Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bismarcks Staatsstreichplan

allezeit gelöst glaubte, daß er sie vielmehr für veränderungsbedürftig hielt, wenn
sie sich nicht als Stütze des Reiches bewähren sollte, als die sie im Kampfe für
Deutschlands Freiheit und Einheit nach außen und innen geschaffen worden
war. Er hat daselbst ebenso wie in seiner schon erwähnten Reichstagsrede ohne
Rücksicht auf liberale Kritik zu verstehen gegeben, daß er das "populäre und
von der früheren Frankfurter Versammlung hinterlassene" Wahlrecht nicht aus
innerpolitischer Überzeugung, sondern als revolutionäres Mittel zum Zwecke der
Begründung des Reiches in die Wage der Entscheidung werfen mußte.

Es läßt sich daher nicht nur aus den Wegen der Bismarckschen Politik
schließen, daß der Kanzler dies Wahlrecht wieder zu ändern oder gar zu
beseitigen gedachte. Denn es ist an der gleichen Stelle wörtlich ausgesprochen,
daß "die Liquidation und Aufbesserung der dadurch angerichteten Schäden" nach
dem gewünschten Erfolg der Reichsgründung noch immer rechtzeitig ein¬
treten könne.

Wenn Bismarck trotzdem die Reichsverfassung bis aus Ende seiner Amts¬
zeit unangetastet ließ, so geschah es, weil bis dahin das Regieren mit den
Parteien möglich gewesen war. Schon in den achtziger Jahren wurde es
schwerer und schwerer, und 1889 mußte Bismarck an eine gewaltsame Lösung
denken, weil der Fall des Sozialistengesetzes ein Anschwellen der roten Flut
versprach, das Bismarck nach seinen Anschauungen gar nicht anders als gewaltsam
hätte bekämpfen können. Mag er den Fall dieses Gesetzes begünstigt haben,
um Konfliktsstoff für den Staatsstreich zu sammeln, oder nicht: der Ausgang
konnte kein anderer sein als ein Versassungsbruch, und diesen Ausgang hat der
Kaiser verhindert, was den Bismarckschen Abgang von der politischen Bühne
zur Folge hatte. Nach alledem ist die einfache "Zurückweisung" dieser Kom¬
binationen mit dem Argument einiger Bismarckepigonen, daß sie niemals davon
hätten verlauten hören, obwohl sie es doch wissen müßten, hinfällig. Denn
man braucht, um einen Satz aus den zustimmenden Artikeln der Tagespresse
Herauszugreisen, "wirklich kein Staatsmann wie Bismarck zu sein, um klar zu
erkennen, daß man solche Dinge nicht machen kann, wenn man vorher darüber
redet". Es nimmt darum nicht wunder, daß Bismarck auch am Ende seines
Lebens nicht über den eigentlichen Grund seiner Entlassung gesprochen oder
geschrieben und daß Leute seiner privaten und politischen Umgebung kein Wort
darüber aus seinem Munde erfahren haben. Es war eben das heikelste Problem
seiner ganzen Regierung, dessen Erfolg, da er es nicht hatte lösen dürfen, ihm
selbst zweifelhaft bleiben mußte. Zudem: hätte er etwa in den Hamburger
Nachrichten im Gegensatz zur Regierung und Nation den Staatsstreich weiter
predigen sollen, damit die Ungläubigen von heute zweifelsfreie Dokumente für
die bedenklichsten Pläne seines plänereichen Daseins in Händen halten könnten?
Mußte er nicht vielmehr solch letzte Möglichkeiten selbst seinen Intimsten vor¬
enthalten, damit sie möglichst für alle Zeit und mindestens für seinen Lebens¬
abend begraben blieben? Gewiß, Bismarck brauchte nicht für seinen Ruhm zu


Bismarcks Staatsstreichplan

allezeit gelöst glaubte, daß er sie vielmehr für veränderungsbedürftig hielt, wenn
sie sich nicht als Stütze des Reiches bewähren sollte, als die sie im Kampfe für
Deutschlands Freiheit und Einheit nach außen und innen geschaffen worden
war. Er hat daselbst ebenso wie in seiner schon erwähnten Reichstagsrede ohne
Rücksicht auf liberale Kritik zu verstehen gegeben, daß er das „populäre und
von der früheren Frankfurter Versammlung hinterlassene" Wahlrecht nicht aus
innerpolitischer Überzeugung, sondern als revolutionäres Mittel zum Zwecke der
Begründung des Reiches in die Wage der Entscheidung werfen mußte.

Es läßt sich daher nicht nur aus den Wegen der Bismarckschen Politik
schließen, daß der Kanzler dies Wahlrecht wieder zu ändern oder gar zu
beseitigen gedachte. Denn es ist an der gleichen Stelle wörtlich ausgesprochen,
daß „die Liquidation und Aufbesserung der dadurch angerichteten Schäden" nach
dem gewünschten Erfolg der Reichsgründung noch immer rechtzeitig ein¬
treten könne.

Wenn Bismarck trotzdem die Reichsverfassung bis aus Ende seiner Amts¬
zeit unangetastet ließ, so geschah es, weil bis dahin das Regieren mit den
Parteien möglich gewesen war. Schon in den achtziger Jahren wurde es
schwerer und schwerer, und 1889 mußte Bismarck an eine gewaltsame Lösung
denken, weil der Fall des Sozialistengesetzes ein Anschwellen der roten Flut
versprach, das Bismarck nach seinen Anschauungen gar nicht anders als gewaltsam
hätte bekämpfen können. Mag er den Fall dieses Gesetzes begünstigt haben,
um Konfliktsstoff für den Staatsstreich zu sammeln, oder nicht: der Ausgang
konnte kein anderer sein als ein Versassungsbruch, und diesen Ausgang hat der
Kaiser verhindert, was den Bismarckschen Abgang von der politischen Bühne
zur Folge hatte. Nach alledem ist die einfache „Zurückweisung" dieser Kom¬
binationen mit dem Argument einiger Bismarckepigonen, daß sie niemals davon
hätten verlauten hören, obwohl sie es doch wissen müßten, hinfällig. Denn
man braucht, um einen Satz aus den zustimmenden Artikeln der Tagespresse
Herauszugreisen, „wirklich kein Staatsmann wie Bismarck zu sein, um klar zu
erkennen, daß man solche Dinge nicht machen kann, wenn man vorher darüber
redet". Es nimmt darum nicht wunder, daß Bismarck auch am Ende seines
Lebens nicht über den eigentlichen Grund seiner Entlassung gesprochen oder
geschrieben und daß Leute seiner privaten und politischen Umgebung kein Wort
darüber aus seinem Munde erfahren haben. Es war eben das heikelste Problem
seiner ganzen Regierung, dessen Erfolg, da er es nicht hatte lösen dürfen, ihm
selbst zweifelhaft bleiben mußte. Zudem: hätte er etwa in den Hamburger
Nachrichten im Gegensatz zur Regierung und Nation den Staatsstreich weiter
predigen sollen, damit die Ungläubigen von heute zweifelsfreie Dokumente für
die bedenklichsten Pläne seines plänereichen Daseins in Händen halten könnten?
Mußte er nicht vielmehr solch letzte Möglichkeiten selbst seinen Intimsten vor¬
enthalten, damit sie möglichst für alle Zeit und mindestens für seinen Lebens¬
abend begraben blieben? Gewiß, Bismarck brauchte nicht für seinen Ruhm zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327680"/>
          <fw type="header" place="top"> Bismarcks Staatsstreichplan</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_962" prev="#ID_961"> allezeit gelöst glaubte, daß er sie vielmehr für veränderungsbedürftig hielt, wenn<lb/>
sie sich nicht als Stütze des Reiches bewähren sollte, als die sie im Kampfe für<lb/>
Deutschlands Freiheit und Einheit nach außen und innen geschaffen worden<lb/>
war. Er hat daselbst ebenso wie in seiner schon erwähnten Reichstagsrede ohne<lb/>
Rücksicht auf liberale Kritik zu verstehen gegeben, daß er das &#x201E;populäre und<lb/>
von der früheren Frankfurter Versammlung hinterlassene" Wahlrecht nicht aus<lb/>
innerpolitischer Überzeugung, sondern als revolutionäres Mittel zum Zwecke der<lb/>
Begründung des Reiches in die Wage der Entscheidung werfen mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_963"> Es läßt sich daher nicht nur aus den Wegen der Bismarckschen Politik<lb/>
schließen, daß der Kanzler dies Wahlrecht wieder zu ändern oder gar zu<lb/>
beseitigen gedachte. Denn es ist an der gleichen Stelle wörtlich ausgesprochen,<lb/>
daß &#x201E;die Liquidation und Aufbesserung der dadurch angerichteten Schäden" nach<lb/>
dem gewünschten Erfolg der Reichsgründung noch immer rechtzeitig ein¬<lb/>
treten könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_964" next="#ID_965"> Wenn Bismarck trotzdem die Reichsverfassung bis aus Ende seiner Amts¬<lb/>
zeit unangetastet ließ, so geschah es, weil bis dahin das Regieren mit den<lb/>
Parteien möglich gewesen war. Schon in den achtziger Jahren wurde es<lb/>
schwerer und schwerer, und 1889 mußte Bismarck an eine gewaltsame Lösung<lb/>
denken, weil der Fall des Sozialistengesetzes ein Anschwellen der roten Flut<lb/>
versprach, das Bismarck nach seinen Anschauungen gar nicht anders als gewaltsam<lb/>
hätte bekämpfen können. Mag er den Fall dieses Gesetzes begünstigt haben,<lb/>
um Konfliktsstoff für den Staatsstreich zu sammeln, oder nicht: der Ausgang<lb/>
konnte kein anderer sein als ein Versassungsbruch, und diesen Ausgang hat der<lb/>
Kaiser verhindert, was den Bismarckschen Abgang von der politischen Bühne<lb/>
zur Folge hatte. Nach alledem ist die einfache &#x201E;Zurückweisung" dieser Kom¬<lb/>
binationen mit dem Argument einiger Bismarckepigonen, daß sie niemals davon<lb/>
hätten verlauten hören, obwohl sie es doch wissen müßten, hinfällig. Denn<lb/>
man braucht, um einen Satz aus den zustimmenden Artikeln der Tagespresse<lb/>
Herauszugreisen, &#x201E;wirklich kein Staatsmann wie Bismarck zu sein, um klar zu<lb/>
erkennen, daß man solche Dinge nicht machen kann, wenn man vorher darüber<lb/>
redet". Es nimmt darum nicht wunder, daß Bismarck auch am Ende seines<lb/>
Lebens nicht über den eigentlichen Grund seiner Entlassung gesprochen oder<lb/>
geschrieben und daß Leute seiner privaten und politischen Umgebung kein Wort<lb/>
darüber aus seinem Munde erfahren haben. Es war eben das heikelste Problem<lb/>
seiner ganzen Regierung, dessen Erfolg, da er es nicht hatte lösen dürfen, ihm<lb/>
selbst zweifelhaft bleiben mußte. Zudem: hätte er etwa in den Hamburger<lb/>
Nachrichten im Gegensatz zur Regierung und Nation den Staatsstreich weiter<lb/>
predigen sollen, damit die Ungläubigen von heute zweifelsfreie Dokumente für<lb/>
die bedenklichsten Pläne seines plänereichen Daseins in Händen halten könnten?<lb/>
Mußte er nicht vielmehr solch letzte Möglichkeiten selbst seinen Intimsten vor¬<lb/>
enthalten, damit sie möglichst für alle Zeit und mindestens für seinen Lebens¬<lb/>
abend begraben blieben? Gewiß, Bismarck brauchte nicht für seinen Ruhm zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] Bismarcks Staatsstreichplan allezeit gelöst glaubte, daß er sie vielmehr für veränderungsbedürftig hielt, wenn sie sich nicht als Stütze des Reiches bewähren sollte, als die sie im Kampfe für Deutschlands Freiheit und Einheit nach außen und innen geschaffen worden war. Er hat daselbst ebenso wie in seiner schon erwähnten Reichstagsrede ohne Rücksicht auf liberale Kritik zu verstehen gegeben, daß er das „populäre und von der früheren Frankfurter Versammlung hinterlassene" Wahlrecht nicht aus innerpolitischer Überzeugung, sondern als revolutionäres Mittel zum Zwecke der Begründung des Reiches in die Wage der Entscheidung werfen mußte. Es läßt sich daher nicht nur aus den Wegen der Bismarckschen Politik schließen, daß der Kanzler dies Wahlrecht wieder zu ändern oder gar zu beseitigen gedachte. Denn es ist an der gleichen Stelle wörtlich ausgesprochen, daß „die Liquidation und Aufbesserung der dadurch angerichteten Schäden" nach dem gewünschten Erfolg der Reichsgründung noch immer rechtzeitig ein¬ treten könne. Wenn Bismarck trotzdem die Reichsverfassung bis aus Ende seiner Amts¬ zeit unangetastet ließ, so geschah es, weil bis dahin das Regieren mit den Parteien möglich gewesen war. Schon in den achtziger Jahren wurde es schwerer und schwerer, und 1889 mußte Bismarck an eine gewaltsame Lösung denken, weil der Fall des Sozialistengesetzes ein Anschwellen der roten Flut versprach, das Bismarck nach seinen Anschauungen gar nicht anders als gewaltsam hätte bekämpfen können. Mag er den Fall dieses Gesetzes begünstigt haben, um Konfliktsstoff für den Staatsstreich zu sammeln, oder nicht: der Ausgang konnte kein anderer sein als ein Versassungsbruch, und diesen Ausgang hat der Kaiser verhindert, was den Bismarckschen Abgang von der politischen Bühne zur Folge hatte. Nach alledem ist die einfache „Zurückweisung" dieser Kom¬ binationen mit dem Argument einiger Bismarckepigonen, daß sie niemals davon hätten verlauten hören, obwohl sie es doch wissen müßten, hinfällig. Denn man braucht, um einen Satz aus den zustimmenden Artikeln der Tagespresse Herauszugreisen, „wirklich kein Staatsmann wie Bismarck zu sein, um klar zu erkennen, daß man solche Dinge nicht machen kann, wenn man vorher darüber redet". Es nimmt darum nicht wunder, daß Bismarck auch am Ende seines Lebens nicht über den eigentlichen Grund seiner Entlassung gesprochen oder geschrieben und daß Leute seiner privaten und politischen Umgebung kein Wort darüber aus seinem Munde erfahren haben. Es war eben das heikelste Problem seiner ganzen Regierung, dessen Erfolg, da er es nicht hatte lösen dürfen, ihm selbst zweifelhaft bleiben mußte. Zudem: hätte er etwa in den Hamburger Nachrichten im Gegensatz zur Regierung und Nation den Staatsstreich weiter predigen sollen, damit die Ungläubigen von heute zweifelsfreie Dokumente für die bedenklichsten Pläne seines plänereichen Daseins in Händen halten könnten? Mußte er nicht vielmehr solch letzte Möglichkeiten selbst seinen Intimsten vor¬ enthalten, damit sie möglichst für alle Zeit und mindestens für seinen Lebens¬ abend begraben blieben? Gewiß, Bismarck brauchte nicht für seinen Ruhm zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/214>, abgerufen am 01.01.2025.