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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Goethes Vater

Leben Johann Kaspar Goethes und wir haben deshalb in seinen Beschäftigungen
nicht nur das Ausfüllen seiner Zeit, sondern auch ein verzweifeltes Suchen nach
Zielen oder einem Wirken nach außen zu erblicken.

Er hatte sich aus den Niederungen des Bürgerstandes mit eisernem Fleiß
heraufgearbeitet und gehörte durch seine Heirat zu den ersten Frankfurter Fa¬
milien. Diese Stellung sollte auch äußerlich zum Ausdruck kommen, und so
verfiel er auf den Umbau seines Hauses. Hier tritt uns ein Zug außerordent¬
licher Zartheit entgegen. Schon lange hatte er sich mit dem Umbau befaßt;
die Pläne waren entworfen und durchgearbeitet; aber es widerstrebte ihm, sich
diesen sehnlicher Wunsch zu erfüllen, so lange seine alte Mutter lebte. Er
wollte ihr die Unruhen und Unannehmlichkeiten des Anbaues sowie den Auszug
aus langgewohnten Räumen ersparen. Gleich nach ihrem Tode wird der Umbau
in Angriff genommen. Goethe bestätigt diesen Zug von Zartheit:

"Ein zwar liebevoller und wohlgesinnter Vater, der, weil er innerlich ein
sehr zartes Gemüt hegte, äußerlich mit unglaublicher Konsequenz eine eherne
Strenge vorbildete, damit er zu seinem Ziele gelangen möchte, seinen Kindern
die beste Erziehung zu geben, sein wohlgegründetes Haus zu erbauen, zu ordnen
und zu erholten."*)

Hier haben wir also den ganzen Lebensplan des alten Goethe.

Während des Anbaues war die Stimmung im Goethescher Hause eine
vorzügliche, trotz der vielen Unannehmlichkeiten. Der Vater hatte sein Ziel! Er
war den ganzen Tag über beschäftigt, hatte die Arbeiten zu überwachen und
seinen Wünschen Ausdruck zu verleihen, sowie technische Ratschläge zu erteilen,
auf die er sich verstand. Die Stimmung war so, daß man sich, nach Goethes
eigenen Worten: "Kein glücklicheres Leben hätte denken können, zumal da
manches Gute teils in der Familie selbst entsprang, teils ihr von außen
zufloß."*")

An dieser Stelle möchte ich des bekannten Auftrittes mit dem Grafen
Thoranc gedenken, weil er von den Biographen benutzt wurde, um den Charakter
des alten Goethe tiefer zu hängen. Die Einquartierung geschah, als eben der
Umbau vollendet war und stellte den ganzen Haushalt von neuem auf den
Kopf. Die Familie Goethe mußte ihre besten Zimmer hergeben und war selber
auf einige Nebenräume angewiesen. Im Hause ging es wie in einem Tauben¬
schlage zu und eine Gasterei folgte der anderen. Durch diesen Zustand wurde
die Geduld des an Ordnung und Regelmäßigkeit gewöhnten Hausherrn begreif¬
licherweise stark auf die Probe gestellt. Der Rat Goethe war ferner ein
begeisterter Anhänger des großen Königs. Als ihm daher auch noch zugemutet
wurde, er solle sich über einen Sieg der Franzosen über die Preußen freuen,
brach der verhaltene Unmut in ihm durch: "Ich wollte, sie hätten euch zum
Teufel gejagt und wenn ich hätte mitfahren sollen", war seine Antwort. Sie




Goethe: "Dichtung und Wahrheit/'
"
") Goethe: "Dichtung und Wahrheit.
Goethes Vater

Leben Johann Kaspar Goethes und wir haben deshalb in seinen Beschäftigungen
nicht nur das Ausfüllen seiner Zeit, sondern auch ein verzweifeltes Suchen nach
Zielen oder einem Wirken nach außen zu erblicken.

Er hatte sich aus den Niederungen des Bürgerstandes mit eisernem Fleiß
heraufgearbeitet und gehörte durch seine Heirat zu den ersten Frankfurter Fa¬
milien. Diese Stellung sollte auch äußerlich zum Ausdruck kommen, und so
verfiel er auf den Umbau seines Hauses. Hier tritt uns ein Zug außerordent¬
licher Zartheit entgegen. Schon lange hatte er sich mit dem Umbau befaßt;
die Pläne waren entworfen und durchgearbeitet; aber es widerstrebte ihm, sich
diesen sehnlicher Wunsch zu erfüllen, so lange seine alte Mutter lebte. Er
wollte ihr die Unruhen und Unannehmlichkeiten des Anbaues sowie den Auszug
aus langgewohnten Räumen ersparen. Gleich nach ihrem Tode wird der Umbau
in Angriff genommen. Goethe bestätigt diesen Zug von Zartheit:

„Ein zwar liebevoller und wohlgesinnter Vater, der, weil er innerlich ein
sehr zartes Gemüt hegte, äußerlich mit unglaublicher Konsequenz eine eherne
Strenge vorbildete, damit er zu seinem Ziele gelangen möchte, seinen Kindern
die beste Erziehung zu geben, sein wohlgegründetes Haus zu erbauen, zu ordnen
und zu erholten."*)

Hier haben wir also den ganzen Lebensplan des alten Goethe.

Während des Anbaues war die Stimmung im Goethescher Hause eine
vorzügliche, trotz der vielen Unannehmlichkeiten. Der Vater hatte sein Ziel! Er
war den ganzen Tag über beschäftigt, hatte die Arbeiten zu überwachen und
seinen Wünschen Ausdruck zu verleihen, sowie technische Ratschläge zu erteilen,
auf die er sich verstand. Die Stimmung war so, daß man sich, nach Goethes
eigenen Worten: „Kein glücklicheres Leben hätte denken können, zumal da
manches Gute teils in der Familie selbst entsprang, teils ihr von außen
zufloß."*»)

An dieser Stelle möchte ich des bekannten Auftrittes mit dem Grafen
Thoranc gedenken, weil er von den Biographen benutzt wurde, um den Charakter
des alten Goethe tiefer zu hängen. Die Einquartierung geschah, als eben der
Umbau vollendet war und stellte den ganzen Haushalt von neuem auf den
Kopf. Die Familie Goethe mußte ihre besten Zimmer hergeben und war selber
auf einige Nebenräume angewiesen. Im Hause ging es wie in einem Tauben¬
schlage zu und eine Gasterei folgte der anderen. Durch diesen Zustand wurde
die Geduld des an Ordnung und Regelmäßigkeit gewöhnten Hausherrn begreif¬
licherweise stark auf die Probe gestellt. Der Rat Goethe war ferner ein
begeisterter Anhänger des großen Königs. Als ihm daher auch noch zugemutet
wurde, er solle sich über einen Sieg der Franzosen über die Preußen freuen,
brach der verhaltene Unmut in ihm durch: „Ich wollte, sie hätten euch zum
Teufel gejagt und wenn ich hätte mitfahren sollen", war seine Antwort. Sie




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[0264] Goethes Vater Leben Johann Kaspar Goethes und wir haben deshalb in seinen Beschäftigungen nicht nur das Ausfüllen seiner Zeit, sondern auch ein verzweifeltes Suchen nach Zielen oder einem Wirken nach außen zu erblicken. Er hatte sich aus den Niederungen des Bürgerstandes mit eisernem Fleiß heraufgearbeitet und gehörte durch seine Heirat zu den ersten Frankfurter Fa¬ milien. Diese Stellung sollte auch äußerlich zum Ausdruck kommen, und so verfiel er auf den Umbau seines Hauses. Hier tritt uns ein Zug außerordent¬ licher Zartheit entgegen. Schon lange hatte er sich mit dem Umbau befaßt; die Pläne waren entworfen und durchgearbeitet; aber es widerstrebte ihm, sich diesen sehnlicher Wunsch zu erfüllen, so lange seine alte Mutter lebte. Er wollte ihr die Unruhen und Unannehmlichkeiten des Anbaues sowie den Auszug aus langgewohnten Räumen ersparen. Gleich nach ihrem Tode wird der Umbau in Angriff genommen. Goethe bestätigt diesen Zug von Zartheit: „Ein zwar liebevoller und wohlgesinnter Vater, der, weil er innerlich ein sehr zartes Gemüt hegte, äußerlich mit unglaublicher Konsequenz eine eherne Strenge vorbildete, damit er zu seinem Ziele gelangen möchte, seinen Kindern die beste Erziehung zu geben, sein wohlgegründetes Haus zu erbauen, zu ordnen und zu erholten."*) Hier haben wir also den ganzen Lebensplan des alten Goethe. Während des Anbaues war die Stimmung im Goethescher Hause eine vorzügliche, trotz der vielen Unannehmlichkeiten. Der Vater hatte sein Ziel! Er war den ganzen Tag über beschäftigt, hatte die Arbeiten zu überwachen und seinen Wünschen Ausdruck zu verleihen, sowie technische Ratschläge zu erteilen, auf die er sich verstand. Die Stimmung war so, daß man sich, nach Goethes eigenen Worten: „Kein glücklicheres Leben hätte denken können, zumal da manches Gute teils in der Familie selbst entsprang, teils ihr von außen zufloß."*») An dieser Stelle möchte ich des bekannten Auftrittes mit dem Grafen Thoranc gedenken, weil er von den Biographen benutzt wurde, um den Charakter des alten Goethe tiefer zu hängen. Die Einquartierung geschah, als eben der Umbau vollendet war und stellte den ganzen Haushalt von neuem auf den Kopf. Die Familie Goethe mußte ihre besten Zimmer hergeben und war selber auf einige Nebenräume angewiesen. Im Hause ging es wie in einem Tauben¬ schlage zu und eine Gasterei folgte der anderen. Durch diesen Zustand wurde die Geduld des an Ordnung und Regelmäßigkeit gewöhnten Hausherrn begreif¬ licherweise stark auf die Probe gestellt. Der Rat Goethe war ferner ein begeisterter Anhänger des großen Königs. Als ihm daher auch noch zugemutet wurde, er solle sich über einen Sieg der Franzosen über die Preußen freuen, brach der verhaltene Unmut in ihm durch: „Ich wollte, sie hätten euch zum Teufel gejagt und wenn ich hätte mitfahren sollen", war seine Antwort. Sie Goethe: „Dichtung und Wahrheit/' " ") Goethe: „Dichtung und Wahrheit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/264>, abgerufen am 04.01.2025.