer Neapel nicht gesehen, habe nicht gelebt."

Goethe beginnt nunmehr dem Stoss des Egmont näherzutreten. Wie er
mit dem Vater seine älteren Arbeiten besprochen, unterhält er sich jetzt mit ihm
über die Geschichte der Niederlande und legt ihm die Idee und die Gestaltung
des "Egmont" dar, wie er sich den Stoff bereits zurechtgedacht hatte. Er
schreibt darüber:

"Meinen Vater hatte ich auf das lebhafteste unterhalten, was zu tun sei,
was ich tun wolle, daß ihm dies so unüberwindliches Verlangen gab, dieses in
meinem Kopfe schon fertige Stück auf dem Papier gedruckt, es bewundert zu
sehen. Ich fing also wirklich "Egmont" zu schreiben an. Damit gelangte ich
weit, indem ich, bei meiner läßlichen Art zu arbeiten, von meinem Vater --
es ist nicht übertrieben -- Tag und Nacht angespornt wurde, da er das so leicht
Entstehende auch leicht vollendet zu sehen glaubte"*).

Des Dichters Liebe zu Lilly war aber noch nicht überwunden; er fühlte,
daß er irgendwohin vor ihr flüchten müsse. Der Wunsch, Italien zu sehen,
ward von neuem in ihm durch den Vater entfacht, als seinen Absichten der
Herzog von Sachsen-Weimar entgegenkam. Goethe sollte in Begleitung des
von Karlsruhe nach Weimar zurückkehrenden Kammerrates von Kalb nach Weimar
kommen. Goethes Vater stand, wie früher der Reise nach Mainz, auch diesem
Plane entgegen. Zwar verfehlte die hohe Auszeichnung, die seinem Sohn von
fürstlicher Seite widerfuhr, nicht, ihn mit väterlichem Stolze zu erfüllen, indessen
das gefaßte Vorurteil konnte er nicht überwinden. Darin bestärkte ihn das
Ausbleiben des versprochenen Wagens, der den Dichter nach der herzoglichen
Residenz bringen sollte. Selbstverständlich wußten die Verwandten und Freunde
von der Ehrung, denn Goethe hatte sich bereits von ihnen verabschiedet. Er
wagte sich deshalb nur bei Nacht aus dem Hause und benutzte diese Zeit einer
freiwilligen Gefangenschaft, um den "Egmont" zu fördern und vollendete ihn
fast. Goethe schreibt darüber:

"Ich las ihn meinem Vater vor, der eine ganz eigene Neigung zu diesem
Stück gewann und nichts mehr wünschte, als es sertig und gedruckt zu sehen,
weil er hoffte, daß der gute Ruf feines Sohnes dadurch sollte vermehrt werden.
Eine solche Beruhigung und neue Zufriedenheit war ihm aber auch nötig; denn
er machte über das Ausbleiben des Wagens die bedenklichsten Glossen. Er
hielt das Ganze abermals nur für eine Erfindung, glaubte an keinen neuen
Landauer, hielt den zurückgebliebenen Kavalier für ein Luftgespenst, welches er
mir zwar nur indirekt zu verstehen gab, dagegen aber sich und meine Mutter
desto ausführlicher quälte, indem er das Ganze für einen lustigen Hofstreich



") Goethe: "Dichtung und Wahrheit/'
Goethes Vater

enttäuschten Vater empfangen, indessen werden ihm Vorhaltungen nicht erspart.
Von den Beschreibungen der Nebelseen, wilden Felsen und Drachennestern will
der ärgerliche Rat nichts wissen und entgegnet: „Was denn eigentlich an alle-
dem zu haben sei, wer Neapel nicht gesehen, habe nicht gelebt."

Goethe beginnt nunmehr dem Stoss des Egmont näherzutreten. Wie er
mit dem Vater seine älteren Arbeiten besprochen, unterhält er sich jetzt mit ihm
über die Geschichte der Niederlande und legt ihm die Idee und die Gestaltung
des „Egmont" dar, wie er sich den Stoff bereits zurechtgedacht hatte. Er
schreibt darüber:

„Meinen Vater hatte ich auf das lebhafteste unterhalten, was zu tun sei,
was ich tun wolle, daß ihm dies so unüberwindliches Verlangen gab, dieses in
meinem Kopfe schon fertige Stück auf dem Papier gedruckt, es bewundert zu
sehen. Ich fing also wirklich „Egmont" zu schreiben an. Damit gelangte ich
weit, indem ich, bei meiner läßlichen Art zu arbeiten, von meinem Vater —
es ist nicht übertrieben — Tag und Nacht angespornt wurde, da er das so leicht
Entstehende auch leicht vollendet zu sehen glaubte"*).

Des Dichters Liebe zu Lilly war aber noch nicht überwunden; er fühlte,
daß er irgendwohin vor ihr flüchten müsse. Der Wunsch, Italien zu sehen,
ward von neuem in ihm durch den Vater entfacht, als seinen Absichten der
Herzog von Sachsen-Weimar entgegenkam. Goethe sollte in Begleitung des
von Karlsruhe nach Weimar zurückkehrenden Kammerrates von Kalb nach Weimar
kommen. Goethes Vater stand, wie früher der Reise nach Mainz, auch diesem
Plane entgegen. Zwar verfehlte die hohe Auszeichnung, die seinem Sohn von
fürstlicher Seite widerfuhr, nicht, ihn mit väterlichem Stolze zu erfüllen, indessen
das gefaßte Vorurteil konnte er nicht überwinden. Darin bestärkte ihn das
Ausbleiben des versprochenen Wagens, der den Dichter nach der herzoglichen
Residenz bringen sollte. Selbstverständlich wußten die Verwandten und Freunde
von der Ehrung, denn Goethe hatte sich bereits von ihnen verabschiedet. Er
wagte sich deshalb nur bei Nacht aus dem Hause und benutzte diese Zeit einer
freiwilligen Gefangenschaft, um den „Egmont" zu fördern und vollendete ihn
fast. Goethe schreibt darüber:

„Ich las ihn meinem Vater vor, der eine ganz eigene Neigung zu diesem
Stück gewann und nichts mehr wünschte, als es sertig und gedruckt zu sehen,
weil er hoffte, daß der gute Ruf feines Sohnes dadurch sollte vermehrt werden.
Eine solche Beruhigung und neue Zufriedenheit war ihm aber auch nötig; denn
er machte über das Ausbleiben des Wagens die bedenklichsten Glossen. Er
hielt das Ganze abermals nur für eine Erfindung, glaubte an keinen neuen
Landauer, hielt den zurückgebliebenen Kavalier für ein Luftgespenst, welches er
mir zwar nur indirekt zu verstehen gab, dagegen aber sich und meine Mutter
desto ausführlicher quälte, indem er das Ganze für einen lustigen Hofstreich



») Goethe: „Dichtung und Wahrheit/'
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327739"/>
          <fw type="header" place="top"> Goethes Vater</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1264" prev="#ID_1263"> enttäuschten Vater empfangen, indessen werden ihm Vorhaltungen nicht erspart.<lb/>
Von den Beschreibungen der Nebelseen, wilden Felsen und Drachennestern will<lb/>
der ärgerliche Rat nichts wissen und entgegnet: &#x201E;Was denn eigentlich an alle-<lb/>
dem zu haben sei, wer Neapel nicht gesehen, habe nicht gelebt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1265"> Goethe beginnt nunmehr dem Stoss des Egmont näherzutreten. Wie er<lb/>
mit dem Vater seine älteren Arbeiten besprochen, unterhält er sich jetzt mit ihm<lb/>
über die Geschichte der Niederlande und legt ihm die Idee und die Gestaltung<lb/>
des &#x201E;Egmont" dar, wie er sich den Stoff bereits zurechtgedacht hatte. Er<lb/>
schreibt darüber:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1266"> &#x201E;Meinen Vater hatte ich auf das lebhafteste unterhalten, was zu tun sei,<lb/>
was ich tun wolle, daß ihm dies so unüberwindliches Verlangen gab, dieses in<lb/>
meinem Kopfe schon fertige Stück auf dem Papier gedruckt, es bewundert zu<lb/>
sehen. Ich fing also wirklich &#x201E;Egmont" zu schreiben an. Damit gelangte ich<lb/>
weit, indem ich, bei meiner läßlichen Art zu arbeiten, von meinem Vater &#x2014;<lb/>
es ist nicht übertrieben &#x2014; Tag und Nacht angespornt wurde, da er das so leicht<lb/>
Entstehende auch leicht vollendet zu sehen glaubte"*).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1267"> Des Dichters Liebe zu Lilly war aber noch nicht überwunden; er fühlte,<lb/>
daß er irgendwohin vor ihr flüchten müsse. Der Wunsch, Italien zu sehen,<lb/>
ward von neuem in ihm durch den Vater entfacht, als seinen Absichten der<lb/>
Herzog von Sachsen-Weimar entgegenkam. Goethe sollte in Begleitung des<lb/>
von Karlsruhe nach Weimar zurückkehrenden Kammerrates von Kalb nach Weimar<lb/>
kommen. Goethes Vater stand, wie früher der Reise nach Mainz, auch diesem<lb/>
Plane entgegen. Zwar verfehlte die hohe Auszeichnung, die seinem Sohn von<lb/>
fürstlicher Seite widerfuhr, nicht, ihn mit väterlichem Stolze zu erfüllen, indessen<lb/>
das gefaßte Vorurteil konnte er nicht überwinden. Darin bestärkte ihn das<lb/>
Ausbleiben des versprochenen Wagens, der den Dichter nach der herzoglichen<lb/>
Residenz bringen sollte. Selbstverständlich wußten die Verwandten und Freunde<lb/>
von der Ehrung, denn Goethe hatte sich bereits von ihnen verabschiedet. Er<lb/>
wagte sich deshalb nur bei Nacht aus dem Hause und benutzte diese Zeit einer<lb/>
freiwilligen Gefangenschaft, um den &#x201E;Egmont" zu fördern und vollendete ihn<lb/>
fast.  Goethe schreibt darüber:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1268" next="#ID_1269"> &#x201E;Ich las ihn meinem Vater vor, der eine ganz eigene Neigung zu diesem<lb/>
Stück gewann und nichts mehr wünschte, als es sertig und gedruckt zu sehen,<lb/>
weil er hoffte, daß der gute Ruf feines Sohnes dadurch sollte vermehrt werden.<lb/>
Eine solche Beruhigung und neue Zufriedenheit war ihm aber auch nötig; denn<lb/>
er machte über das Ausbleiben des Wagens die bedenklichsten Glossen. Er<lb/>
hielt das Ganze abermals nur für eine Erfindung, glaubte an keinen neuen<lb/>
Landauer, hielt den zurückgebliebenen Kavalier für ein Luftgespenst, welches er<lb/>
mir zwar nur indirekt zu verstehen gab, dagegen aber sich und meine Mutter<lb/>
desto ausführlicher quälte, indem er das Ganze für einen lustigen Hofstreich</p><lb/>
          <note xml:id="FID_84" place="foot"> ») Goethe: &#x201E;Dichtung und Wahrheit/'</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0273] Goethes Vater enttäuschten Vater empfangen, indessen werden ihm Vorhaltungen nicht erspart. Von den Beschreibungen der Nebelseen, wilden Felsen und Drachennestern will der ärgerliche Rat nichts wissen und entgegnet: „Was denn eigentlich an alle- dem zu haben sei, wer Neapel nicht gesehen, habe nicht gelebt." Goethe beginnt nunmehr dem Stoss des Egmont näherzutreten. Wie er mit dem Vater seine älteren Arbeiten besprochen, unterhält er sich jetzt mit ihm über die Geschichte der Niederlande und legt ihm die Idee und die Gestaltung des „Egmont" dar, wie er sich den Stoff bereits zurechtgedacht hatte. Er schreibt darüber: „Meinen Vater hatte ich auf das lebhafteste unterhalten, was zu tun sei, was ich tun wolle, daß ihm dies so unüberwindliches Verlangen gab, dieses in meinem Kopfe schon fertige Stück auf dem Papier gedruckt, es bewundert zu sehen. Ich fing also wirklich „Egmont" zu schreiben an. Damit gelangte ich weit, indem ich, bei meiner läßlichen Art zu arbeiten, von meinem Vater — es ist nicht übertrieben — Tag und Nacht angespornt wurde, da er das so leicht Entstehende auch leicht vollendet zu sehen glaubte"*). Des Dichters Liebe zu Lilly war aber noch nicht überwunden; er fühlte, daß er irgendwohin vor ihr flüchten müsse. Der Wunsch, Italien zu sehen, ward von neuem in ihm durch den Vater entfacht, als seinen Absichten der Herzog von Sachsen-Weimar entgegenkam. Goethe sollte in Begleitung des von Karlsruhe nach Weimar zurückkehrenden Kammerrates von Kalb nach Weimar kommen. Goethes Vater stand, wie früher der Reise nach Mainz, auch diesem Plane entgegen. Zwar verfehlte die hohe Auszeichnung, die seinem Sohn von fürstlicher Seite widerfuhr, nicht, ihn mit väterlichem Stolze zu erfüllen, indessen das gefaßte Vorurteil konnte er nicht überwinden. Darin bestärkte ihn das Ausbleiben des versprochenen Wagens, der den Dichter nach der herzoglichen Residenz bringen sollte. Selbstverständlich wußten die Verwandten und Freunde von der Ehrung, denn Goethe hatte sich bereits von ihnen verabschiedet. Er wagte sich deshalb nur bei Nacht aus dem Hause und benutzte diese Zeit einer freiwilligen Gefangenschaft, um den „Egmont" zu fördern und vollendete ihn fast. Goethe schreibt darüber: „Ich las ihn meinem Vater vor, der eine ganz eigene Neigung zu diesem Stück gewann und nichts mehr wünschte, als es sertig und gedruckt zu sehen, weil er hoffte, daß der gute Ruf feines Sohnes dadurch sollte vermehrt werden. Eine solche Beruhigung und neue Zufriedenheit war ihm aber auch nötig; denn er machte über das Ausbleiben des Wagens die bedenklichsten Glossen. Er hielt das Ganze abermals nur für eine Erfindung, glaubte an keinen neuen Landauer, hielt den zurückgebliebenen Kavalier für ein Luftgespenst, welches er mir zwar nur indirekt zu verstehen gab, dagegen aber sich und meine Mutter desto ausführlicher quälte, indem er das Ganze für einen lustigen Hofstreich ») Goethe: „Dichtung und Wahrheit/'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/273
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/273>, abgerufen am 04.01.2025.