Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Bismarcks Staatsstreichplan die eigentlichen Quellen seiner Geschichte, die Reden und Äußerungen des mitten Psychologisch betrachtet erscheint es daher noch lange nicht beweisend, wenn Bismarcks Staatsstreichplan die eigentlichen Quellen seiner Geschichte, die Reden und Äußerungen des mitten Psychologisch betrachtet erscheint es daher noch lange nicht beweisend, wenn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0213" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327679"/> <fw type="header" place="top"> Bismarcks Staatsstreichplan</fw><lb/> <p xml:id="ID_960" prev="#ID_959"> die eigentlichen Quellen seiner Geschichte, die Reden und Äußerungen des mitten<lb/> im lebendigen Handeln stehenden Kanzlers. Wer seine Bismarckkenntnis auf<lb/> die „Gedanken und Erinnerungen" und auf die schriftlichen und mündlichen<lb/> Äußerungen des verabschiedeten Kanzlers stützt, der erwirbt gewiß einen Schatz<lb/> politischer und historischer Bildung, den er in der politischen Weltliteratur kaum<lb/> wiederfinden dürfte. Aber erst die Quellen, die immer nur die den Ereignissen<lb/> zeitlich nahestehenden Äußerungen sein können, ermöglichen die Prüfung seiner<lb/> späteren Darstellung, die sich teils durch das Gedächtnis, teils durch die Kon¬<lb/> sequenz des Gedankens, teils auch durch bewußte Tendenz vielfach verschoben<lb/> hat. Wer dies bezweifelt, prüfe einige authentische Bismarckartikel der Ham¬<lb/> burger Nachrichten von 1890 bis 1898, wie sie jetzt von Hofmann gesammelt<lb/> sind', wissenschaftlich nach; er wird dann bei psychologischer Analyse, die auch<lb/> aus einer verklausulierten Form den wahren Sachverhalt zu erkennen versteht,<lb/> bald einsehen, daß der Redner Bismarck in den Zeiten seiner Amtsführung selbst<lb/> in seinen vorsichtigsten Äußerungen oft mehr verrät, als der politische Weise von<lb/> Friedrichsruh. Dieser stellte im Kampfe mit dem neuen Regime seine Politik<lb/> als ein Schema hin, das er nicht verlassen sehen wollte, wenn er nicht<lb/> die augenblicklichen Vorteile einer entgegengesetzten Kursführung erkennen konnte.<lb/> In der Zeit seiner langen Neichskanzlerschast trieb er dagegen eine wahrhaft<lb/> historische, die Dinge entwickelnde und im rechten Moment meisternde Zukunfts¬<lb/> politik, die der passiven Kritik feiner alten Tage vielfach widerspricht.</p><lb/> <p xml:id="ID_961" next="#ID_962"> Psychologisch betrachtet erscheint es daher noch lange nicht beweisend, wenn<lb/> Bismarck nach seinem Sturz vor einem Verfassungsbruch gewarnt hat, was die<lb/> bismarckorthodoxe Presse immer wieder als Hauptgrund gegen die Delbrücksche<lb/> These ins Feld führt. Denn tatsächlich widersprach er damit keineswegs früher<lb/> gehegten Plänen, sondern bekämpfte sie nur in der Erkenntnis der Gefahren,<lb/> die ihre Durchführung für eine noch traditionslose Regierung wie die jung-<lb/> wilhelmische mit sich bringen mußte. Ebenso ist es kein Beweis, daß Bismarck<lb/> auch im Reichstag den Gedanken eines Staatsstreiches von der Hand gewiesen<lb/> hat. Denn er hat nicht viel später ebendort den Parteien geraten, auf dem<lb/> falschen Schienenstrang noch rechtzeitig zu bremsen, damit ein Zusammenstoß<lb/> vermieden iverden könne. Hierzu sei außerdem bemerkt, daß Bismarck in seiner<lb/> Reichstagsrede vom 17. September 1878 aus begreiflichen politischen Gründen<lb/> jeden Plan einer Oktroyierung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahl¬<lb/> rechts für Preußen geleugnet hat. obwohl es nach den Forschungen Onckens<lb/> heute erwiesen ist, daß er in seinen Unterredungen mit Lassalle im Januar<lb/> 1864 gerade diesen Plan zuvor erwogen hat und erst wegen der deutsch-öster¬<lb/> reichischen Konflikte von 1364 bis 1866 als Werbemittel für die deutsche<lb/> Einigung auf die Reform des Deutschen Bundes übertragen hat. Im einund¬<lb/> zwanzigsten Kapitel der „Gedanken und Erinnerungen" hat Bismarck dagegen<lb/> für feinere Ohren deutlich genug ausgesprochen, daß er die Frage des allgemeinen<lb/> Wahlrechts wie alle politischen Fragen mit der Verfassung von 1866 nicht für</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0213]
Bismarcks Staatsstreichplan
die eigentlichen Quellen seiner Geschichte, die Reden und Äußerungen des mitten
im lebendigen Handeln stehenden Kanzlers. Wer seine Bismarckkenntnis auf
die „Gedanken und Erinnerungen" und auf die schriftlichen und mündlichen
Äußerungen des verabschiedeten Kanzlers stützt, der erwirbt gewiß einen Schatz
politischer und historischer Bildung, den er in der politischen Weltliteratur kaum
wiederfinden dürfte. Aber erst die Quellen, die immer nur die den Ereignissen
zeitlich nahestehenden Äußerungen sein können, ermöglichen die Prüfung seiner
späteren Darstellung, die sich teils durch das Gedächtnis, teils durch die Kon¬
sequenz des Gedankens, teils auch durch bewußte Tendenz vielfach verschoben
hat. Wer dies bezweifelt, prüfe einige authentische Bismarckartikel der Ham¬
burger Nachrichten von 1890 bis 1898, wie sie jetzt von Hofmann gesammelt
sind', wissenschaftlich nach; er wird dann bei psychologischer Analyse, die auch
aus einer verklausulierten Form den wahren Sachverhalt zu erkennen versteht,
bald einsehen, daß der Redner Bismarck in den Zeiten seiner Amtsführung selbst
in seinen vorsichtigsten Äußerungen oft mehr verrät, als der politische Weise von
Friedrichsruh. Dieser stellte im Kampfe mit dem neuen Regime seine Politik
als ein Schema hin, das er nicht verlassen sehen wollte, wenn er nicht
die augenblicklichen Vorteile einer entgegengesetzten Kursführung erkennen konnte.
In der Zeit seiner langen Neichskanzlerschast trieb er dagegen eine wahrhaft
historische, die Dinge entwickelnde und im rechten Moment meisternde Zukunfts¬
politik, die der passiven Kritik feiner alten Tage vielfach widerspricht.
Psychologisch betrachtet erscheint es daher noch lange nicht beweisend, wenn
Bismarck nach seinem Sturz vor einem Verfassungsbruch gewarnt hat, was die
bismarckorthodoxe Presse immer wieder als Hauptgrund gegen die Delbrücksche
These ins Feld führt. Denn tatsächlich widersprach er damit keineswegs früher
gehegten Plänen, sondern bekämpfte sie nur in der Erkenntnis der Gefahren,
die ihre Durchführung für eine noch traditionslose Regierung wie die jung-
wilhelmische mit sich bringen mußte. Ebenso ist es kein Beweis, daß Bismarck
auch im Reichstag den Gedanken eines Staatsstreiches von der Hand gewiesen
hat. Denn er hat nicht viel später ebendort den Parteien geraten, auf dem
falschen Schienenstrang noch rechtzeitig zu bremsen, damit ein Zusammenstoß
vermieden iverden könne. Hierzu sei außerdem bemerkt, daß Bismarck in seiner
Reichstagsrede vom 17. September 1878 aus begreiflichen politischen Gründen
jeden Plan einer Oktroyierung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahl¬
rechts für Preußen geleugnet hat. obwohl es nach den Forschungen Onckens
heute erwiesen ist, daß er in seinen Unterredungen mit Lassalle im Januar
1864 gerade diesen Plan zuvor erwogen hat und erst wegen der deutsch-öster¬
reichischen Konflikte von 1364 bis 1866 als Werbemittel für die deutsche
Einigung auf die Reform des Deutschen Bundes übertragen hat. Im einund¬
zwanzigsten Kapitel der „Gedanken und Erinnerungen" hat Bismarck dagegen
für feinere Ohren deutlich genug ausgesprochen, daß er die Frage des allgemeinen
Wahlrechts wie alle politischen Fragen mit der Verfassung von 1866 nicht für
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |