Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Zukunftsfragcn des Parlamentarismus im Hinblick auf das Ziel des Feldzugs vollkommen recht haben, wenn er bestrebt In der Politik gilt der Satz, daß eine Sache richtig und gut gedacht und Auch hinsichtlich der Anknüpfung an die Ideen des Freiherrn vom Stein Endlich muß noch ein Weiteres erwähnt werden. Graf Stolberg übergeht is"
Zukunftsfragcn des Parlamentarismus im Hinblick auf das Ziel des Feldzugs vollkommen recht haben, wenn er bestrebt In der Politik gilt der Satz, daß eine Sache richtig und gut gedacht und Auch hinsichtlich der Anknüpfung an die Ideen des Freiherrn vom Stein Endlich muß noch ein Weiteres erwähnt werden. Graf Stolberg übergeht is«
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0255" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327721"/> <fw type="header" place="top"> Zukunftsfragcn des Parlamentarismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_1168" prev="#ID_1167"> im Hinblick auf das Ziel des Feldzugs vollkommen recht haben, wenn er bestrebt<lb/> ist, sich vor allem in den Besitz einer großen Festung des Gegners zu setzen;<lb/> aber wenn er nicht genug Belagerungsgeschütz hat und dadurch die Verfügung<lb/> über Truppen preisgibt, die er anderweit notwendig braucht, dann muß er die<lb/> Sache trotz alledem anders anfangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1169"> In der Politik gilt der Satz, daß eine Sache richtig und gut gedacht und<lb/> doch nicht ausführbar sein kann, um so mehr, als es hier keine absolute<lb/> Wahrheit gibt, sondern höchstens eine Resultante aus verschiedenen Kräften, von<lb/> denen jede einzelne den Weg zur Wahrheit zu zeigen glaubt. Die politische<lb/> Entwicklung hat in dieser Beziehung die Eigenschaften eines Organismus; man<lb/> kann ihr nicht in beliebiger Weise Gewalt antun, sondern muß gewisse Grenzen<lb/> innehalten, so wie auch der geschickteste Chirurg einem Menschen nicht den Kopf<lb/> abschneiden und ihn durch einen anderen ersetzen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1170"> Auch hinsichtlich der Anknüpfung an die Ideen des Freiherrn vom Stein<lb/> drängt sich ein Bedenken auf, sobald man die Frage der Ausführbarkeit aufwirft.<lb/> Das Hindernis, das dazwischen steht, läßt sich sehr kurz durch die vier Ziffern<lb/> einer Jahreszahl bezeichnen; diese Zahl heißt 1848! Es scheint mir charak¬<lb/> teristisch, daß in der ganzen Schrift des Grafen Stolberg die deutsche Revolution<lb/> mit keinem Worte erwähnt wird. Es ist zu verstehen, daß ein in konser¬<lb/> vativen Anschauungen aufgewachsener Mann vielleicht eine sehr geringe Meinung<lb/> von den Führern dieser Bewegung hat, aber das historische Ereignis in seiner<lb/> Gesamtheit mit seinen Folgen von der Tafel wegzuwischen, ist unmöglich und<lb/> kann nur die Wirkung haben, daß die ganze preußische Geschichte seit demi Ende<lb/> des Vereinigten Landtags unter einen nicht richtigen Gesichtswinkel gesehen<lb/> wird. Mein Einwand richtet sich also gegen die Unterschätzung der großen<lb/> Verschiebung, die die Grundlagen des innerpolitischen Lebens in Preußen um<lb/> die Mitte des vorigen Jahrhunderts erfahren haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1171" next="#ID_1172"> Endlich muß noch ein Weiteres erwähnt werden. Graf Stolberg übergeht<lb/> zwar in seiner Auseinandersetzung nicht ganz die Unterschiede der Parteien, und<lb/> seine Meinung scheint zu sein, daß durch sein Wahlsystem die Gruppierung<lb/> nach Parteien in der Volksvertretung des Gesamtstaats nicht berührt wird.<lb/> Wird die Form des politischen Lebens ganz auf eine Interessenvertretung ein¬<lb/> gestellt, so werden die alten Parteiunterschiede dadurch nicht beseitigt, sondern<lb/> nur in ihrem Charakter verändert. Die alten Parteien werden gezwungen, die<lb/> Rollen von Interessenvertretungen zu übernehmen oder wenigstens darauf hinzu¬<lb/> streben. Mancher würde freilich geneigt sein, hierzu die Bemerkung zu machen:</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> is«</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0255]
Zukunftsfragcn des Parlamentarismus
im Hinblick auf das Ziel des Feldzugs vollkommen recht haben, wenn er bestrebt
ist, sich vor allem in den Besitz einer großen Festung des Gegners zu setzen;
aber wenn er nicht genug Belagerungsgeschütz hat und dadurch die Verfügung
über Truppen preisgibt, die er anderweit notwendig braucht, dann muß er die
Sache trotz alledem anders anfangen.
In der Politik gilt der Satz, daß eine Sache richtig und gut gedacht und
doch nicht ausführbar sein kann, um so mehr, als es hier keine absolute
Wahrheit gibt, sondern höchstens eine Resultante aus verschiedenen Kräften, von
denen jede einzelne den Weg zur Wahrheit zu zeigen glaubt. Die politische
Entwicklung hat in dieser Beziehung die Eigenschaften eines Organismus; man
kann ihr nicht in beliebiger Weise Gewalt antun, sondern muß gewisse Grenzen
innehalten, so wie auch der geschickteste Chirurg einem Menschen nicht den Kopf
abschneiden und ihn durch einen anderen ersetzen kann.
Auch hinsichtlich der Anknüpfung an die Ideen des Freiherrn vom Stein
drängt sich ein Bedenken auf, sobald man die Frage der Ausführbarkeit aufwirft.
Das Hindernis, das dazwischen steht, läßt sich sehr kurz durch die vier Ziffern
einer Jahreszahl bezeichnen; diese Zahl heißt 1848! Es scheint mir charak¬
teristisch, daß in der ganzen Schrift des Grafen Stolberg die deutsche Revolution
mit keinem Worte erwähnt wird. Es ist zu verstehen, daß ein in konser¬
vativen Anschauungen aufgewachsener Mann vielleicht eine sehr geringe Meinung
von den Führern dieser Bewegung hat, aber das historische Ereignis in seiner
Gesamtheit mit seinen Folgen von der Tafel wegzuwischen, ist unmöglich und
kann nur die Wirkung haben, daß die ganze preußische Geschichte seit demi Ende
des Vereinigten Landtags unter einen nicht richtigen Gesichtswinkel gesehen
wird. Mein Einwand richtet sich also gegen die Unterschätzung der großen
Verschiebung, die die Grundlagen des innerpolitischen Lebens in Preußen um
die Mitte des vorigen Jahrhunderts erfahren haben.
Endlich muß noch ein Weiteres erwähnt werden. Graf Stolberg übergeht
zwar in seiner Auseinandersetzung nicht ganz die Unterschiede der Parteien, und
seine Meinung scheint zu sein, daß durch sein Wahlsystem die Gruppierung
nach Parteien in der Volksvertretung des Gesamtstaats nicht berührt wird.
Wird die Form des politischen Lebens ganz auf eine Interessenvertretung ein¬
gestellt, so werden die alten Parteiunterschiede dadurch nicht beseitigt, sondern
nur in ihrem Charakter verändert. Die alten Parteien werden gezwungen, die
Rollen von Interessenvertretungen zu übernehmen oder wenigstens darauf hinzu¬
streben. Mancher würde freilich geneigt sein, hierzu die Bemerkung zu machen:
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