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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Goethes Vater

Humor nicht über ihre lange Ehe hinaus bewahren können. -- Andere Bio¬
graphen, wie Düntzer, Lewes, Goedecke sind zurückhaltender in ihrem Urteil.

Man könnte nun bei Goethe annehmen, daß er über den Vater nichts
Nachteiliges habe sagen wollen, denn zwei Menschenalter liegen zwischen den
Geschehnissen und der Zeit der Niederschrift. Indessen sind die Schilderungen
durchaus objektiv gehalten. Mancher herbe oder gar lächerliche Zug vervoll¬
ständigt das Gesamtbild, so daß von einer Beschönigung nicht die Rede sein
kann. Wir erfahren von den zahlreichen kleineren Zerwürfnissen zwischen den
gegensätzlichen Naturen von Vater und Sohn, Spannungen, wie sie immer
einmal zwischen Eltern und den heranwachsenden Kindern vorkommen und für
die Goethe sich selber zum Teil schuldig erklärt, Dagegen bricht "Dichtung
und Wahrheit" ab mit des Dichters Übersiedlung nach Weimar und wir hören
nichts mehr von dem letzten großen Zerwürfnis, das zum Bruche zwischen
Vater und Sohn führte. Aber gerade dieses Zerwürfnis scheint mir die
Quelle der sich widersprechenden Ansichten zu sein; denn einige Biographen,
bemüht in die Gründe für das ganz unverständliche Verhalten von Goethes
Vater aufzusuchen, haben in ihrer Teilnahme für den Dichter alles zusammen¬
getragen, was gegen den Vater zeugen könne.

Wir erfahren die Art des Zerwürfnisses aus Briefen Goethes an Johanna
Fahlmer:

"Ich bitte Euch," schreibt Goethe aus Weimar, "beruhigt Euch ein vor
allemal, der Vater mag kochen, was er will, ich kann nicht immer darauf ant¬
worten, nicht immer die Grillen zurechtlegen. So viel ist es. -- Ich bleibe
hier, hab' ein schön Logis gemietet, aber der Vater ist mir Ausstattung und
Mitgift schuldig. Das mag die Mutter nach ihrer Art einleiten, sie soll nur
kein Kind sein, da ich Bruder und alles eines Fürsten bin"*).

In einem anderen Briefe heißt es, Tante und Mutter möchten darüber beraten:

"Ob der Vater Sinn und Gefühl ob all der glänzenden Herrlichkeit seines
Sohnes hat, mir 200 Fi. zu geben, oder einen Teil davon. Mag das nicht
gehen, so soll die Mutter Mercken schreiben, daß er mir es schickt"**).

Aus diesem Versagen der pekuniären Unterstützung, durch den Vater an
den bereits berühmten Sohn, ist wohl die gänzliche Verkennung seiner genialen
Individualität abgeleitet worden. Gestützt wurde diese Annahme durch einen
Brief an Kestner aus dem Jahre 1772 folgenden Inhaltes:

"Der Brief meines Vaters ist da. Lieber Gott, wenn ich einmal alt
werde, soll ich dann auch so werden? Soll meine Seele nicht mehr hängen
an dem, was liebenswert und gut ist? Sonderbar, daß man da glauben sollte,
je älter der Mensch wird, desto freier er werden sollte von dem, was irdisch
und klein ist. Er wird immer irdischer und kleiner. . ."***)





*) Zitiert nach Goethes Briefe, herausgegeben von Bode.
**) Zitiert nach Ewart: "Goethes Vater".
*"") Zitiert nach Heinemann: "Goethes Mutter", S. 76.
Goethes Vater

Humor nicht über ihre lange Ehe hinaus bewahren können. — Andere Bio¬
graphen, wie Düntzer, Lewes, Goedecke sind zurückhaltender in ihrem Urteil.

Man könnte nun bei Goethe annehmen, daß er über den Vater nichts
Nachteiliges habe sagen wollen, denn zwei Menschenalter liegen zwischen den
Geschehnissen und der Zeit der Niederschrift. Indessen sind die Schilderungen
durchaus objektiv gehalten. Mancher herbe oder gar lächerliche Zug vervoll¬
ständigt das Gesamtbild, so daß von einer Beschönigung nicht die Rede sein
kann. Wir erfahren von den zahlreichen kleineren Zerwürfnissen zwischen den
gegensätzlichen Naturen von Vater und Sohn, Spannungen, wie sie immer
einmal zwischen Eltern und den heranwachsenden Kindern vorkommen und für
die Goethe sich selber zum Teil schuldig erklärt, Dagegen bricht „Dichtung
und Wahrheit" ab mit des Dichters Übersiedlung nach Weimar und wir hören
nichts mehr von dem letzten großen Zerwürfnis, das zum Bruche zwischen
Vater und Sohn führte. Aber gerade dieses Zerwürfnis scheint mir die
Quelle der sich widersprechenden Ansichten zu sein; denn einige Biographen,
bemüht in die Gründe für das ganz unverständliche Verhalten von Goethes
Vater aufzusuchen, haben in ihrer Teilnahme für den Dichter alles zusammen¬
getragen, was gegen den Vater zeugen könne.

Wir erfahren die Art des Zerwürfnisses aus Briefen Goethes an Johanna
Fahlmer:

„Ich bitte Euch," schreibt Goethe aus Weimar, „beruhigt Euch ein vor
allemal, der Vater mag kochen, was er will, ich kann nicht immer darauf ant¬
worten, nicht immer die Grillen zurechtlegen. So viel ist es. — Ich bleibe
hier, hab' ein schön Logis gemietet, aber der Vater ist mir Ausstattung und
Mitgift schuldig. Das mag die Mutter nach ihrer Art einleiten, sie soll nur
kein Kind sein, da ich Bruder und alles eines Fürsten bin"*).

In einem anderen Briefe heißt es, Tante und Mutter möchten darüber beraten:

„Ob der Vater Sinn und Gefühl ob all der glänzenden Herrlichkeit seines
Sohnes hat, mir 200 Fi. zu geben, oder einen Teil davon. Mag das nicht
gehen, so soll die Mutter Mercken schreiben, daß er mir es schickt"**).

Aus diesem Versagen der pekuniären Unterstützung, durch den Vater an
den bereits berühmten Sohn, ist wohl die gänzliche Verkennung seiner genialen
Individualität abgeleitet worden. Gestützt wurde diese Annahme durch einen
Brief an Kestner aus dem Jahre 1772 folgenden Inhaltes:

„Der Brief meines Vaters ist da. Lieber Gott, wenn ich einmal alt
werde, soll ich dann auch so werden? Soll meine Seele nicht mehr hängen
an dem, was liebenswert und gut ist? Sonderbar, daß man da glauben sollte,
je älter der Mensch wird, desto freier er werden sollte von dem, was irdisch
und klein ist. Er wird immer irdischer und kleiner. . ."***)





*) Zitiert nach Goethes Briefe, herausgegeben von Bode.
**) Zitiert nach Ewart: „Goethes Vater".
*"") Zitiert nach Heinemann: „Goethes Mutter", S. 76.
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[0260] Goethes Vater Humor nicht über ihre lange Ehe hinaus bewahren können. — Andere Bio¬ graphen, wie Düntzer, Lewes, Goedecke sind zurückhaltender in ihrem Urteil. Man könnte nun bei Goethe annehmen, daß er über den Vater nichts Nachteiliges habe sagen wollen, denn zwei Menschenalter liegen zwischen den Geschehnissen und der Zeit der Niederschrift. Indessen sind die Schilderungen durchaus objektiv gehalten. Mancher herbe oder gar lächerliche Zug vervoll¬ ständigt das Gesamtbild, so daß von einer Beschönigung nicht die Rede sein kann. Wir erfahren von den zahlreichen kleineren Zerwürfnissen zwischen den gegensätzlichen Naturen von Vater und Sohn, Spannungen, wie sie immer einmal zwischen Eltern und den heranwachsenden Kindern vorkommen und für die Goethe sich selber zum Teil schuldig erklärt, Dagegen bricht „Dichtung und Wahrheit" ab mit des Dichters Übersiedlung nach Weimar und wir hören nichts mehr von dem letzten großen Zerwürfnis, das zum Bruche zwischen Vater und Sohn führte. Aber gerade dieses Zerwürfnis scheint mir die Quelle der sich widersprechenden Ansichten zu sein; denn einige Biographen, bemüht in die Gründe für das ganz unverständliche Verhalten von Goethes Vater aufzusuchen, haben in ihrer Teilnahme für den Dichter alles zusammen¬ getragen, was gegen den Vater zeugen könne. Wir erfahren die Art des Zerwürfnisses aus Briefen Goethes an Johanna Fahlmer: „Ich bitte Euch," schreibt Goethe aus Weimar, „beruhigt Euch ein vor allemal, der Vater mag kochen, was er will, ich kann nicht immer darauf ant¬ worten, nicht immer die Grillen zurechtlegen. So viel ist es. — Ich bleibe hier, hab' ein schön Logis gemietet, aber der Vater ist mir Ausstattung und Mitgift schuldig. Das mag die Mutter nach ihrer Art einleiten, sie soll nur kein Kind sein, da ich Bruder und alles eines Fürsten bin"*). In einem anderen Briefe heißt es, Tante und Mutter möchten darüber beraten: „Ob der Vater Sinn und Gefühl ob all der glänzenden Herrlichkeit seines Sohnes hat, mir 200 Fi. zu geben, oder einen Teil davon. Mag das nicht gehen, so soll die Mutter Mercken schreiben, daß er mir es schickt"**). Aus diesem Versagen der pekuniären Unterstützung, durch den Vater an den bereits berühmten Sohn, ist wohl die gänzliche Verkennung seiner genialen Individualität abgeleitet worden. Gestützt wurde diese Annahme durch einen Brief an Kestner aus dem Jahre 1772 folgenden Inhaltes: „Der Brief meines Vaters ist da. Lieber Gott, wenn ich einmal alt werde, soll ich dann auch so werden? Soll meine Seele nicht mehr hängen an dem, was liebenswert und gut ist? Sonderbar, daß man da glauben sollte, je älter der Mensch wird, desto freier er werden sollte von dem, was irdisch und klein ist. Er wird immer irdischer und kleiner. . ."***) *) Zitiert nach Goethes Briefe, herausgegeben von Bode. **) Zitiert nach Ewart: „Goethes Vater". *"") Zitiert nach Heinemann: „Goethes Mutter", S. 76.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/260>, abgerufen am 29.12.2024.