Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Hexe von Mayen

Zeit mehr habe. Es ist so mancherlei zu bedenken und niemand ahnt, welche
Verantwortung auf mir ruht! Mag der Junker von Wiltberg die Hexe auf¬
suchen und ihr ins Gewissen reden, so will ich nichts dagegen haben. Wollt
Ihr dies Siegel nehmen!"

Er langte nach einem Siegelabdruck, den Sebastian hastig ergriff. Grill
aber trat noch einen Schritt vor.

"Junger Herr, so Ihr zur Hexe geht, so fragt sie, wo der Packen blieb,
den sie mir von meinem Karren zauberte! Fleisch und Wurst waren darin
und eine Flasche Malvaster! Wäre die Hexe nit gewesen, ich hätte nit brauchen
zu den --"

Der Stadtschreiber fuhr sie zornig an.

"Weib, was redest du? Hast du noch immer Lust zum Turm?"

Er war gelb im Gesicht geworden und seine Augen funkelten boshaft, daß
der Pfarrer unwillkürlich die Hand hob, wie um Grill zu schützen. Die aber
lachte nur zornig und schien eine Widerrede beginnen zu wollen. Da ging der
Pfarrer eilig aus dem Zimmer, und hinter ihm her Sebastian.

"Eine wunderliche Sache!" sagte Herr Kohlbaum, während er mit seinem
Gefährten über die Steinfliesen der Vordiele ging. "Ich bin froh, daß die
Grill wieder da ist, und ich hätte ihr es gern gesagt. Aber ich konnte nicht dazu
kommen. Es ist mir auch, als hätte sie ein verändertes Wesen!"

Fragend sah er Sebastian an, der mit gesenktem Kopf neben ihm ging
und den Blick nicht bemerken konnte.

"Nun habt Ihr also Euren Willen!" fuhr der Pfarrer nach einer Weile
fort. "Mich soll wundern, ob Ihr den Teufel aus diesem Weibsbild aus-
treiben werdet! Und für Grills Sohn braucht Ihr vorläufig nicht zu sorgen,
da sie ja wieder da ist. Aber es ist mir doch, als müßte man auf sie und
ihre Kinder ein Auge haben!"

Da Sebastian wieder nicht antwortete, so grüßte der Pfarrer ziemlich kurz
und bog bei der nächsten Gasse ab, um gleich wieder umzukehren und den
Junker noch einmal anzureden.

"Kennt Ihr die Geschichte mit dem Packen, den der Böse der armen Grill
vom Karren zauberte? Mir war nichts darüber bekannt geworden, aber wenn
dies wirklich der Fall wäre, so ist es wohl besser, Ihr bringt die Gefangene
darauf und sucht ihr ein Geständnis zu entlocken. Diese Missetat würde aller¬
dings eine schwere Strafe nach sich ziehen!"

Ganz in Gedanken blieb der Pfarrer an der Straßenecke stehen, während
Sebastian seines Weges ging. Er sah sich nicht um, bis er in seinem Häuschen
angekommen war, den Riegel vorgeschoben und sich dann auf die Erde vor das
Bild des heiligen Sebastian geworfen hatte.

"Ich bin der Sünder!" wimmerte er. "Ach lieber Heiliger, hilf mir!
Du hast so viele Schmerzen ausgehalten, und doch nur, damit deine Schutz¬
befohlenen ihre Sünde leichter tragen könnten. Ich will täglich zwanzig Gebete


Die Hexe von Mayen

Zeit mehr habe. Es ist so mancherlei zu bedenken und niemand ahnt, welche
Verantwortung auf mir ruht! Mag der Junker von Wiltberg die Hexe auf¬
suchen und ihr ins Gewissen reden, so will ich nichts dagegen haben. Wollt
Ihr dies Siegel nehmen!"

Er langte nach einem Siegelabdruck, den Sebastian hastig ergriff. Grill
aber trat noch einen Schritt vor.

„Junger Herr, so Ihr zur Hexe geht, so fragt sie, wo der Packen blieb,
den sie mir von meinem Karren zauberte! Fleisch und Wurst waren darin
und eine Flasche Malvaster! Wäre die Hexe nit gewesen, ich hätte nit brauchen
zu den —"

Der Stadtschreiber fuhr sie zornig an.

„Weib, was redest du? Hast du noch immer Lust zum Turm?"

Er war gelb im Gesicht geworden und seine Augen funkelten boshaft, daß
der Pfarrer unwillkürlich die Hand hob, wie um Grill zu schützen. Die aber
lachte nur zornig und schien eine Widerrede beginnen zu wollen. Da ging der
Pfarrer eilig aus dem Zimmer, und hinter ihm her Sebastian.

„Eine wunderliche Sache!" sagte Herr Kohlbaum, während er mit seinem
Gefährten über die Steinfliesen der Vordiele ging. „Ich bin froh, daß die
Grill wieder da ist, und ich hätte ihr es gern gesagt. Aber ich konnte nicht dazu
kommen. Es ist mir auch, als hätte sie ein verändertes Wesen!"

Fragend sah er Sebastian an, der mit gesenktem Kopf neben ihm ging
und den Blick nicht bemerken konnte.

„Nun habt Ihr also Euren Willen!" fuhr der Pfarrer nach einer Weile
fort. „Mich soll wundern, ob Ihr den Teufel aus diesem Weibsbild aus-
treiben werdet! Und für Grills Sohn braucht Ihr vorläufig nicht zu sorgen,
da sie ja wieder da ist. Aber es ist mir doch, als müßte man auf sie und
ihre Kinder ein Auge haben!"

Da Sebastian wieder nicht antwortete, so grüßte der Pfarrer ziemlich kurz
und bog bei der nächsten Gasse ab, um gleich wieder umzukehren und den
Junker noch einmal anzureden.

„Kennt Ihr die Geschichte mit dem Packen, den der Böse der armen Grill
vom Karren zauberte? Mir war nichts darüber bekannt geworden, aber wenn
dies wirklich der Fall wäre, so ist es wohl besser, Ihr bringt die Gefangene
darauf und sucht ihr ein Geständnis zu entlocken. Diese Missetat würde aller¬
dings eine schwere Strafe nach sich ziehen!"

Ganz in Gedanken blieb der Pfarrer an der Straßenecke stehen, während
Sebastian seines Weges ging. Er sah sich nicht um, bis er in seinem Häuschen
angekommen war, den Riegel vorgeschoben und sich dann auf die Erde vor das
Bild des heiligen Sebastian geworfen hatte.

„Ich bin der Sünder!" wimmerte er. „Ach lieber Heiliger, hilf mir!
Du hast so viele Schmerzen ausgehalten, und doch nur, damit deine Schutz¬
befohlenen ihre Sünde leichter tragen könnten. Ich will täglich zwanzig Gebete


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327702"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Hexe von Mayen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1071" prev="#ID_1070"> Zeit mehr habe. Es ist so mancherlei zu bedenken und niemand ahnt, welche<lb/>
Verantwortung auf mir ruht! Mag der Junker von Wiltberg die Hexe auf¬<lb/>
suchen und ihr ins Gewissen reden, so will ich nichts dagegen haben. Wollt<lb/>
Ihr dies Siegel nehmen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1072"> Er langte nach einem Siegelabdruck, den Sebastian hastig ergriff. Grill<lb/>
aber trat noch einen Schritt vor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1073"> &#x201E;Junger Herr, so Ihr zur Hexe geht, so fragt sie, wo der Packen blieb,<lb/>
den sie mir von meinem Karren zauberte! Fleisch und Wurst waren darin<lb/>
und eine Flasche Malvaster! Wäre die Hexe nit gewesen, ich hätte nit brauchen<lb/>
zu den &#x2014;"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1074"> Der Stadtschreiber fuhr sie zornig an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1075"> &#x201E;Weib, was redest du?  Hast du noch immer Lust zum Turm?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1076"> Er war gelb im Gesicht geworden und seine Augen funkelten boshaft, daß<lb/>
der Pfarrer unwillkürlich die Hand hob, wie um Grill zu schützen. Die aber<lb/>
lachte nur zornig und schien eine Widerrede beginnen zu wollen. Da ging der<lb/>
Pfarrer eilig aus dem Zimmer, und hinter ihm her Sebastian.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1077"> &#x201E;Eine wunderliche Sache!" sagte Herr Kohlbaum, während er mit seinem<lb/>
Gefährten über die Steinfliesen der Vordiele ging. &#x201E;Ich bin froh, daß die<lb/>
Grill wieder da ist, und ich hätte ihr es gern gesagt. Aber ich konnte nicht dazu<lb/>
kommen.  Es ist mir auch, als hätte sie ein verändertes Wesen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1078"> Fragend sah er Sebastian an, der mit gesenktem Kopf neben ihm ging<lb/>
und den Blick nicht bemerken konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1079"> &#x201E;Nun habt Ihr also Euren Willen!" fuhr der Pfarrer nach einer Weile<lb/>
fort. &#x201E;Mich soll wundern, ob Ihr den Teufel aus diesem Weibsbild aus-<lb/>
treiben werdet! Und für Grills Sohn braucht Ihr vorläufig nicht zu sorgen,<lb/>
da sie ja wieder da ist. Aber es ist mir doch, als müßte man auf sie und<lb/>
ihre Kinder ein Auge haben!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1080"> Da Sebastian wieder nicht antwortete, so grüßte der Pfarrer ziemlich kurz<lb/>
und bog bei der nächsten Gasse ab, um gleich wieder umzukehren und den<lb/>
Junker noch einmal anzureden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1081"> &#x201E;Kennt Ihr die Geschichte mit dem Packen, den der Böse der armen Grill<lb/>
vom Karren zauberte? Mir war nichts darüber bekannt geworden, aber wenn<lb/>
dies wirklich der Fall wäre, so ist es wohl besser, Ihr bringt die Gefangene<lb/>
darauf und sucht ihr ein Geständnis zu entlocken. Diese Missetat würde aller¬<lb/>
dings eine schwere Strafe nach sich ziehen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1082"> Ganz in Gedanken blieb der Pfarrer an der Straßenecke stehen, während<lb/>
Sebastian seines Weges ging. Er sah sich nicht um, bis er in seinem Häuschen<lb/>
angekommen war, den Riegel vorgeschoben und sich dann auf die Erde vor das<lb/>
Bild des heiligen Sebastian geworfen hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1083" next="#ID_1084"> &#x201E;Ich bin der Sünder!" wimmerte er. &#x201E;Ach lieber Heiliger, hilf mir!<lb/>
Du hast so viele Schmerzen ausgehalten, und doch nur, damit deine Schutz¬<lb/>
befohlenen ihre Sünde leichter tragen könnten. Ich will täglich zwanzig Gebete</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0236] Die Hexe von Mayen Zeit mehr habe. Es ist so mancherlei zu bedenken und niemand ahnt, welche Verantwortung auf mir ruht! Mag der Junker von Wiltberg die Hexe auf¬ suchen und ihr ins Gewissen reden, so will ich nichts dagegen haben. Wollt Ihr dies Siegel nehmen!" Er langte nach einem Siegelabdruck, den Sebastian hastig ergriff. Grill aber trat noch einen Schritt vor. „Junger Herr, so Ihr zur Hexe geht, so fragt sie, wo der Packen blieb, den sie mir von meinem Karren zauberte! Fleisch und Wurst waren darin und eine Flasche Malvaster! Wäre die Hexe nit gewesen, ich hätte nit brauchen zu den —" Der Stadtschreiber fuhr sie zornig an. „Weib, was redest du? Hast du noch immer Lust zum Turm?" Er war gelb im Gesicht geworden und seine Augen funkelten boshaft, daß der Pfarrer unwillkürlich die Hand hob, wie um Grill zu schützen. Die aber lachte nur zornig und schien eine Widerrede beginnen zu wollen. Da ging der Pfarrer eilig aus dem Zimmer, und hinter ihm her Sebastian. „Eine wunderliche Sache!" sagte Herr Kohlbaum, während er mit seinem Gefährten über die Steinfliesen der Vordiele ging. „Ich bin froh, daß die Grill wieder da ist, und ich hätte ihr es gern gesagt. Aber ich konnte nicht dazu kommen. Es ist mir auch, als hätte sie ein verändertes Wesen!" Fragend sah er Sebastian an, der mit gesenktem Kopf neben ihm ging und den Blick nicht bemerken konnte. „Nun habt Ihr also Euren Willen!" fuhr der Pfarrer nach einer Weile fort. „Mich soll wundern, ob Ihr den Teufel aus diesem Weibsbild aus- treiben werdet! Und für Grills Sohn braucht Ihr vorläufig nicht zu sorgen, da sie ja wieder da ist. Aber es ist mir doch, als müßte man auf sie und ihre Kinder ein Auge haben!" Da Sebastian wieder nicht antwortete, so grüßte der Pfarrer ziemlich kurz und bog bei der nächsten Gasse ab, um gleich wieder umzukehren und den Junker noch einmal anzureden. „Kennt Ihr die Geschichte mit dem Packen, den der Böse der armen Grill vom Karren zauberte? Mir war nichts darüber bekannt geworden, aber wenn dies wirklich der Fall wäre, so ist es wohl besser, Ihr bringt die Gefangene darauf und sucht ihr ein Geständnis zu entlocken. Diese Missetat würde aller¬ dings eine schwere Strafe nach sich ziehen!" Ganz in Gedanken blieb der Pfarrer an der Straßenecke stehen, während Sebastian seines Weges ging. Er sah sich nicht um, bis er in seinem Häuschen angekommen war, den Riegel vorgeschoben und sich dann auf die Erde vor das Bild des heiligen Sebastian geworfen hatte. „Ich bin der Sünder!" wimmerte er. „Ach lieber Heiliger, hilf mir! Du hast so viele Schmerzen ausgehalten, und doch nur, damit deine Schutz¬ befohlenen ihre Sünde leichter tragen könnten. Ich will täglich zwanzig Gebete

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/236
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/236>, abgerufen am 01.01.2025.