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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Goethes Vater

gewesen sein, wenn derselbe Mann in seinem Sohne immer und immer wieder
die Sehnsucht nach dem Süden weckt und ihn mehrmals geradezu zu einer
italienischen Reise nötigt.

Außer den schon erwähnten Steinsammlungen besaß der Rat Goethe eine
Landkartensammlung, einen Schrank alter Gewehre, einen Schrank merkwürdiger
venetianischer Gläser, Becher und Pokale, Elfenbeinarbeiter und Bronzen. Der
junge Wolfgang aber durfte im Auftrag des Vaters Auktionen besuchen, um
den Bestand dieser Sammlungen zu vermehren. Wer denkt dabei nicht an
Goethes Sammeleifer? Die Annahme liegt ferner nahe genug, daß ein Teil
der Sammlungen des Weimarer Goethehauses die Kunstschätze des alten Goethe
darstellt.

Die Behauptung, die Beschäftigung des Rates mit den Künsten sei eine
rein äußerliche gewesen, erscheint ebenfalls unzutreffend*). Goethe sagt in
"Dichtung und Wahrheit": "Da mein Vater sich nicht leicht eine Ausgabe
erlaubte, die durch einen augenblicklichen Genuß wäre aufgezehrt worden, so
war er dagegen nicht karg mit der Anschaffung solcher Dinge, die bei einem
inneren Wert auch einen guten äußeren Schein haben." Dazu muß man sich
den Charakter des alten Goethe in seinem Ernst, seiner Gründlichkeit und Spar¬
samkeit vor Augen halten, um sich zu sagen, des äußeren Prunkes wegen hätte
er nicht jahraus, jahrein größere Summen für Kunstwerke ausgegeben; denn
außer den erwähnten Bronzen sammelte er auch noch Gemälde. Dabei blieb
er in lebhaftem Kontakt mit den Malern selbst, denen er sein Haus offenhielt
und die seine Gastfreundschaft häufig genug in Anspruch nahmen. Ein so ganz
unliebenswürdiger Mann muß er also doch nicht gewesen sein. Ihn zum
Kunstkenner**) machen zu wollen, erscheint mir verfehlt, dazu blieb er viel zu
sehr am Stofflichen kleben. Er hatte aus praktischen Gründen sein Gefühls¬
leben verkümmern lassen, um so mehr aber seinen Verstand geschärft und be¬
urteilte deshalb gewohnheitsmäßig alles zunächst mit dem Verstände. Damit
kommt man aber einem Kunstwerk nicht näher, das zuerst mit dem Gefühl
begriffen werden will. Wir werden also den Rat Goethe zu den Kunstlieb¬
habern rechnen dürfen, in denen ein reiches differenziertes Gefühlsleben verborgen
ist, weil es sich nicht hat entwickeln dürfen. Dieses Unterdrücken begünstigte
wiederum seine büreaukratische Seite, durch die er oft genug in Gegensatz zu
der künstlerischen Natur des Sohnes trat. Seine Gemälde mußten sich eine
Schematisierung gefallen lassen. Sie wurden alle, der äußeren Übereinstimmung
halber, in schwarze Rahmen mit Goldleisten gerahmt und symmetrisch aufgehangen.

Interessant ist übrigens, daß die Gemäldesammlung im damaligen
Fremdenführer durch Frankfurt als Sehenswürdigkeit aufgeführt ist***).







") Hememann: "Goethes Mutter", S. 25,
"*) Keil nach Ewart: "Goethes Vater", S, 14,
Ewart: "Goethes Vater".
Grenzboten l 1914 17
Goethes Vater

gewesen sein, wenn derselbe Mann in seinem Sohne immer und immer wieder
die Sehnsucht nach dem Süden weckt und ihn mehrmals geradezu zu einer
italienischen Reise nötigt.

Außer den schon erwähnten Steinsammlungen besaß der Rat Goethe eine
Landkartensammlung, einen Schrank alter Gewehre, einen Schrank merkwürdiger
venetianischer Gläser, Becher und Pokale, Elfenbeinarbeiter und Bronzen. Der
junge Wolfgang aber durfte im Auftrag des Vaters Auktionen besuchen, um
den Bestand dieser Sammlungen zu vermehren. Wer denkt dabei nicht an
Goethes Sammeleifer? Die Annahme liegt ferner nahe genug, daß ein Teil
der Sammlungen des Weimarer Goethehauses die Kunstschätze des alten Goethe
darstellt.

Die Behauptung, die Beschäftigung des Rates mit den Künsten sei eine
rein äußerliche gewesen, erscheint ebenfalls unzutreffend*). Goethe sagt in
„Dichtung und Wahrheit": „Da mein Vater sich nicht leicht eine Ausgabe
erlaubte, die durch einen augenblicklichen Genuß wäre aufgezehrt worden, so
war er dagegen nicht karg mit der Anschaffung solcher Dinge, die bei einem
inneren Wert auch einen guten äußeren Schein haben." Dazu muß man sich
den Charakter des alten Goethe in seinem Ernst, seiner Gründlichkeit und Spar¬
samkeit vor Augen halten, um sich zu sagen, des äußeren Prunkes wegen hätte
er nicht jahraus, jahrein größere Summen für Kunstwerke ausgegeben; denn
außer den erwähnten Bronzen sammelte er auch noch Gemälde. Dabei blieb
er in lebhaftem Kontakt mit den Malern selbst, denen er sein Haus offenhielt
und die seine Gastfreundschaft häufig genug in Anspruch nahmen. Ein so ganz
unliebenswürdiger Mann muß er also doch nicht gewesen sein. Ihn zum
Kunstkenner**) machen zu wollen, erscheint mir verfehlt, dazu blieb er viel zu
sehr am Stofflichen kleben. Er hatte aus praktischen Gründen sein Gefühls¬
leben verkümmern lassen, um so mehr aber seinen Verstand geschärft und be¬
urteilte deshalb gewohnheitsmäßig alles zunächst mit dem Verstände. Damit
kommt man aber einem Kunstwerk nicht näher, das zuerst mit dem Gefühl
begriffen werden will. Wir werden also den Rat Goethe zu den Kunstlieb¬
habern rechnen dürfen, in denen ein reiches differenziertes Gefühlsleben verborgen
ist, weil es sich nicht hat entwickeln dürfen. Dieses Unterdrücken begünstigte
wiederum seine büreaukratische Seite, durch die er oft genug in Gegensatz zu
der künstlerischen Natur des Sohnes trat. Seine Gemälde mußten sich eine
Schematisierung gefallen lassen. Sie wurden alle, der äußeren Übereinstimmung
halber, in schwarze Rahmen mit Goldleisten gerahmt und symmetrisch aufgehangen.

Interessant ist übrigens, daß die Gemäldesammlung im damaligen
Fremdenführer durch Frankfurt als Sehenswürdigkeit aufgeführt ist***).







") Hememann: „Goethes Mutter", S. 25,
"*) Keil nach Ewart: „Goethes Vater", S, 14,
Ewart: „Goethes Vater".
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[0269] Goethes Vater gewesen sein, wenn derselbe Mann in seinem Sohne immer und immer wieder die Sehnsucht nach dem Süden weckt und ihn mehrmals geradezu zu einer italienischen Reise nötigt. Außer den schon erwähnten Steinsammlungen besaß der Rat Goethe eine Landkartensammlung, einen Schrank alter Gewehre, einen Schrank merkwürdiger venetianischer Gläser, Becher und Pokale, Elfenbeinarbeiter und Bronzen. Der junge Wolfgang aber durfte im Auftrag des Vaters Auktionen besuchen, um den Bestand dieser Sammlungen zu vermehren. Wer denkt dabei nicht an Goethes Sammeleifer? Die Annahme liegt ferner nahe genug, daß ein Teil der Sammlungen des Weimarer Goethehauses die Kunstschätze des alten Goethe darstellt. Die Behauptung, die Beschäftigung des Rates mit den Künsten sei eine rein äußerliche gewesen, erscheint ebenfalls unzutreffend*). Goethe sagt in „Dichtung und Wahrheit": „Da mein Vater sich nicht leicht eine Ausgabe erlaubte, die durch einen augenblicklichen Genuß wäre aufgezehrt worden, so war er dagegen nicht karg mit der Anschaffung solcher Dinge, die bei einem inneren Wert auch einen guten äußeren Schein haben." Dazu muß man sich den Charakter des alten Goethe in seinem Ernst, seiner Gründlichkeit und Spar¬ samkeit vor Augen halten, um sich zu sagen, des äußeren Prunkes wegen hätte er nicht jahraus, jahrein größere Summen für Kunstwerke ausgegeben; denn außer den erwähnten Bronzen sammelte er auch noch Gemälde. Dabei blieb er in lebhaftem Kontakt mit den Malern selbst, denen er sein Haus offenhielt und die seine Gastfreundschaft häufig genug in Anspruch nahmen. Ein so ganz unliebenswürdiger Mann muß er also doch nicht gewesen sein. Ihn zum Kunstkenner**) machen zu wollen, erscheint mir verfehlt, dazu blieb er viel zu sehr am Stofflichen kleben. Er hatte aus praktischen Gründen sein Gefühls¬ leben verkümmern lassen, um so mehr aber seinen Verstand geschärft und be¬ urteilte deshalb gewohnheitsmäßig alles zunächst mit dem Verstände. Damit kommt man aber einem Kunstwerk nicht näher, das zuerst mit dem Gefühl begriffen werden will. Wir werden also den Rat Goethe zu den Kunstlieb¬ habern rechnen dürfen, in denen ein reiches differenziertes Gefühlsleben verborgen ist, weil es sich nicht hat entwickeln dürfen. Dieses Unterdrücken begünstigte wiederum seine büreaukratische Seite, durch die er oft genug in Gegensatz zu der künstlerischen Natur des Sohnes trat. Seine Gemälde mußten sich eine Schematisierung gefallen lassen. Sie wurden alle, der äußeren Übereinstimmung halber, in schwarze Rahmen mit Goldleisten gerahmt und symmetrisch aufgehangen. Interessant ist übrigens, daß die Gemäldesammlung im damaligen Fremdenführer durch Frankfurt als Sehenswürdigkeit aufgeführt ist***). ") Hememann: „Goethes Mutter", S. 25, "*) Keil nach Ewart: „Goethes Vater", S, 14, Ewart: „Goethes Vater". Grenzboten l 1914 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/269>, abgerufen am 04.01.2025.