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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mciyen

sprechen und der armen Grill sicherlich eine Guttat erweisen, falls ich dazu in
der Lage bin. Und ich werde der Hexe im Turm eine Bußrede halten, daß
sie von ihrer Sünde läßt und einen trostreichen Tod findet!"

In dieser Weise betete Sebastian noch einige Zeit, und als er sich endlich
erhob, war er getröstet. Denn, wenn er auch sündigte, indem er den leckeren
Packen behielt, so wollte er diese Sünde wieder gutmachen. Zufrieden be¬
trachtete er das Siegel von Mayen, das ihm der Schreiber im Abdruck gegeben
hatte, und er bereitete sich vor, noch an diesem Nachmittag den: Turm und
seiner Gefangenen einen Besuch abzustatten.

Heilwig von Sehestedt saß in ihrem Turmzimmer und stopfte ein Hemd
des alten Jupp. Das war gerade keine pläsierliche Arbeit, aber es war besser,
als mit müßigen Händen zu sitzen und darüber nachzudenken, wie eng das
Turmzimmer war und wie weit die Welt und die goldene Freiheit.

Heilwigs Kleid war rasch gestopft gewesen, das feine Linnenhemd mit
seinen Spitzen lugte aus dem Ausschnitt des Brabanter Tuchkleides heraus und
hob ihren schlanken Hals mit seiner feinen Haut und den Kopf mit dem gol¬
denen Haar. Wenn der Stadtschreiber kam. dann ließ er seine Blicke nicht von
ihr und seine Worte klangen sanft und beinahe zärtlich. Heilwig schauderte
zusammen, wenn sie an diesen Mann dachte, der sie jetzt täglich besuchte und
mit Fragen quälte, die sie nicht verstand. Er schien nicht daran zu zweifeln,
daß sie sich nur verirrt hatte; wenn ihr Vater, Herr Cay von Sehestedt, wüßte,
wo sie war. würde er mit einer reichlichen Belohnung nicht zurückhalten. Aber
er ahnte es nicht. Mit glatten Worten beteuerte der Stadtschreiber immer
wieder, daß er dem Fräulein gern helfen würde und es doch nicht könnte.
Überall stand der Feind, Boten waren nicht zu bewegen, nach dem Rhein zu
gehen, wo das braunschweigische Heer stehen sollte: vielleicht lag es auch noch
nicht da. Es war besser, das Fräulein geduldete sich: er, Lambert Wendemut,
würde schon Sorge tragen, daß ihr kein Haar gekrümmt würde. Wenn sie
ihm nur noch ein wenig mehr Vertrauen schenken wollte, so könnte er sie ganz
sicher retten.

Es war allerdings schwer. Der Herr Bürgermeister war ein strenger
Herr, und der Stadtpfarrer einer, der schon viele Hexen verbrannt hatte. Hier
glaubte man ja an Hexen: er. Lambert Wendemut, konnte sich nicht denken,
daß ein so reizendes Fräulein sich mit der schwarzen Kunst befasse; daher würde
er viel wagen, um sie vor einem traurigen Schicksal zu bewahren.

So sprach der Stadtschreiber jedesmal, wenn er mit Heilwig zusammen
war, und wenn sie auch mutig war und keine Angst zeigen wollte, so begann
sie doch vor seinen Besuchen zu zittern. Vor seinen gierigen Augen, die sich in
die ihren einbohrten und ihre ganze Gestalt zu umfangen schienen. Es war
gut, daß Kätha ihre Freundin geworden war. Ihr alter Vater bedürfte der
Pflege. Da half Heilwig der Tochter, nähte und strickte für sie und war schon
ewige Male nach unten in die Küche heruntergeschlüpft, um die Suppe zu be-


Grenzboten I 1914 ^
Die Hexe von Mciyen

sprechen und der armen Grill sicherlich eine Guttat erweisen, falls ich dazu in
der Lage bin. Und ich werde der Hexe im Turm eine Bußrede halten, daß
sie von ihrer Sünde läßt und einen trostreichen Tod findet!"

In dieser Weise betete Sebastian noch einige Zeit, und als er sich endlich
erhob, war er getröstet. Denn, wenn er auch sündigte, indem er den leckeren
Packen behielt, so wollte er diese Sünde wieder gutmachen. Zufrieden be¬
trachtete er das Siegel von Mayen, das ihm der Schreiber im Abdruck gegeben
hatte, und er bereitete sich vor, noch an diesem Nachmittag den: Turm und
seiner Gefangenen einen Besuch abzustatten.

Heilwig von Sehestedt saß in ihrem Turmzimmer und stopfte ein Hemd
des alten Jupp. Das war gerade keine pläsierliche Arbeit, aber es war besser,
als mit müßigen Händen zu sitzen und darüber nachzudenken, wie eng das
Turmzimmer war und wie weit die Welt und die goldene Freiheit.

Heilwigs Kleid war rasch gestopft gewesen, das feine Linnenhemd mit
seinen Spitzen lugte aus dem Ausschnitt des Brabanter Tuchkleides heraus und
hob ihren schlanken Hals mit seiner feinen Haut und den Kopf mit dem gol¬
denen Haar. Wenn der Stadtschreiber kam. dann ließ er seine Blicke nicht von
ihr und seine Worte klangen sanft und beinahe zärtlich. Heilwig schauderte
zusammen, wenn sie an diesen Mann dachte, der sie jetzt täglich besuchte und
mit Fragen quälte, die sie nicht verstand. Er schien nicht daran zu zweifeln,
daß sie sich nur verirrt hatte; wenn ihr Vater, Herr Cay von Sehestedt, wüßte,
wo sie war. würde er mit einer reichlichen Belohnung nicht zurückhalten. Aber
er ahnte es nicht. Mit glatten Worten beteuerte der Stadtschreiber immer
wieder, daß er dem Fräulein gern helfen würde und es doch nicht könnte.
Überall stand der Feind, Boten waren nicht zu bewegen, nach dem Rhein zu
gehen, wo das braunschweigische Heer stehen sollte: vielleicht lag es auch noch
nicht da. Es war besser, das Fräulein geduldete sich: er, Lambert Wendemut,
würde schon Sorge tragen, daß ihr kein Haar gekrümmt würde. Wenn sie
ihm nur noch ein wenig mehr Vertrauen schenken wollte, so könnte er sie ganz
sicher retten.

Es war allerdings schwer. Der Herr Bürgermeister war ein strenger
Herr, und der Stadtpfarrer einer, der schon viele Hexen verbrannt hatte. Hier
glaubte man ja an Hexen: er. Lambert Wendemut, konnte sich nicht denken,
daß ein so reizendes Fräulein sich mit der schwarzen Kunst befasse; daher würde
er viel wagen, um sie vor einem traurigen Schicksal zu bewahren.

So sprach der Stadtschreiber jedesmal, wenn er mit Heilwig zusammen
war, und wenn sie auch mutig war und keine Angst zeigen wollte, so begann
sie doch vor seinen Besuchen zu zittern. Vor seinen gierigen Augen, die sich in
die ihren einbohrten und ihre ganze Gestalt zu umfangen schienen. Es war
gut, daß Kätha ihre Freundin geworden war. Ihr alter Vater bedürfte der
Pflege. Da half Heilwig der Tochter, nähte und strickte für sie und war schon
ewige Male nach unten in die Küche heruntergeschlüpft, um die Suppe zu be-


Grenzboten I 1914 ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/237>, abgerufen am 01.01.2025.