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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Bismarcks Staatsstreichplan

fürchten, er verzichtete auch auf Popularität, weil er das Bewußtsein seiner
Taten in seinem Innern trug. Aber wenn er über diese Frage schwieg, so tat
er es wohl auch um der eigenen Sicherheit willen. Denn nachdem schon die
deutschen Volksboden im Reichstag in verblendeten Haß gegen den grimmen
Bekämpfer aller parteipolitischer Einseitigkeit seinen Sturz -- nach Bismarcks
eigener Äußerung -- angesichts des "jahrelangen Druckes" mit allgemeiner Be¬
friedigung aufgenommen und ihm selbst den einfachen menschlichen Glückwunsch
zum achtzigsten Geburtstag verweigert hatten, dürfte die ernste Frage naheliegen:
Würde nicht auch das deutsche Volk -- abgesehen vielleicht von einigen in
Wahlrechtsfragen ultrakonseroativ denkenden Leuten -- statt nach Friedrichsruh
zu wallen, um seinem neben Marthin Luther größten Sohne der Tat die
geziemende Dankbarkeit zu bezeugen, ihn: in ganz anderer Weise gelohnt haben,
wenn es seine letzten Pläne gekannt hätte? Bismarck, der den Wechsel der
Volksstimmung genau kannte, der bei einem unglücklichen Ausgang des deutschen
Krieges von 186K den Tod in der Schlacht suchen wollte, um nicht als Straf¬
ford auf dem Schaffst zu enden, mußte daher am Ende seines Lebens zusehen,
daß die wichtigste Ursache seines Sturzes geheimblieb. Nachdem ihn ein höherer
Entschluß vor der Tragik des Heldenlebens bewahrt hatte, sein eigenes Werk
selbst zu zerstören, wäre es sinnlos gewesen, in den Augen des auch in politischen
Dingen moralisch urteilenden Publikums den eigenen Ehrenschild zu beflecken.
Nicht Unehrlichkeit also, nicht Scheu vor Enthüllungen, die er bei anderen
wichtigen Fragen auch nicht kannte, sondern die einfache Zweckmäßigkeit, die in
diesem großen Leben trotz seiner scheinbaren Zufälligkeiten stets die größte Tugend
war, entschied sein Schweigen über den dämonischsten Plan seiner politischen
Laufbahn.




Bismarcks Staatsstreichplan

fürchten, er verzichtete auch auf Popularität, weil er das Bewußtsein seiner
Taten in seinem Innern trug. Aber wenn er über diese Frage schwieg, so tat
er es wohl auch um der eigenen Sicherheit willen. Denn nachdem schon die
deutschen Volksboden im Reichstag in verblendeten Haß gegen den grimmen
Bekämpfer aller parteipolitischer Einseitigkeit seinen Sturz — nach Bismarcks
eigener Äußerung — angesichts des „jahrelangen Druckes" mit allgemeiner Be¬
friedigung aufgenommen und ihm selbst den einfachen menschlichen Glückwunsch
zum achtzigsten Geburtstag verweigert hatten, dürfte die ernste Frage naheliegen:
Würde nicht auch das deutsche Volk — abgesehen vielleicht von einigen in
Wahlrechtsfragen ultrakonseroativ denkenden Leuten — statt nach Friedrichsruh
zu wallen, um seinem neben Marthin Luther größten Sohne der Tat die
geziemende Dankbarkeit zu bezeugen, ihn: in ganz anderer Weise gelohnt haben,
wenn es seine letzten Pläne gekannt hätte? Bismarck, der den Wechsel der
Volksstimmung genau kannte, der bei einem unglücklichen Ausgang des deutschen
Krieges von 186K den Tod in der Schlacht suchen wollte, um nicht als Straf¬
ford auf dem Schaffst zu enden, mußte daher am Ende seines Lebens zusehen,
daß die wichtigste Ursache seines Sturzes geheimblieb. Nachdem ihn ein höherer
Entschluß vor der Tragik des Heldenlebens bewahrt hatte, sein eigenes Werk
selbst zu zerstören, wäre es sinnlos gewesen, in den Augen des auch in politischen
Dingen moralisch urteilenden Publikums den eigenen Ehrenschild zu beflecken.
Nicht Unehrlichkeit also, nicht Scheu vor Enthüllungen, die er bei anderen
wichtigen Fragen auch nicht kannte, sondern die einfache Zweckmäßigkeit, die in
diesem großen Leben trotz seiner scheinbaren Zufälligkeiten stets die größte Tugend
war, entschied sein Schweigen über den dämonischsten Plan seiner politischen
Laufbahn.




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[0215] Bismarcks Staatsstreichplan fürchten, er verzichtete auch auf Popularität, weil er das Bewußtsein seiner Taten in seinem Innern trug. Aber wenn er über diese Frage schwieg, so tat er es wohl auch um der eigenen Sicherheit willen. Denn nachdem schon die deutschen Volksboden im Reichstag in verblendeten Haß gegen den grimmen Bekämpfer aller parteipolitischer Einseitigkeit seinen Sturz — nach Bismarcks eigener Äußerung — angesichts des „jahrelangen Druckes" mit allgemeiner Be¬ friedigung aufgenommen und ihm selbst den einfachen menschlichen Glückwunsch zum achtzigsten Geburtstag verweigert hatten, dürfte die ernste Frage naheliegen: Würde nicht auch das deutsche Volk — abgesehen vielleicht von einigen in Wahlrechtsfragen ultrakonseroativ denkenden Leuten — statt nach Friedrichsruh zu wallen, um seinem neben Marthin Luther größten Sohne der Tat die geziemende Dankbarkeit zu bezeugen, ihn: in ganz anderer Weise gelohnt haben, wenn es seine letzten Pläne gekannt hätte? Bismarck, der den Wechsel der Volksstimmung genau kannte, der bei einem unglücklichen Ausgang des deutschen Krieges von 186K den Tod in der Schlacht suchen wollte, um nicht als Straf¬ ford auf dem Schaffst zu enden, mußte daher am Ende seines Lebens zusehen, daß die wichtigste Ursache seines Sturzes geheimblieb. Nachdem ihn ein höherer Entschluß vor der Tragik des Heldenlebens bewahrt hatte, sein eigenes Werk selbst zu zerstören, wäre es sinnlos gewesen, in den Augen des auch in politischen Dingen moralisch urteilenden Publikums den eigenen Ehrenschild zu beflecken. Nicht Unehrlichkeit also, nicht Scheu vor Enthüllungen, die er bei anderen wichtigen Fragen auch nicht kannte, sondern die einfache Zweckmäßigkeit, die in diesem großen Leben trotz seiner scheinbaren Zufälligkeiten stets die größte Tugend war, entschied sein Schweigen über den dämonischsten Plan seiner politischen Laufbahn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/215>, abgerufen am 29.12.2024.