Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Vas romantische Bedürfnis unserer Zeit Wirtschafts- und klassenpolitische Ziele allein dienstbar gemacht. Für die Kultur Wenn die naturwissenschaftliche Bewegung das kulturelle Streben gerade So ist durch die Beseitigung der religiösen und kirchlichen Gefühlswerte, Die menschliche Natur aber läßt sich auf die Dauer keinen Zwang antun. Wir wollen hier kurz auf drei dieser Erscheinungen hinweisen. Nicht nur, daß man auf dem Gebiete der Wissenschaft allmählich die Ein¬ Man mag nun über den Wert des Monismus als Weltanschauung denken Die zweite der Erscheinungen, die auf das romantische Bedürfnis unserer *) Man vgl. meinen kleinen Aufsatz: "Der Monismus als Weltanschauung", Grenz¬
boten 1913, Heft 39 S. 620. Vas romantische Bedürfnis unserer Zeit Wirtschafts- und klassenpolitische Ziele allein dienstbar gemacht. Für die Kultur Wenn die naturwissenschaftliche Bewegung das kulturelle Streben gerade So ist durch die Beseitigung der religiösen und kirchlichen Gefühlswerte, Die menschliche Natur aber läßt sich auf die Dauer keinen Zwang antun. Wir wollen hier kurz auf drei dieser Erscheinungen hinweisen. Nicht nur, daß man auf dem Gebiete der Wissenschaft allmählich die Ein¬ Man mag nun über den Wert des Monismus als Weltanschauung denken Die zweite der Erscheinungen, die auf das romantische Bedürfnis unserer *) Man vgl. meinen kleinen Aufsatz: „Der Monismus als Weltanschauung", Grenz¬
boten 1913, Heft 39 S. 620. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327685"/> <fw type="header" place="top"> Vas romantische Bedürfnis unserer Zeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_983" prev="#ID_982"> Wirtschafts- und klassenpolitische Ziele allein dienstbar gemacht. Für die Kultur<lb/> von Gefühlswerten bot sich nirgends ein Anlaß, findet sich nirgends ein Platz.</p><lb/> <p xml:id="ID_984"> Wenn die naturwissenschaftliche Bewegung das kulturelle Streben gerade<lb/> der Gebildeten auf das empirisch Erfaßbare, dem Verstände und der Erfahrung<lb/> Zugängliche einstellte, so stellte die Sozialdemokratie das Interesse der niederen<lb/> Volkskreise auf das Praktische ein, auf Fragen des wirtschaftlichen und politischen<lb/> Vorteils. Die naturwissenschaftliche Bewegung muß ihrer Natur nach kirchen-<lb/> feindlich sein. Die Sozialdemokratie steht ihrem inneren Wesen nach den<lb/> Gefühlswerten der Religion gleichgültig gegenüber, lehnt aber Religion und<lb/> Kirche aus politischen Gründen ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_985"> So ist durch die Beseitigung der religiösen und kirchlichen Gefühlswerte,<lb/> dank jenen beiden geistigen Strömungen, das geistige, das kulturelle Leben<lb/> unserer Gebildeten und der niederen Volkskreise in gleicher Weise verarmt an<lb/> Gefühlswerten, an romantischen Werten.</p><lb/> <p xml:id="ID_986"> Die menschliche Natur aber läßt sich auf die Dauer keinen Zwang antun.<lb/> Und so mehren sich gerade in unserer Zeit die Erscheinungen, die darauf hin¬<lb/> weisen, daß jenes romantische Bedürfnis des Menschen, seine Gefühlskraft<lb/> auszuleben, noch lebt, und daß er daran geht, sich anderswo einen Tummel¬<lb/> platz zu schaffen, nachdem man ihm seine alten Werte, seine alten Ideale<lb/> zerstört hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_987"> Wir wollen hier kurz auf drei dieser Erscheinungen hinweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_988"> Nicht nur, daß man auf dem Gebiete der Wissenschaft allmählich die Ein¬<lb/> seitigkeit, die einseitig intellektuelle Bedingtheit der naturwissenschaftlich-empirischen<lb/> Methode einzusehen und neben der alleinseligmachenden Erfahrung als Er-<lb/> lenntnisquelle auch die Intuition, das gefühlsmäßige Erfassen einiger Aufmerksam¬<lb/> keit zu würdigen beginnt! Auch die Naturwissenschaft versucht sogar daher an die<lb/> Stelle der religiös-kirchlichen Gefühlswerte, die sie zerstört hat, neue Gefühls¬<lb/> werte zu setzen, sie versucht an Stelle der Religion eine Weltanschauung zu<lb/> begründen. Diese Weltanschauung ist der Monismus.</p><lb/> <p xml:id="ID_989"> Man mag nun über den Wert des Monismus als Weltanschauung denken<lb/> wie man will*), man muß jedenfalls diesen Versuch einer naturwissenschaft¬<lb/> lichen Weltanschauung als den Versuch einer Schaffung neuer Gefühlswerte,<lb/> neuer „Ideale", und daher als eine Anerkennung des romantischen Bedürfnisses<lb/> im Menschen, vielleicht sogar als ein Produkt des romantischen Bedürfnisses der<lb/> Naturwissenschaftler, der Monisten selber, registrieren und werten.</p><lb/> <p xml:id="ID_990"> Die zweite der Erscheinungen, die auf das romantische Bedürfnis unserer<lb/> Zeit hinweisen, zeigt sich innerhalb der niederen Volksklassen, die von der<lb/> Sozialdemokratie beeinflußt sind. Ich verdanke die Kenntnis dieser Erscheinung<lb/> einer Mitteilung von or. Heinz Marr vom Hamburger Volksheim und berufe<lb/> mich auf ihn.</p><lb/> <note xml:id="FID_50" place="foot"> *) Man vgl. meinen kleinen Aufsatz: „Der Monismus als Weltanschauung", Grenz¬<lb/> boten 1913, Heft 39 S. 620.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0219]
Vas romantische Bedürfnis unserer Zeit
Wirtschafts- und klassenpolitische Ziele allein dienstbar gemacht. Für die Kultur
von Gefühlswerten bot sich nirgends ein Anlaß, findet sich nirgends ein Platz.
Wenn die naturwissenschaftliche Bewegung das kulturelle Streben gerade
der Gebildeten auf das empirisch Erfaßbare, dem Verstände und der Erfahrung
Zugängliche einstellte, so stellte die Sozialdemokratie das Interesse der niederen
Volkskreise auf das Praktische ein, auf Fragen des wirtschaftlichen und politischen
Vorteils. Die naturwissenschaftliche Bewegung muß ihrer Natur nach kirchen-
feindlich sein. Die Sozialdemokratie steht ihrem inneren Wesen nach den
Gefühlswerten der Religion gleichgültig gegenüber, lehnt aber Religion und
Kirche aus politischen Gründen ab.
So ist durch die Beseitigung der religiösen und kirchlichen Gefühlswerte,
dank jenen beiden geistigen Strömungen, das geistige, das kulturelle Leben
unserer Gebildeten und der niederen Volkskreise in gleicher Weise verarmt an
Gefühlswerten, an romantischen Werten.
Die menschliche Natur aber läßt sich auf die Dauer keinen Zwang antun.
Und so mehren sich gerade in unserer Zeit die Erscheinungen, die darauf hin¬
weisen, daß jenes romantische Bedürfnis des Menschen, seine Gefühlskraft
auszuleben, noch lebt, und daß er daran geht, sich anderswo einen Tummel¬
platz zu schaffen, nachdem man ihm seine alten Werte, seine alten Ideale
zerstört hat.
Wir wollen hier kurz auf drei dieser Erscheinungen hinweisen.
Nicht nur, daß man auf dem Gebiete der Wissenschaft allmählich die Ein¬
seitigkeit, die einseitig intellektuelle Bedingtheit der naturwissenschaftlich-empirischen
Methode einzusehen und neben der alleinseligmachenden Erfahrung als Er-
lenntnisquelle auch die Intuition, das gefühlsmäßige Erfassen einiger Aufmerksam¬
keit zu würdigen beginnt! Auch die Naturwissenschaft versucht sogar daher an die
Stelle der religiös-kirchlichen Gefühlswerte, die sie zerstört hat, neue Gefühls¬
werte zu setzen, sie versucht an Stelle der Religion eine Weltanschauung zu
begründen. Diese Weltanschauung ist der Monismus.
Man mag nun über den Wert des Monismus als Weltanschauung denken
wie man will*), man muß jedenfalls diesen Versuch einer naturwissenschaft¬
lichen Weltanschauung als den Versuch einer Schaffung neuer Gefühlswerte,
neuer „Ideale", und daher als eine Anerkennung des romantischen Bedürfnisses
im Menschen, vielleicht sogar als ein Produkt des romantischen Bedürfnisses der
Naturwissenschaftler, der Monisten selber, registrieren und werten.
Die zweite der Erscheinungen, die auf das romantische Bedürfnis unserer
Zeit hinweisen, zeigt sich innerhalb der niederen Volksklassen, die von der
Sozialdemokratie beeinflußt sind. Ich verdanke die Kenntnis dieser Erscheinung
einer Mitteilung von or. Heinz Marr vom Hamburger Volksheim und berufe
mich auf ihn.
*) Man vgl. meinen kleinen Aufsatz: „Der Monismus als Weltanschauung", Grenz¬
boten 1913, Heft 39 S. 620.
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