Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Für Indien den preis I esoterische Weisheit, die eingeschalt ist in eine exoterische. Es ist nun be¬ Für Indien den preis I esoterische Weisheit, die eingeschalt ist in eine exoterische. Es ist nun be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327490"/> <fw type="header" place="top"> Für Indien den preis I</fw><lb/> <p xml:id="ID_37" prev="#ID_36" next="#ID_38"> esoterische Weisheit, die eingeschalt ist in eine exoterische. Es ist nun be¬<lb/> zeichnend für das Wesen des Veda, daß in ihm religiöse Gemeinvorstellungen<lb/> neben tiefsten philosophischen Erkenntnissen herlaufen, die einen und die andern<lb/> sich gegenseitig wandeln und durchdringen. Diese Entwicklung von Religion<lb/> und Philosophie kann hier nur gestreift werden. Die Hymnen des Rigveda<lb/> haben als das älteste Denkmal des vedischen Literaturkreises, ja als „das älteste<lb/> literarische Denkmal der Menschheit überhaupt" zu gelten. Die Religion, der<lb/> wir hier begegnen, ist mythologisch so reich und interessant wie keine andere<lb/> der Welt: „In dieser Hinsicht ist das Studium des Rigveda die hohe Schule<lb/> der Religionswissenschaft, und niemand kann, ohne ihn zu kennen, über diese<lb/> Dinge mitreden." Die Götter, zu denken als personifizierte Naturgewalten,<lb/> scheiden sich in solche des Lichthimmels, des Luftraums und der Erde. Sie find<lb/> unsterbliche, übermächtige aber doch menschenähnliche Wesen, zu denen man redet,<lb/> die man beschenkt und durch Gebet und Opfer beeinflußt. Neben dem mythologischen<lb/> Element tritt das ethische zunächst auffallend zurück. Wohl sind die altvedischen<lb/> Götter Hüter der Ordnung von Natur und Sitte, „aber immer wieder verfließt<lb/> der Begriff des Guten mit dem des frommen Verehrers und reichlichen Sperbers,<lb/> der des Bösen mit dem des opferlosen Nichtariers und des kärglich spendenden<lb/> Geizigen". Wie die griechischen Götter, so werden die indischen Gegenstand<lb/> des Zweifels, ja des Spottes. Schon im Rigveda dämmert der Gedanke auf,<lb/> daß hinter der Vielheit des Göttlichen und Menschlichen eine Einheit verborgen<lb/> sei; die Brahmanazeit, wie Deussen eine neue Periode der Entwicklung (etwa<lb/> 1000 bis 500 v. Chr.) nennt, findet nach mancherlei Um- und Abwegen das<lb/> Ziel ihres Suchens in der Weisheit der eben erwähnten Upanishads. Als<lb/> kosmisches Prinzip hatte sich dem indischen Denken das Brahman enthüllt,<lb/> d. i. „die Kraft, welche in allen Wesen verkörpert vor uns steht, welche alle<lb/> Welten schafft, trägt, erhält und wieder in sich zurücknimmt", als psychisches<lb/> Prinzip entdeckt es den Atman, d. i. die Kraft, die wir „nach Abzug alles<lb/> Äußerlichen als unser innerstes und wahres Wesen, als unser eigentliches Selbst,<lb/> als die Seele in uns finden". Die UpanishMehre vollzieht nun die Gleich¬<lb/> setzung von Brahman und Atman, von Gott und Seele: das ist ihr Grund¬<lb/> gedanke und ihr innerstes Geheimnis. Sie tritt am reinsten hervor in den<lb/> Reden des Dajnavalkya, die in immer neuen herrlichen Gleichnissen darlegen,<lb/> daß das Subjekt des Erkennens (der Atman) „nicht nur das Wesen der Seele,<lb/> sondern in und rin ihr das Wesen der Gottheit ausmacht", oder wie es in<lb/> einer der Reden heißt: „Nicht sehen kannst du den Seher des Sehens, nicht<lb/> hören kannst du den Hörer des Hörens, nicht verstehen kannst du den Versteher<lb/> des Verstehens, nicht erkennen kannst du den Erkenner des Erkennens. Er ist<lb/> deine Seele, die allem innerlich ist." Der Atman als Subjekt des Erkennens<lb/> ist selbst unerkennbar, und doch ist er die alleinige Realität, neben der die Welt<lb/> der Erscheinung mit ihrer Vielheit zum Scheinbild, zur Täuschung herabsinkt.<lb/> Die Erlösung wird durch diese Erkenntnis vom Wesen des Atman nicht bewirkt:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
Für Indien den preis I
esoterische Weisheit, die eingeschalt ist in eine exoterische. Es ist nun be¬
zeichnend für das Wesen des Veda, daß in ihm religiöse Gemeinvorstellungen
neben tiefsten philosophischen Erkenntnissen herlaufen, die einen und die andern
sich gegenseitig wandeln und durchdringen. Diese Entwicklung von Religion
und Philosophie kann hier nur gestreift werden. Die Hymnen des Rigveda
haben als das älteste Denkmal des vedischen Literaturkreises, ja als „das älteste
literarische Denkmal der Menschheit überhaupt" zu gelten. Die Religion, der
wir hier begegnen, ist mythologisch so reich und interessant wie keine andere
der Welt: „In dieser Hinsicht ist das Studium des Rigveda die hohe Schule
der Religionswissenschaft, und niemand kann, ohne ihn zu kennen, über diese
Dinge mitreden." Die Götter, zu denken als personifizierte Naturgewalten,
scheiden sich in solche des Lichthimmels, des Luftraums und der Erde. Sie find
unsterbliche, übermächtige aber doch menschenähnliche Wesen, zu denen man redet,
die man beschenkt und durch Gebet und Opfer beeinflußt. Neben dem mythologischen
Element tritt das ethische zunächst auffallend zurück. Wohl sind die altvedischen
Götter Hüter der Ordnung von Natur und Sitte, „aber immer wieder verfließt
der Begriff des Guten mit dem des frommen Verehrers und reichlichen Sperbers,
der des Bösen mit dem des opferlosen Nichtariers und des kärglich spendenden
Geizigen". Wie die griechischen Götter, so werden die indischen Gegenstand
des Zweifels, ja des Spottes. Schon im Rigveda dämmert der Gedanke auf,
daß hinter der Vielheit des Göttlichen und Menschlichen eine Einheit verborgen
sei; die Brahmanazeit, wie Deussen eine neue Periode der Entwicklung (etwa
1000 bis 500 v. Chr.) nennt, findet nach mancherlei Um- und Abwegen das
Ziel ihres Suchens in der Weisheit der eben erwähnten Upanishads. Als
kosmisches Prinzip hatte sich dem indischen Denken das Brahman enthüllt,
d. i. „die Kraft, welche in allen Wesen verkörpert vor uns steht, welche alle
Welten schafft, trägt, erhält und wieder in sich zurücknimmt", als psychisches
Prinzip entdeckt es den Atman, d. i. die Kraft, die wir „nach Abzug alles
Äußerlichen als unser innerstes und wahres Wesen, als unser eigentliches Selbst,
als die Seele in uns finden". Die UpanishMehre vollzieht nun die Gleich¬
setzung von Brahman und Atman, von Gott und Seele: das ist ihr Grund¬
gedanke und ihr innerstes Geheimnis. Sie tritt am reinsten hervor in den
Reden des Dajnavalkya, die in immer neuen herrlichen Gleichnissen darlegen,
daß das Subjekt des Erkennens (der Atman) „nicht nur das Wesen der Seele,
sondern in und rin ihr das Wesen der Gottheit ausmacht", oder wie es in
einer der Reden heißt: „Nicht sehen kannst du den Seher des Sehens, nicht
hören kannst du den Hörer des Hörens, nicht verstehen kannst du den Versteher
des Verstehens, nicht erkennen kannst du den Erkenner des Erkennens. Er ist
deine Seele, die allem innerlich ist." Der Atman als Subjekt des Erkennens
ist selbst unerkennbar, und doch ist er die alleinige Realität, neben der die Welt
der Erscheinung mit ihrer Vielheit zum Scheinbild, zur Täuschung herabsinkt.
Die Erlösung wird durch diese Erkenntnis vom Wesen des Atman nicht bewirkt:
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