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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Goethes Vater

In dem Bestreben, seinen Kindern eine gediegene Ausbildung auf möglichst
breiter Grundlage zu geben, ergriff Goethes Vater jedes Mittel, das ihm zu
seinem Zwecke geeignet erschien. Es ist im höchsten Maße bewundernswert.
mit welcher Umsicht, Energie und Selbstverleugnung er dabei zu Werke ging.
So meldete sich einst ein englischer Sprachlehrer und der bereits fünfzigjährige
Mann entschließt sich sofort, mit seinen Kindern Unterricht zu nehmen, um
dadurch eine Lücke in seiner Bildung zu schließen. Diesen Zug finden wir, wie
so viele andere Züge des Vaters, in dem Dichter wieder. Wie mit dem Eng¬
lischen hielt es der Rat mit dem Zeichnen. Goethe schreibt darüber:

"Er hatte nie gezeichnet, wollte nun aber, da seine Kinder diese Kunst
trieben, nicht zurückbleiben, sondern ihnen, selbst in seinem Alter, ein Beispiel
geben, wie sie in ihrer Jugend verfahren sollten. Er kopierte also einige Köpfe
des Piazetta, nach dessen bekannten Blättern in Kleinoktav, mit englischem
Bleistift auf das feinste holländische Papier. Er beobachtete dabei nicht allein
die größte Reinlichkeit im Umriß, sondern ahmte auch die Schraffierungen des
Kupferstiches aufs genaueste nach, mit einer leichten Hand, nur allzu leise, da
er dann, weil er die Härten vermeiden wollte, keine Haltung in die Blätter
brachte, doch waren sie durchaus zart und gleichförmig. Sein anhaltender,
unermüdlicher Fleiß ging so weit, daß er die ganze ansehnliche Sammlung
nach allen ihren Nummern durchzeichnete, indessen wir Kinder von einem Kopf
zum anderen sprangen und uns nur die auserwählten, welche uns gefielen"*).

Als dann Goethe nach seinem ersten Liebesabenteuer mit dem Sachsen-
hausener Gretchen Zerstreuung im Zeichnen nach der Natur suchte, sehen wir
seinen Vater in geradezu rührender Weise an den Bemühungen des Sohnes teil¬
nehmen, auch hierin seine Grundsätze nicht verleugnend. Jede Zeichnung, jede
kleinste Skizze war für den Vater von Wert, mochte sie auf sauberem Papier,
auf einem abgerissenen Fetzen oder mochten mehrere Zeichnungen auf einen
kleinen Bogen gedrängt sein. Letztere trennte er voneinander, unförmige Blätter
beschnitt er, zog Linien um die Bildchen und ließ alles vom Buchbinder auf¬
ziehen, damit er später an dieser Sammlung der Fortschritte seines Sohnes
sich erfreuen könne, wie Goethe sagt. Wolfgang wurde dann genötigt, die
Umrisse verschiedener Berge bis an die vom Vater gezogenen Linien fortzuführen
und den Vordergrund mit einigen Kräutern und Steinen auszufüllen. Diese
innige Freude und Teilnahme an der Beschäftigung des Sohnes muß dem
Herrn Rat hoch angerechnet werden. Er liebte in diesen Zeichnungen ja nicht
wie wir die Produkte unseres größten Dichters, sondern lediglich die tastenden
Versuche seines eigenen, teuren Kindes, von dem er nicht ahnen konnte, wozu
es berufen sei.

"Konnten seine treuen Bemühungen auch mein Talent nicht steigern", sagt
Goethe, "so hatte doch dieser Zug seiner Ordnungsliebe seinen geheimen Ein-



') Goethe: "Dichtung und Wahrheit".
Goethes Vater

In dem Bestreben, seinen Kindern eine gediegene Ausbildung auf möglichst
breiter Grundlage zu geben, ergriff Goethes Vater jedes Mittel, das ihm zu
seinem Zwecke geeignet erschien. Es ist im höchsten Maße bewundernswert.
mit welcher Umsicht, Energie und Selbstverleugnung er dabei zu Werke ging.
So meldete sich einst ein englischer Sprachlehrer und der bereits fünfzigjährige
Mann entschließt sich sofort, mit seinen Kindern Unterricht zu nehmen, um
dadurch eine Lücke in seiner Bildung zu schließen. Diesen Zug finden wir, wie
so viele andere Züge des Vaters, in dem Dichter wieder. Wie mit dem Eng¬
lischen hielt es der Rat mit dem Zeichnen. Goethe schreibt darüber:

„Er hatte nie gezeichnet, wollte nun aber, da seine Kinder diese Kunst
trieben, nicht zurückbleiben, sondern ihnen, selbst in seinem Alter, ein Beispiel
geben, wie sie in ihrer Jugend verfahren sollten. Er kopierte also einige Köpfe
des Piazetta, nach dessen bekannten Blättern in Kleinoktav, mit englischem
Bleistift auf das feinste holländische Papier. Er beobachtete dabei nicht allein
die größte Reinlichkeit im Umriß, sondern ahmte auch die Schraffierungen des
Kupferstiches aufs genaueste nach, mit einer leichten Hand, nur allzu leise, da
er dann, weil er die Härten vermeiden wollte, keine Haltung in die Blätter
brachte, doch waren sie durchaus zart und gleichförmig. Sein anhaltender,
unermüdlicher Fleiß ging so weit, daß er die ganze ansehnliche Sammlung
nach allen ihren Nummern durchzeichnete, indessen wir Kinder von einem Kopf
zum anderen sprangen und uns nur die auserwählten, welche uns gefielen"*).

Als dann Goethe nach seinem ersten Liebesabenteuer mit dem Sachsen-
hausener Gretchen Zerstreuung im Zeichnen nach der Natur suchte, sehen wir
seinen Vater in geradezu rührender Weise an den Bemühungen des Sohnes teil¬
nehmen, auch hierin seine Grundsätze nicht verleugnend. Jede Zeichnung, jede
kleinste Skizze war für den Vater von Wert, mochte sie auf sauberem Papier,
auf einem abgerissenen Fetzen oder mochten mehrere Zeichnungen auf einen
kleinen Bogen gedrängt sein. Letztere trennte er voneinander, unförmige Blätter
beschnitt er, zog Linien um die Bildchen und ließ alles vom Buchbinder auf¬
ziehen, damit er später an dieser Sammlung der Fortschritte seines Sohnes
sich erfreuen könne, wie Goethe sagt. Wolfgang wurde dann genötigt, die
Umrisse verschiedener Berge bis an die vom Vater gezogenen Linien fortzuführen
und den Vordergrund mit einigen Kräutern und Steinen auszufüllen. Diese
innige Freude und Teilnahme an der Beschäftigung des Sohnes muß dem
Herrn Rat hoch angerechnet werden. Er liebte in diesen Zeichnungen ja nicht
wie wir die Produkte unseres größten Dichters, sondern lediglich die tastenden
Versuche seines eigenen, teuren Kindes, von dem er nicht ahnen konnte, wozu
es berufen sei.

„Konnten seine treuen Bemühungen auch mein Talent nicht steigern", sagt
Goethe, „so hatte doch dieser Zug seiner Ordnungsliebe seinen geheimen Ein-



') Goethe: „Dichtung und Wahrheit".
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[0266] Goethes Vater In dem Bestreben, seinen Kindern eine gediegene Ausbildung auf möglichst breiter Grundlage zu geben, ergriff Goethes Vater jedes Mittel, das ihm zu seinem Zwecke geeignet erschien. Es ist im höchsten Maße bewundernswert. mit welcher Umsicht, Energie und Selbstverleugnung er dabei zu Werke ging. So meldete sich einst ein englischer Sprachlehrer und der bereits fünfzigjährige Mann entschließt sich sofort, mit seinen Kindern Unterricht zu nehmen, um dadurch eine Lücke in seiner Bildung zu schließen. Diesen Zug finden wir, wie so viele andere Züge des Vaters, in dem Dichter wieder. Wie mit dem Eng¬ lischen hielt es der Rat mit dem Zeichnen. Goethe schreibt darüber: „Er hatte nie gezeichnet, wollte nun aber, da seine Kinder diese Kunst trieben, nicht zurückbleiben, sondern ihnen, selbst in seinem Alter, ein Beispiel geben, wie sie in ihrer Jugend verfahren sollten. Er kopierte also einige Köpfe des Piazetta, nach dessen bekannten Blättern in Kleinoktav, mit englischem Bleistift auf das feinste holländische Papier. Er beobachtete dabei nicht allein die größte Reinlichkeit im Umriß, sondern ahmte auch die Schraffierungen des Kupferstiches aufs genaueste nach, mit einer leichten Hand, nur allzu leise, da er dann, weil er die Härten vermeiden wollte, keine Haltung in die Blätter brachte, doch waren sie durchaus zart und gleichförmig. Sein anhaltender, unermüdlicher Fleiß ging so weit, daß er die ganze ansehnliche Sammlung nach allen ihren Nummern durchzeichnete, indessen wir Kinder von einem Kopf zum anderen sprangen und uns nur die auserwählten, welche uns gefielen"*). Als dann Goethe nach seinem ersten Liebesabenteuer mit dem Sachsen- hausener Gretchen Zerstreuung im Zeichnen nach der Natur suchte, sehen wir seinen Vater in geradezu rührender Weise an den Bemühungen des Sohnes teil¬ nehmen, auch hierin seine Grundsätze nicht verleugnend. Jede Zeichnung, jede kleinste Skizze war für den Vater von Wert, mochte sie auf sauberem Papier, auf einem abgerissenen Fetzen oder mochten mehrere Zeichnungen auf einen kleinen Bogen gedrängt sein. Letztere trennte er voneinander, unförmige Blätter beschnitt er, zog Linien um die Bildchen und ließ alles vom Buchbinder auf¬ ziehen, damit er später an dieser Sammlung der Fortschritte seines Sohnes sich erfreuen könne, wie Goethe sagt. Wolfgang wurde dann genötigt, die Umrisse verschiedener Berge bis an die vom Vater gezogenen Linien fortzuführen und den Vordergrund mit einigen Kräutern und Steinen auszufüllen. Diese innige Freude und Teilnahme an der Beschäftigung des Sohnes muß dem Herrn Rat hoch angerechnet werden. Er liebte in diesen Zeichnungen ja nicht wie wir die Produkte unseres größten Dichters, sondern lediglich die tastenden Versuche seines eigenen, teuren Kindes, von dem er nicht ahnen konnte, wozu es berufen sei. „Konnten seine treuen Bemühungen auch mein Talent nicht steigern", sagt Goethe, „so hatte doch dieser Zug seiner Ordnungsliebe seinen geheimen Ein- ') Goethe: „Dichtung und Wahrheit".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/266>, abgerufen am 04.01.2025.