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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Goethes Vater

Den Vorwurf des Geizes folgert Heinemann dagegen aus brieflichen Sto߬
seufzern Goethes, wie folgende:

"Zu einer Zeit, da sich so ein großes Publikum mit Berlichingen be¬
schäftigt, sah ich mich genötigt, Geld zu borgen, um das Papier zu bezahlen,
worauf ich ihn hatte drucken lassen"*).

Diese Folgerung erhält nun einen scheinbaren Rückhalt an einem Briefe
des Kriegsgerichtsrats Merck, der das Bestechende für sich hat, aus Goethes
Freundeskreise zu stammen und gleichzeitig zeitgenössisch mit dem alten Rate zu
sein. Er lautet:

"Dieser alte Mensch ist ganz inkorrigibel und die Filzerei ist so arg, daß,
wenn der Herzog vier Wochen in seinem Hause logiert, er der Frau nicht einen
Taler mehr Wochengeld gibt. Dieser Mensch ist Goethes Vater und Frau Ajas
Eheliebster! Neuerlich hat er sich sehr gefreut, daß er es nicht war, der das
Geld für des Herzogs Malereien auszulegen hatte, ich glaube, er hatte dafür
nicht schlafen können. Warum uns Gott solche Menschen läßt, das mag ich
nicht verantworten"**).

Beides, die Verkennung der Genialität des Sohnes und der Geiz als
Gründe für den Geldentzug, kann glatt aus "Dichtung und Wahrheit" wider¬
legt werden.

Der Mercksche Brief stammt aus dem Jahre 1779 und bezieht sich
auf Handlungen einer Zeit, zu welcher der kaiserliche Rat bereits schwer
leidend war. Dieser pathologische Geiz darf keinesfalls als bezeichnend für
seinen Charakter in gesunden Tagen angeführt werden. Den beiden brieflichen
Klagen Goethes, seinem Freunde gegenüber, darf daher wohl nur der Wert
einer spontanen Äußerung seines Unwillens beigemessen werden, und es ist
deshalb angemessen, eine kurze Charakteristik des Dichters, die uns Kestner aus
jener Zeit gibt, zu Rate zu ziehen. Kestner schreibt:

"Er ist in allen Affekten heftig, hat jedoch viel Gewalt über sich. Seine
Denkungsart ist edel; von Vorurteilen so viel frei, handelt er, wie es ihm ein¬
fällt, ohne sich darum zu bekümmern, ob es anderen gefällt, ob es Mode ist,
ob es die Lebensart erlaubt. Aller Zwang ist ihm verhaßt. Er liebt die
Kinder und kann sich mit ihnen sehr beschäftigen. Er ist bizarr und hat in
seinem Betragen, seinem Äußerlichen verschiedenes, das ihn unangenehm machen
könnte. Aber bei Kindern, bei Frauenzimmern und vielen anderen ist er doch
wohl angeschrieben. Für das weibliche Geschlecht hat er sehr viel Hochachtung.
In prinLipiis ist er noch nicht fest und strebt erst nach einem gewissen
System"***).

Das ist also Goethe zur Entstehungszeit des Götz! Erinnert man sich
dazu der Erfahrungen des Vaters mit dem Sohne in der Gretchenepisode,





*) Ebenda, S, 77.
**) Ebenda, S. 153.
Zitiert nach "Alles um Liebe", S, 92,
Goethes Vater

Den Vorwurf des Geizes folgert Heinemann dagegen aus brieflichen Sto߬
seufzern Goethes, wie folgende:

„Zu einer Zeit, da sich so ein großes Publikum mit Berlichingen be¬
schäftigt, sah ich mich genötigt, Geld zu borgen, um das Papier zu bezahlen,
worauf ich ihn hatte drucken lassen"*).

Diese Folgerung erhält nun einen scheinbaren Rückhalt an einem Briefe
des Kriegsgerichtsrats Merck, der das Bestechende für sich hat, aus Goethes
Freundeskreise zu stammen und gleichzeitig zeitgenössisch mit dem alten Rate zu
sein. Er lautet:

„Dieser alte Mensch ist ganz inkorrigibel und die Filzerei ist so arg, daß,
wenn der Herzog vier Wochen in seinem Hause logiert, er der Frau nicht einen
Taler mehr Wochengeld gibt. Dieser Mensch ist Goethes Vater und Frau Ajas
Eheliebster! Neuerlich hat er sich sehr gefreut, daß er es nicht war, der das
Geld für des Herzogs Malereien auszulegen hatte, ich glaube, er hatte dafür
nicht schlafen können. Warum uns Gott solche Menschen läßt, das mag ich
nicht verantworten"**).

Beides, die Verkennung der Genialität des Sohnes und der Geiz als
Gründe für den Geldentzug, kann glatt aus „Dichtung und Wahrheit" wider¬
legt werden.

Der Mercksche Brief stammt aus dem Jahre 1779 und bezieht sich
auf Handlungen einer Zeit, zu welcher der kaiserliche Rat bereits schwer
leidend war. Dieser pathologische Geiz darf keinesfalls als bezeichnend für
seinen Charakter in gesunden Tagen angeführt werden. Den beiden brieflichen
Klagen Goethes, seinem Freunde gegenüber, darf daher wohl nur der Wert
einer spontanen Äußerung seines Unwillens beigemessen werden, und es ist
deshalb angemessen, eine kurze Charakteristik des Dichters, die uns Kestner aus
jener Zeit gibt, zu Rate zu ziehen. Kestner schreibt:

„Er ist in allen Affekten heftig, hat jedoch viel Gewalt über sich. Seine
Denkungsart ist edel; von Vorurteilen so viel frei, handelt er, wie es ihm ein¬
fällt, ohne sich darum zu bekümmern, ob es anderen gefällt, ob es Mode ist,
ob es die Lebensart erlaubt. Aller Zwang ist ihm verhaßt. Er liebt die
Kinder und kann sich mit ihnen sehr beschäftigen. Er ist bizarr und hat in
seinem Betragen, seinem Äußerlichen verschiedenes, das ihn unangenehm machen
könnte. Aber bei Kindern, bei Frauenzimmern und vielen anderen ist er doch
wohl angeschrieben. Für das weibliche Geschlecht hat er sehr viel Hochachtung.
In prinLipiis ist er noch nicht fest und strebt erst nach einem gewissen
System"***).

Das ist also Goethe zur Entstehungszeit des Götz! Erinnert man sich
dazu der Erfahrungen des Vaters mit dem Sohne in der Gretchenepisode,





*) Ebenda, S, 77.
**) Ebenda, S. 153.
Zitiert nach „Alles um Liebe", S, 92,
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[0261] Goethes Vater Den Vorwurf des Geizes folgert Heinemann dagegen aus brieflichen Sto߬ seufzern Goethes, wie folgende: „Zu einer Zeit, da sich so ein großes Publikum mit Berlichingen be¬ schäftigt, sah ich mich genötigt, Geld zu borgen, um das Papier zu bezahlen, worauf ich ihn hatte drucken lassen"*). Diese Folgerung erhält nun einen scheinbaren Rückhalt an einem Briefe des Kriegsgerichtsrats Merck, der das Bestechende für sich hat, aus Goethes Freundeskreise zu stammen und gleichzeitig zeitgenössisch mit dem alten Rate zu sein. Er lautet: „Dieser alte Mensch ist ganz inkorrigibel und die Filzerei ist so arg, daß, wenn der Herzog vier Wochen in seinem Hause logiert, er der Frau nicht einen Taler mehr Wochengeld gibt. Dieser Mensch ist Goethes Vater und Frau Ajas Eheliebster! Neuerlich hat er sich sehr gefreut, daß er es nicht war, der das Geld für des Herzogs Malereien auszulegen hatte, ich glaube, er hatte dafür nicht schlafen können. Warum uns Gott solche Menschen läßt, das mag ich nicht verantworten"**). Beides, die Verkennung der Genialität des Sohnes und der Geiz als Gründe für den Geldentzug, kann glatt aus „Dichtung und Wahrheit" wider¬ legt werden. Der Mercksche Brief stammt aus dem Jahre 1779 und bezieht sich auf Handlungen einer Zeit, zu welcher der kaiserliche Rat bereits schwer leidend war. Dieser pathologische Geiz darf keinesfalls als bezeichnend für seinen Charakter in gesunden Tagen angeführt werden. Den beiden brieflichen Klagen Goethes, seinem Freunde gegenüber, darf daher wohl nur der Wert einer spontanen Äußerung seines Unwillens beigemessen werden, und es ist deshalb angemessen, eine kurze Charakteristik des Dichters, die uns Kestner aus jener Zeit gibt, zu Rate zu ziehen. Kestner schreibt: „Er ist in allen Affekten heftig, hat jedoch viel Gewalt über sich. Seine Denkungsart ist edel; von Vorurteilen so viel frei, handelt er, wie es ihm ein¬ fällt, ohne sich darum zu bekümmern, ob es anderen gefällt, ob es Mode ist, ob es die Lebensart erlaubt. Aller Zwang ist ihm verhaßt. Er liebt die Kinder und kann sich mit ihnen sehr beschäftigen. Er ist bizarr und hat in seinem Betragen, seinem Äußerlichen verschiedenes, das ihn unangenehm machen könnte. Aber bei Kindern, bei Frauenzimmern und vielen anderen ist er doch wohl angeschrieben. Für das weibliche Geschlecht hat er sehr viel Hochachtung. In prinLipiis ist er noch nicht fest und strebt erst nach einem gewissen System"***). Das ist also Goethe zur Entstehungszeit des Götz! Erinnert man sich dazu der Erfahrungen des Vaters mit dem Sohne in der Gretchenepisode, *) Ebenda, S, 77. **) Ebenda, S. 153. Zitiert nach „Alles um Liebe", S, 92,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/261>, abgerufen am 01.01.2025.