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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Goethes Vater

ferner vor allen Dingen der anderthalb Jahre, die Goethe nach Leipzig im
Elternhaus zubrachte, leidend an den Folgen der Leipziger Ausschweifungen, so
kann man ohne weiteres verstehen, daß der Vater den Sohn mit Berechtigung
gelblich knapp hielt und daß er zuerst Resultate von ihm verlangte.

Die beiden Briefsteller von und an Kestner zusammengehalten, charak¬
terisieren die jugendliche Lebensauffassung des Dichters vortrefflich und wir
gehen wohl nicht fehl, wenn wir, bei aller Verehrung für ihn, uns eingestehen, daß
er dem so ernsten und sittenstrengen Vater viele schwere, sorgenvolle Stunden
gemacht habe. Wie er den Sohn, nach "Dichtung und Wahrheit", eigentlich
immer reichlich mit Mitteln versah und den Druck seiner Dichtungen förderte,
würde er auch in diesem Fall nicht anders ohne triftige Gründe gehandelt
haben.

Die Bemühungen also der Biographen, eine hinreichende Erklärung für die
Verweigerung der Unterstützung an den Sohn, bei dessen Übersiedlung nach
Weimar, zu finden, dürfen als gescheitert betrachtet werden. Das Verfahren
des Rates stellt den äußersten Schritt dar, zu dem sich ein Vater gegen den
Sohn entschließt, und man geht wohl nicht fehl, wenn man hierfür Gründe
tieferer Natur annimmt, die sich zunächst unserer Kenntnis entziehen.

Auch Emart, die in ihrer Studie: "Goethes Vater" den kaiserlichen Rat
gegen die besagten Vorwürfe verteidigt, vermag über die tieferen Gründe des
letzten großen Zerwürfnisses zwischen Vater und Sohn uns nichts zu sagen.
Es soll deshalb meine Aufgabe sein, an der Hand eines kurzen Lebensabrisses
der Gestalt des merkwürdigen, durchaus nicht uninteressanter Mannes gerecht
zu werden, um schließlich, gestützt auf dessen Charaktereigenschaften und Lebens-
umstände, vielleicht eine Erklärung sür sein Handeln zu finden und dadurch
Goethes Vater uns menschlich etwas näher zu bringen.

Johann Kaspar Goethe war im Jahre 1710 als erstes Kind des Schneider¬
meisters Friedrich Georg Goethe und dessen Ehefrau, der vero. Cornelie Schell¬
horn, geb. Walther zu Frankfurt a. M. geboren. Schon in seinem Vater findet
man als charakteristischen Zug den Trieb, sich weiter fortzubilden. Er hatte
ihm durch längeren Aufenthalt im Auslande Genüge getan. Für den Sohn
aber erstrebte er, unter jeder Bedingung, höhere Lebensverhältnisse als die
eigenen. Er schickte ihn deshalb mit vierzehn Jahren nach Ewart auf das
Gymnasium Casimiranum zu Kassel, nach Goethe auf das Gymnasium zu Koburg.
Später studierte Kaspar in Leipzig und bildete sich juristisch weiter zu Wetzlar,
Regensburg und Wien aus. Im Jahre 1738 promovierte er zu Gießen mit
der Abhandlung: "Über den Erbschaftsantritt nach römischem und vaterländischen
Rechte" *). Nach seiner Promotion unternahm er eine längere Reise durch Italien,
Frankreich und Holland. Nachdem er so sür eine weitgehende Allgemeinbildung
gesorgt hatte, kehrte er in seine Vaterstadt mit dem festen Vorsatz zurück, sich



*) Ewart: "Goethes Vater", S, 9.
Goethes Vater

ferner vor allen Dingen der anderthalb Jahre, die Goethe nach Leipzig im
Elternhaus zubrachte, leidend an den Folgen der Leipziger Ausschweifungen, so
kann man ohne weiteres verstehen, daß der Vater den Sohn mit Berechtigung
gelblich knapp hielt und daß er zuerst Resultate von ihm verlangte.

Die beiden Briefsteller von und an Kestner zusammengehalten, charak¬
terisieren die jugendliche Lebensauffassung des Dichters vortrefflich und wir
gehen wohl nicht fehl, wenn wir, bei aller Verehrung für ihn, uns eingestehen, daß
er dem so ernsten und sittenstrengen Vater viele schwere, sorgenvolle Stunden
gemacht habe. Wie er den Sohn, nach „Dichtung und Wahrheit", eigentlich
immer reichlich mit Mitteln versah und den Druck seiner Dichtungen förderte,
würde er auch in diesem Fall nicht anders ohne triftige Gründe gehandelt
haben.

Die Bemühungen also der Biographen, eine hinreichende Erklärung für die
Verweigerung der Unterstützung an den Sohn, bei dessen Übersiedlung nach
Weimar, zu finden, dürfen als gescheitert betrachtet werden. Das Verfahren
des Rates stellt den äußersten Schritt dar, zu dem sich ein Vater gegen den
Sohn entschließt, und man geht wohl nicht fehl, wenn man hierfür Gründe
tieferer Natur annimmt, die sich zunächst unserer Kenntnis entziehen.

Auch Emart, die in ihrer Studie: „Goethes Vater" den kaiserlichen Rat
gegen die besagten Vorwürfe verteidigt, vermag über die tieferen Gründe des
letzten großen Zerwürfnisses zwischen Vater und Sohn uns nichts zu sagen.
Es soll deshalb meine Aufgabe sein, an der Hand eines kurzen Lebensabrisses
der Gestalt des merkwürdigen, durchaus nicht uninteressanter Mannes gerecht
zu werden, um schließlich, gestützt auf dessen Charaktereigenschaften und Lebens-
umstände, vielleicht eine Erklärung sür sein Handeln zu finden und dadurch
Goethes Vater uns menschlich etwas näher zu bringen.

Johann Kaspar Goethe war im Jahre 1710 als erstes Kind des Schneider¬
meisters Friedrich Georg Goethe und dessen Ehefrau, der vero. Cornelie Schell¬
horn, geb. Walther zu Frankfurt a. M. geboren. Schon in seinem Vater findet
man als charakteristischen Zug den Trieb, sich weiter fortzubilden. Er hatte
ihm durch längeren Aufenthalt im Auslande Genüge getan. Für den Sohn
aber erstrebte er, unter jeder Bedingung, höhere Lebensverhältnisse als die
eigenen. Er schickte ihn deshalb mit vierzehn Jahren nach Ewart auf das
Gymnasium Casimiranum zu Kassel, nach Goethe auf das Gymnasium zu Koburg.
Später studierte Kaspar in Leipzig und bildete sich juristisch weiter zu Wetzlar,
Regensburg und Wien aus. Im Jahre 1738 promovierte er zu Gießen mit
der Abhandlung: „Über den Erbschaftsantritt nach römischem und vaterländischen
Rechte" *). Nach seiner Promotion unternahm er eine längere Reise durch Italien,
Frankreich und Holland. Nachdem er so sür eine weitgehende Allgemeinbildung
gesorgt hatte, kehrte er in seine Vaterstadt mit dem festen Vorsatz zurück, sich



*) Ewart: „Goethes Vater", S, 9.
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[0262] Goethes Vater ferner vor allen Dingen der anderthalb Jahre, die Goethe nach Leipzig im Elternhaus zubrachte, leidend an den Folgen der Leipziger Ausschweifungen, so kann man ohne weiteres verstehen, daß der Vater den Sohn mit Berechtigung gelblich knapp hielt und daß er zuerst Resultate von ihm verlangte. Die beiden Briefsteller von und an Kestner zusammengehalten, charak¬ terisieren die jugendliche Lebensauffassung des Dichters vortrefflich und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir, bei aller Verehrung für ihn, uns eingestehen, daß er dem so ernsten und sittenstrengen Vater viele schwere, sorgenvolle Stunden gemacht habe. Wie er den Sohn, nach „Dichtung und Wahrheit", eigentlich immer reichlich mit Mitteln versah und den Druck seiner Dichtungen förderte, würde er auch in diesem Fall nicht anders ohne triftige Gründe gehandelt haben. Die Bemühungen also der Biographen, eine hinreichende Erklärung für die Verweigerung der Unterstützung an den Sohn, bei dessen Übersiedlung nach Weimar, zu finden, dürfen als gescheitert betrachtet werden. Das Verfahren des Rates stellt den äußersten Schritt dar, zu dem sich ein Vater gegen den Sohn entschließt, und man geht wohl nicht fehl, wenn man hierfür Gründe tieferer Natur annimmt, die sich zunächst unserer Kenntnis entziehen. Auch Emart, die in ihrer Studie: „Goethes Vater" den kaiserlichen Rat gegen die besagten Vorwürfe verteidigt, vermag über die tieferen Gründe des letzten großen Zerwürfnisses zwischen Vater und Sohn uns nichts zu sagen. Es soll deshalb meine Aufgabe sein, an der Hand eines kurzen Lebensabrisses der Gestalt des merkwürdigen, durchaus nicht uninteressanter Mannes gerecht zu werden, um schließlich, gestützt auf dessen Charaktereigenschaften und Lebens- umstände, vielleicht eine Erklärung sür sein Handeln zu finden und dadurch Goethes Vater uns menschlich etwas näher zu bringen. Johann Kaspar Goethe war im Jahre 1710 als erstes Kind des Schneider¬ meisters Friedrich Georg Goethe und dessen Ehefrau, der vero. Cornelie Schell¬ horn, geb. Walther zu Frankfurt a. M. geboren. Schon in seinem Vater findet man als charakteristischen Zug den Trieb, sich weiter fortzubilden. Er hatte ihm durch längeren Aufenthalt im Auslande Genüge getan. Für den Sohn aber erstrebte er, unter jeder Bedingung, höhere Lebensverhältnisse als die eigenen. Er schickte ihn deshalb mit vierzehn Jahren nach Ewart auf das Gymnasium Casimiranum zu Kassel, nach Goethe auf das Gymnasium zu Koburg. Später studierte Kaspar in Leipzig und bildete sich juristisch weiter zu Wetzlar, Regensburg und Wien aus. Im Jahre 1738 promovierte er zu Gießen mit der Abhandlung: „Über den Erbschaftsantritt nach römischem und vaterländischen Rechte" *). Nach seiner Promotion unternahm er eine längere Reise durch Italien, Frankreich und Holland. Nachdem er so sür eine weitgehende Allgemeinbildung gesorgt hatte, kehrte er in seine Vaterstadt mit dem festen Vorsatz zurück, sich *) Ewart: „Goethes Vater", S, 9.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/262>, abgerufen am 04.01.2025.