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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Goethes Vater

dort in der Beamtenschaft eine angesehene Stellung zu erringen, die seinen
Kenntnissen und Anlagen entspräche.

Über diese Bemühungen erzählt Goethe in "Dichtung und Wahrheit"
folgendes:

"Mein Vater hatte, sobald er von Reisen zurückgekommen, nach seiner
eig-men Sinnesart den Geoanken gefaßt, daß er, um sich zum Dienste der Stadt
fähig zu machen, eines der subalternen Ämter übernehmen und solches ohne
Emolumente führen wolle, wenn man es ihm ohne Ballotage gäbe. Er glaubte
nach seiner Sinnesart, nach dem Begriffe, den er von sich selbst hatte, im
Gefühl seines guten Willens, eine solche Auszeichnung zu verdienen, die freilich
weder gesetzlich noch herkömmlich war. Daher, als ihm sein Gesuch abgeschlagen
wurde, geriet er in Ärger und Mißmut, verschwur, jemals irgendeine Stelle
anzunehmen, und um es unmöglich zu machen, verschaffte er sich den Charakter
eines kaiserlichen Rates, den der Schultheiß und die ältesten Schöffen als Ehren¬
titel tragen. Dadurch hatte er sich zum Gleichen der Obersten gemacht und
konnte nicht mehr von unten anfangen. Derselbe Beweggrund führte ihn auch
dazu, um die älteste Tochter des Schultheiß zu werben, wodurch er auch von
dieser Seite vom Rate ausgeschlossen ward."

In diesem voreiligen Schritt, der von einen: für den kaiserlichen Rat
charakteristischen Eigensinn diktiert worden war, haben wir zweifellos die Quelle
mancher späteren Unzuträglichkeiten und vor allem der wachsenden Verbitterung
Kaspar Goethes zu erblicken, denn er entbehrte eines Wirkungskreises, wie ihn
jeder ehrgeizige Mann vom Leben fordert. Über die Geschäfte, die Goethes
Vater aus seiner Würde erwuchsen, wissen wir nichts. Sie werden gelegentlicher
Natur gewesen sein und jedenfalls nicht hinreichend, um einen Mann von der
Art Kaspar Goethes zu befriedigen. Er war also somit auf seinen häuslichen
Kreis angewiesen. Goethe erzählt davon:

"Er gehörte nun unter die Zurückgezogener, welche niemals unter sich eine
Sozietät machen. Sie stehen so isoliert gegeneinander wie gegen das Ganze,
und um so mehr, als sich in dieser Abgeschiedenheit das Eigentümliche der
Charaktere immer schroffer ausbildet"*).

Man vergegenwärtige sich ein solches Dasein für einen Mann in den besten
Jahren. Es machte auf den jungen Wolfgang einen so tief abschreckenden
Eindruck, daß es, um Goethes eigene Worte zu gebrauchen, wie eine entsetz¬
liche Last auf seinem Gemüte lag, von der er sich zu befreien suchte, indem
er nicht nach dem Wunsche des Vaters, sondern nach seinem eigenen Kopfe seinen
Lebensplan entwarf.

Naturen wie der Rat Goethe bedürfen eines Zieles, dem sie zustreben
können, um zufrieden zu sein. Außerdem braucht der männliche Geist eine
gewisse Machtsphäre über den häuslichen Kreis hinaus. Beides mangelte dem



*) Goethe: "Dichtung und Wahrheit/'
Goethes Vater

dort in der Beamtenschaft eine angesehene Stellung zu erringen, die seinen
Kenntnissen und Anlagen entspräche.

Über diese Bemühungen erzählt Goethe in „Dichtung und Wahrheit"
folgendes:

„Mein Vater hatte, sobald er von Reisen zurückgekommen, nach seiner
eig-men Sinnesart den Geoanken gefaßt, daß er, um sich zum Dienste der Stadt
fähig zu machen, eines der subalternen Ämter übernehmen und solches ohne
Emolumente führen wolle, wenn man es ihm ohne Ballotage gäbe. Er glaubte
nach seiner Sinnesart, nach dem Begriffe, den er von sich selbst hatte, im
Gefühl seines guten Willens, eine solche Auszeichnung zu verdienen, die freilich
weder gesetzlich noch herkömmlich war. Daher, als ihm sein Gesuch abgeschlagen
wurde, geriet er in Ärger und Mißmut, verschwur, jemals irgendeine Stelle
anzunehmen, und um es unmöglich zu machen, verschaffte er sich den Charakter
eines kaiserlichen Rates, den der Schultheiß und die ältesten Schöffen als Ehren¬
titel tragen. Dadurch hatte er sich zum Gleichen der Obersten gemacht und
konnte nicht mehr von unten anfangen. Derselbe Beweggrund führte ihn auch
dazu, um die älteste Tochter des Schultheiß zu werben, wodurch er auch von
dieser Seite vom Rate ausgeschlossen ward."

In diesem voreiligen Schritt, der von einen: für den kaiserlichen Rat
charakteristischen Eigensinn diktiert worden war, haben wir zweifellos die Quelle
mancher späteren Unzuträglichkeiten und vor allem der wachsenden Verbitterung
Kaspar Goethes zu erblicken, denn er entbehrte eines Wirkungskreises, wie ihn
jeder ehrgeizige Mann vom Leben fordert. Über die Geschäfte, die Goethes
Vater aus seiner Würde erwuchsen, wissen wir nichts. Sie werden gelegentlicher
Natur gewesen sein und jedenfalls nicht hinreichend, um einen Mann von der
Art Kaspar Goethes zu befriedigen. Er war also somit auf seinen häuslichen
Kreis angewiesen. Goethe erzählt davon:

„Er gehörte nun unter die Zurückgezogener, welche niemals unter sich eine
Sozietät machen. Sie stehen so isoliert gegeneinander wie gegen das Ganze,
und um so mehr, als sich in dieser Abgeschiedenheit das Eigentümliche der
Charaktere immer schroffer ausbildet"*).

Man vergegenwärtige sich ein solches Dasein für einen Mann in den besten
Jahren. Es machte auf den jungen Wolfgang einen so tief abschreckenden
Eindruck, daß es, um Goethes eigene Worte zu gebrauchen, wie eine entsetz¬
liche Last auf seinem Gemüte lag, von der er sich zu befreien suchte, indem
er nicht nach dem Wunsche des Vaters, sondern nach seinem eigenen Kopfe seinen
Lebensplan entwarf.

Naturen wie der Rat Goethe bedürfen eines Zieles, dem sie zustreben
können, um zufrieden zu sein. Außerdem braucht der männliche Geist eine
gewisse Machtsphäre über den häuslichen Kreis hinaus. Beides mangelte dem



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[0263] Goethes Vater dort in der Beamtenschaft eine angesehene Stellung zu erringen, die seinen Kenntnissen und Anlagen entspräche. Über diese Bemühungen erzählt Goethe in „Dichtung und Wahrheit" folgendes: „Mein Vater hatte, sobald er von Reisen zurückgekommen, nach seiner eig-men Sinnesart den Geoanken gefaßt, daß er, um sich zum Dienste der Stadt fähig zu machen, eines der subalternen Ämter übernehmen und solches ohne Emolumente führen wolle, wenn man es ihm ohne Ballotage gäbe. Er glaubte nach seiner Sinnesart, nach dem Begriffe, den er von sich selbst hatte, im Gefühl seines guten Willens, eine solche Auszeichnung zu verdienen, die freilich weder gesetzlich noch herkömmlich war. Daher, als ihm sein Gesuch abgeschlagen wurde, geriet er in Ärger und Mißmut, verschwur, jemals irgendeine Stelle anzunehmen, und um es unmöglich zu machen, verschaffte er sich den Charakter eines kaiserlichen Rates, den der Schultheiß und die ältesten Schöffen als Ehren¬ titel tragen. Dadurch hatte er sich zum Gleichen der Obersten gemacht und konnte nicht mehr von unten anfangen. Derselbe Beweggrund führte ihn auch dazu, um die älteste Tochter des Schultheiß zu werben, wodurch er auch von dieser Seite vom Rate ausgeschlossen ward." In diesem voreiligen Schritt, der von einen: für den kaiserlichen Rat charakteristischen Eigensinn diktiert worden war, haben wir zweifellos die Quelle mancher späteren Unzuträglichkeiten und vor allem der wachsenden Verbitterung Kaspar Goethes zu erblicken, denn er entbehrte eines Wirkungskreises, wie ihn jeder ehrgeizige Mann vom Leben fordert. Über die Geschäfte, die Goethes Vater aus seiner Würde erwuchsen, wissen wir nichts. Sie werden gelegentlicher Natur gewesen sein und jedenfalls nicht hinreichend, um einen Mann von der Art Kaspar Goethes zu befriedigen. Er war also somit auf seinen häuslichen Kreis angewiesen. Goethe erzählt davon: „Er gehörte nun unter die Zurückgezogener, welche niemals unter sich eine Sozietät machen. Sie stehen so isoliert gegeneinander wie gegen das Ganze, und um so mehr, als sich in dieser Abgeschiedenheit das Eigentümliche der Charaktere immer schroffer ausbildet"*). Man vergegenwärtige sich ein solches Dasein für einen Mann in den besten Jahren. Es machte auf den jungen Wolfgang einen so tief abschreckenden Eindruck, daß es, um Goethes eigene Worte zu gebrauchen, wie eine entsetz¬ liche Last auf seinem Gemüte lag, von der er sich zu befreien suchte, indem er nicht nach dem Wunsche des Vaters, sondern nach seinem eigenen Kopfe seinen Lebensplan entwarf. Naturen wie der Rat Goethe bedürfen eines Zieles, dem sie zustreben können, um zufrieden zu sein. Außerdem braucht der männliche Geist eine gewisse Machtsphäre über den häuslichen Kreis hinaus. Beides mangelte dem *) Goethe: „Dichtung und Wahrheit/'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/263>, abgerufen am 04.01.2025.