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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Goethes Vater

ist gewiß undiplomatisch, aber so sehr begreiflich und darum entschuldbar. Er
mußte dann noch über zwei Jahre die Einquartierung ertragen.

Schubart in seiner Abhandlung: "t^i'An?c>is as ^KöAs, avendo cle l'KorÄNL",
Goethes Königsleutnant, verurteilt das Verhalten des kaiserlichen Rates voll¬
ständig und bezeichnet es als eine abstruse Ungeschlachtheit und als gänzlichen
Mangel an Selbstbeherrschung und Anstand*).

Dieser Behauptung gegenüber berührt eine Episode merkwürdig, die Düntzer
erzählt**). Goethes Vater hatte sich beim Stadtschultheißen, seinem Schwieger¬
vater, des öfteren über Thoranc beklagt und um Befreiung von der Einquar¬
tierung gebeten. Bei einem Taufschmause kam es zwischen beiden darüber zu
einem scharfen Wortwechsel, wobei der kaiserliche Rat in der Hitze der Leiden¬
schaft das Geld, welches Textor für den Verrat der Stadt an die Franzosen
erhalten, und die, welche die Franzosen in die Stadt gelassen, verflucht haben
soll. Textor warf das Messer nach dem Schwiegersohn, worauf dieser den
Degen zog. Nur mit Mühe konnte die Frau Stadtschultheiß später die er¬
bitterten Parteien versöhnen.

Wo blieb da die Selbstbeherrschung und der Anstand des Schultheißen
Textor?

Nach Düntzers Darstellung ist man also geneigt, sich auf die Seite des
kaiserlichen Rates zu stellen. Für Heinemanns Art ist es nun charakteristisch,
wie er beide Zusammenstöße mit Thoranc und Textor beurteilt. Er schreibt
über Goethes Vater:

"Seine patriotische Begeisterung für Friedrich den Großen brachte ihn und
die Seinen in die größte Gefahr, seine Verteidigung der Fritzischen Sache führte
zu einem Riß in den Familien Goethe und Textor. So wurden viele seiner
Tugenden zu Fehlern und Schwächen, weil ihm, dem klugen, pflichttreuen und
opferfreudigen Manne, die höhere Weisheit fehlte, die maßvolle Besonnenheit,
die Rücksichtnahme auf Menschen und Umstände, die Fähigkeit oder der Mut
das Verfehlte oder Unrechte zur richtigen Zeit einzugestehen"***).

Ich meine, auf diese Weise ist es leicht, einen Menschen herunterzusetzen.

Nachdem wieder Ruhe im Hause am Hirschgraben eingekehrt war, schafft
sich der Rat Goethe ein neues Ziel: die Ausbildung und Erziehung seiner
Kinder. Es ist selbstverständlich, daß ein Mann, der sich diese Aufgabe erwählt,
ein im Grunde gütiger Mensch sein muß. Die Schulverhältnisse waren damals
nicht die besten in Frankfurt, zudem hatte Goethes Vater ein entschieden päda¬
gogisches Talent, das betätigen zu können ihm Anregung bot. In einzelnen
Fächern wurden noch Lehrmeister hinzugezogen. Den Tanzunterricht gab der
Rat seinen Kindern selbst. Dieser Unterricht ist wohl lediglich als eine Erholung
sür den Lehrer anzusehen, eine Art Spiel des Erwachsenen mit den Kindern.





") Ewart: "Goethes Vater/'
"") Düntzer: "Goethes Leben", S. 32.
Hememann: "Goethes Mutter", S. 2ö.
Goethes Vater

ist gewiß undiplomatisch, aber so sehr begreiflich und darum entschuldbar. Er
mußte dann noch über zwei Jahre die Einquartierung ertragen.

Schubart in seiner Abhandlung: „t^i'An?c>is as ^KöAs, avendo cle l'KorÄNL",
Goethes Königsleutnant, verurteilt das Verhalten des kaiserlichen Rates voll¬
ständig und bezeichnet es als eine abstruse Ungeschlachtheit und als gänzlichen
Mangel an Selbstbeherrschung und Anstand*).

Dieser Behauptung gegenüber berührt eine Episode merkwürdig, die Düntzer
erzählt**). Goethes Vater hatte sich beim Stadtschultheißen, seinem Schwieger¬
vater, des öfteren über Thoranc beklagt und um Befreiung von der Einquar¬
tierung gebeten. Bei einem Taufschmause kam es zwischen beiden darüber zu
einem scharfen Wortwechsel, wobei der kaiserliche Rat in der Hitze der Leiden¬
schaft das Geld, welches Textor für den Verrat der Stadt an die Franzosen
erhalten, und die, welche die Franzosen in die Stadt gelassen, verflucht haben
soll. Textor warf das Messer nach dem Schwiegersohn, worauf dieser den
Degen zog. Nur mit Mühe konnte die Frau Stadtschultheiß später die er¬
bitterten Parteien versöhnen.

Wo blieb da die Selbstbeherrschung und der Anstand des Schultheißen
Textor?

Nach Düntzers Darstellung ist man also geneigt, sich auf die Seite des
kaiserlichen Rates zu stellen. Für Heinemanns Art ist es nun charakteristisch,
wie er beide Zusammenstöße mit Thoranc und Textor beurteilt. Er schreibt
über Goethes Vater:

„Seine patriotische Begeisterung für Friedrich den Großen brachte ihn und
die Seinen in die größte Gefahr, seine Verteidigung der Fritzischen Sache führte
zu einem Riß in den Familien Goethe und Textor. So wurden viele seiner
Tugenden zu Fehlern und Schwächen, weil ihm, dem klugen, pflichttreuen und
opferfreudigen Manne, die höhere Weisheit fehlte, die maßvolle Besonnenheit,
die Rücksichtnahme auf Menschen und Umstände, die Fähigkeit oder der Mut
das Verfehlte oder Unrechte zur richtigen Zeit einzugestehen"***).

Ich meine, auf diese Weise ist es leicht, einen Menschen herunterzusetzen.

Nachdem wieder Ruhe im Hause am Hirschgraben eingekehrt war, schafft
sich der Rat Goethe ein neues Ziel: die Ausbildung und Erziehung seiner
Kinder. Es ist selbstverständlich, daß ein Mann, der sich diese Aufgabe erwählt,
ein im Grunde gütiger Mensch sein muß. Die Schulverhältnisse waren damals
nicht die besten in Frankfurt, zudem hatte Goethes Vater ein entschieden päda¬
gogisches Talent, das betätigen zu können ihm Anregung bot. In einzelnen
Fächern wurden noch Lehrmeister hinzugezogen. Den Tanzunterricht gab der
Rat seinen Kindern selbst. Dieser Unterricht ist wohl lediglich als eine Erholung
sür den Lehrer anzusehen, eine Art Spiel des Erwachsenen mit den Kindern.





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«") Düntzer: „Goethes Leben", S. 32.
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[0265] Goethes Vater ist gewiß undiplomatisch, aber so sehr begreiflich und darum entschuldbar. Er mußte dann noch über zwei Jahre die Einquartierung ertragen. Schubart in seiner Abhandlung: „t^i'An?c>is as ^KöAs, avendo cle l'KorÄNL", Goethes Königsleutnant, verurteilt das Verhalten des kaiserlichen Rates voll¬ ständig und bezeichnet es als eine abstruse Ungeschlachtheit und als gänzlichen Mangel an Selbstbeherrschung und Anstand*). Dieser Behauptung gegenüber berührt eine Episode merkwürdig, die Düntzer erzählt**). Goethes Vater hatte sich beim Stadtschultheißen, seinem Schwieger¬ vater, des öfteren über Thoranc beklagt und um Befreiung von der Einquar¬ tierung gebeten. Bei einem Taufschmause kam es zwischen beiden darüber zu einem scharfen Wortwechsel, wobei der kaiserliche Rat in der Hitze der Leiden¬ schaft das Geld, welches Textor für den Verrat der Stadt an die Franzosen erhalten, und die, welche die Franzosen in die Stadt gelassen, verflucht haben soll. Textor warf das Messer nach dem Schwiegersohn, worauf dieser den Degen zog. Nur mit Mühe konnte die Frau Stadtschultheiß später die er¬ bitterten Parteien versöhnen. Wo blieb da die Selbstbeherrschung und der Anstand des Schultheißen Textor? Nach Düntzers Darstellung ist man also geneigt, sich auf die Seite des kaiserlichen Rates zu stellen. Für Heinemanns Art ist es nun charakteristisch, wie er beide Zusammenstöße mit Thoranc und Textor beurteilt. Er schreibt über Goethes Vater: „Seine patriotische Begeisterung für Friedrich den Großen brachte ihn und die Seinen in die größte Gefahr, seine Verteidigung der Fritzischen Sache führte zu einem Riß in den Familien Goethe und Textor. So wurden viele seiner Tugenden zu Fehlern und Schwächen, weil ihm, dem klugen, pflichttreuen und opferfreudigen Manne, die höhere Weisheit fehlte, die maßvolle Besonnenheit, die Rücksichtnahme auf Menschen und Umstände, die Fähigkeit oder der Mut das Verfehlte oder Unrechte zur richtigen Zeit einzugestehen"***). Ich meine, auf diese Weise ist es leicht, einen Menschen herunterzusetzen. Nachdem wieder Ruhe im Hause am Hirschgraben eingekehrt war, schafft sich der Rat Goethe ein neues Ziel: die Ausbildung und Erziehung seiner Kinder. Es ist selbstverständlich, daß ein Mann, der sich diese Aufgabe erwählt, ein im Grunde gütiger Mensch sein muß. Die Schulverhältnisse waren damals nicht die besten in Frankfurt, zudem hatte Goethes Vater ein entschieden päda¬ gogisches Talent, das betätigen zu können ihm Anregung bot. In einzelnen Fächern wurden noch Lehrmeister hinzugezogen. Den Tanzunterricht gab der Rat seinen Kindern selbst. Dieser Unterricht ist wohl lediglich als eine Erholung sür den Lehrer anzusehen, eine Art Spiel des Erwachsenen mit den Kindern. ") Ewart: „Goethes Vater/' «") Düntzer: „Goethes Leben", S. 32. Hememann: „Goethes Mutter", S. 2ö.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/265>, abgerufen am 04.01.2025.