Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Goethes Vater Die Stellung von Goethes Vater zur Dichtkunst endlich unterscheidet sich "Es war an einem Samstag abend im Winter, der Vater ließ sich immer "Hilf mir! Ich flehe dich an! Ich bete, wenn du es forderst, Bisher war alles leidlich gegangen; aber laut, mit fürchterlicher Stimme, "O, wie bin ich zermalmt!" Der gute Chirurgus erschrack und goß dem Vater das Seifenbecken in die Wie aber verhielt sich der Rat Goethe zu des Sohnes Dichtungen? Goethe *) Goethe: "Dichtung und Wahrheit."
Goethes Vater Die Stellung von Goethes Vater zur Dichtkunst endlich unterscheidet sich „Es war an einem Samstag abend im Winter, der Vater ließ sich immer „Hilf mir! Ich flehe dich an! Ich bete, wenn du es forderst, Bisher war alles leidlich gegangen; aber laut, mit fürchterlicher Stimme, „O, wie bin ich zermalmt!" Der gute Chirurgus erschrack und goß dem Vater das Seifenbecken in die Wie aber verhielt sich der Rat Goethe zu des Sohnes Dichtungen? Goethe *) Goethe: „Dichtung und Wahrheit."
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Goethes Vater
Die Stellung von Goethes Vater zur Dichtkunst endlich unterscheidet sich
durch nichts von seiner Stellung zu den übrigen Künsten. Er hatte eine um¬
fangreiche Bibliothek, die neben juristisch-wissenschaftlichen Büchern schöne Aus¬
gaben der lateinischen Schriftsteller — alle übereinstimmend in Quartformat —
enthielt, ferner Werke über römische Antiquitäten und die berühmtesten
italienischen Dichter. Besondere Vorliebe hatte er für den Tasso. Dann waren
noch Reisebeschreibungen, Wörterbücher, Reallexika vorhanden. Von Klopstock,
dessen Messias von vielen Bewunderern freudig begrüßt wurde, wollte der Herr
Rat nichts wissen. Seine Abneigung gegen die reimlosen Verse ging so weit,
daß er in seinem Hause den Messias verbot. Ein Freund des Hauses brachte
das Werk heimlich mit, die Kinder gewannen die verbotene Frucht lieb und
lernten sogar die Verse auswendig. Welche Folgen die Überschreitung des
väterlichen Verbotes hatte, erzählt Goethe in so ergötzlicher Weise, daß ich mir
nicht versagen kann, die Episode hier zu wiederholen, zumal sie mir in mehr
als einer Hinsicht für Goethes Vater charakteristisch erscheint.
„Es war an einem Samstag abend im Winter, der Vater ließ sich immer
bei Licht rasieren, um Sonntag früh zur Kirche sich bequemlich anziehen zu
können, — wir saßen auf einem Schemel hinter dem Ofen und murmelten,
während der Barbier einseifte, unsere herkömmlichen Flüche ziemlich leise. Nun
aber hatte Adramelech den Satan mit eisernen Händen zu fassen. Meine
Schwester packte mich gewaltig an und rezitierte, zwar leise genug, aber doch
mit steigender Leidenschaft:
„Hilf mir! Ich flehe dich an! Ich bete, wenn du es forderst,
Ungeheuer dich an! Verworfener, schwarzer Verbrecher.
Hilf mir! Ich leide die Pein des rächenden, ewigen Todes.
Vormals konnt ich mit heißem, mit grimmigem Hasse dich hassen.
Jetzt vermag ich es nicht mehr! Auch dies ist stechender Jammer."
Bisher war alles leidlich gegangen; aber laut, mit fürchterlicher Stimme,
rief sie die folgenden Worte:
„O, wie bin ich zermalmt!"
Der gute Chirurgus erschrack und goß dem Vater das Seifenbecken in die
Brust. Da gab es einen großen Aufstand und eine strenge Untersuchung ward
gehalten, besonders in Anbetracht des Unglücks, das hätte entstehen können,
wenn man schon im Rasieren begriffen gewesen wäre. Um allen Verdacht des
Mutwillens von uns abzulehnen, bekannten wir uns zu unseren teuflischen Rollen
und das Unglück, das die Hexameter angerichtet hatten, war zu offenbar, als
daß man sie nicht aufs neue hätte verrufen und verbannen sollen"*).
Wie aber verhielt sich der Rat Goethe zu des Sohnes Dichtungen? Goethe
hatte während seines Aufenthaltes im Elsaß eine größere Anzahl kleinerer Ge¬
dichte. Aufsätze, Reisenotizen und dergleichen geschrieben. Der Vater ordnete
*) Goethe: „Dichtung und Wahrheit."
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