Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.Bismarcks Staatsstreichplan bedeutendsten Historiker -- nahmen sie unumwunden an, weil sie ihnen als der So ungewöhnlich also die Delbrücksche Veröffentlichung, deren Einzelheiten Es wäre daher unverständlich, warum sich die öffentliche Meinung mit Bismarcks Staatsstreichplan bedeutendsten Historiker — nahmen sie unumwunden an, weil sie ihnen als der So ungewöhnlich also die Delbrücksche Veröffentlichung, deren Einzelheiten Es wäre daher unverständlich, warum sich die öffentliche Meinung mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327678"/> <fw type="header" place="top"> Bismarcks Staatsstreichplan</fw><lb/> <p xml:id="ID_957" prev="#ID_956"> bedeutendsten Historiker — nahmen sie unumwunden an, weil sie ihnen als der<lb/> zusammenfassende Ausdruck einer zwischen zahlreichen Zeilen Bismarckscher<lb/> Äußerungen liegenden historischen Konsequenz erschien. Sie dürften daher die<lb/> Ansicht eines offenbar wohl informierten Korrespondenten der Weserzeitung<lb/> teilen, daß sich die Richtigkeit dieser These „durch eine Fülle jeden Zweifel<lb/> ausschließenden Materials" in der Zukunft erweisen wird. Fürs erste bleibt es<lb/> freilich die Aufgabe der Forschung, die Delbrücksche Entdeckung durch weitere Zitate<lb/> zu fundieren und in ihren Wurzeln aufzusuchen, was ein dankbares Thema für<lb/> eine Doktordissertation sein dürfte. Für „Bismarcks parlamentarische Kämpfe<lb/> um die Kolonien" ist diese Arbeit in einer Miszelle des Juliheftes der<lb/> Preußischen Jahrbücher von 1913 bereits vorbereitet worden, wobei sich er¬<lb/> geben hat, daß Staatsstreichgedanken bis in den Anfang der achtziger Jahre<lb/> zurückgehen. Weitere Belegstellen finden sich allein bei der Lektüre der<lb/> Bismarckschen Kampfreden gegen die Parteien in großer Anzahl für alle Gebiete<lb/> seiner Politik.</p><lb/> <p xml:id="ID_958"> So ungewöhnlich also die Delbrücksche Veröffentlichung, deren Einzelheiten<lb/> man natürlich an Ort und Stelle nachlesen muß, für den Laien erscheinen mag,<lb/> so wenig verblüfft sie bei nachprüfender Lektüre der Bismarckschen Reden in den<lb/> letzten Jahren seiner Amtszeit. Hat man sie erst einmal zu Ende gedacht,<lb/> so drängt sich bei der historischen Nachforschung sofort der Wunsch auf, sie auch<lb/> in ihre Anfänge zu verfolgen. Alsdann findet man nicht nur, daß schon damals<lb/> einige Parlamentarier Bismarcksche Staatsstreichpläne witterten. Man entdeckt<lb/> vielmehr bald, wie frühzeitig Bismarck, der immer an die Zukunft dachte, wenn<lb/> er auch im Reichstag die politischen Angelegenheiten von Fall zu Fall behandeln<lb/> mußte, die Folgen des von ihm 1866 eingeführten allgemeinen, gleichen und<lb/> direkten Reichstagswahlrechts erwog. Zahlreich sind seine Klagen über den<lb/> damit begangenen Fehler, der freilich weniger auf Kosten einer Überschätzung<lb/> der Parteien, als auf Rechnung der Tatsache zu setzen ist, daß er auch diese<lb/> Frage der inneren Politik unter dem Gesichtswinkel und zum Vorteil der äußeren<lb/> gelöst hatte. Sie sind Legion, wenn man alle die Beschwerden über die Un¬<lb/> dankbarkeit der Volksvertretung, die er in ihrer Zusammensetzung niemals als<lb/> solche ansah, alle die Selbstvorwürfe über seine falsche Einschätzung der nationalen<lb/> Gesinnung des Reichstags zusammennimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_959" next="#ID_960"> Es wäre daher unverständlich, warum sich die öffentliche Meinung mit<lb/> Hartnäckigkeit gegen eine Theorie sträubt, die sich bei Betrachtung der parla¬<lb/> mentarischen Kämpfe des am Ende mit allen Parteien zerfallenen Kanzlers<lb/> geradezu konsequent aufdrängt, wenn man den eminent historisch sich ent¬<lb/> wickelnden Bismarck eben historisch und nicht politisch, als einen zum Programm<lb/> verdichteten Nationalheros nehmen würde, wie es nun einmal heute geschieht.<lb/> Nur daher kommt es, daß man lieber die Zeugnisse des gestürzten, geschichtlich<lb/> gewissermaßen abgeschlossenen und selbst als Geschichtschreiber und Publizist auf¬<lb/> tretenden Privatmannes Bismarck über Fragen seiner Amtszeit nachliest, als</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
Bismarcks Staatsstreichplan
bedeutendsten Historiker — nahmen sie unumwunden an, weil sie ihnen als der
zusammenfassende Ausdruck einer zwischen zahlreichen Zeilen Bismarckscher
Äußerungen liegenden historischen Konsequenz erschien. Sie dürften daher die
Ansicht eines offenbar wohl informierten Korrespondenten der Weserzeitung
teilen, daß sich die Richtigkeit dieser These „durch eine Fülle jeden Zweifel
ausschließenden Materials" in der Zukunft erweisen wird. Fürs erste bleibt es
freilich die Aufgabe der Forschung, die Delbrücksche Entdeckung durch weitere Zitate
zu fundieren und in ihren Wurzeln aufzusuchen, was ein dankbares Thema für
eine Doktordissertation sein dürfte. Für „Bismarcks parlamentarische Kämpfe
um die Kolonien" ist diese Arbeit in einer Miszelle des Juliheftes der
Preußischen Jahrbücher von 1913 bereits vorbereitet worden, wobei sich er¬
geben hat, daß Staatsstreichgedanken bis in den Anfang der achtziger Jahre
zurückgehen. Weitere Belegstellen finden sich allein bei der Lektüre der
Bismarckschen Kampfreden gegen die Parteien in großer Anzahl für alle Gebiete
seiner Politik.
So ungewöhnlich also die Delbrücksche Veröffentlichung, deren Einzelheiten
man natürlich an Ort und Stelle nachlesen muß, für den Laien erscheinen mag,
so wenig verblüfft sie bei nachprüfender Lektüre der Bismarckschen Reden in den
letzten Jahren seiner Amtszeit. Hat man sie erst einmal zu Ende gedacht,
so drängt sich bei der historischen Nachforschung sofort der Wunsch auf, sie auch
in ihre Anfänge zu verfolgen. Alsdann findet man nicht nur, daß schon damals
einige Parlamentarier Bismarcksche Staatsstreichpläne witterten. Man entdeckt
vielmehr bald, wie frühzeitig Bismarck, der immer an die Zukunft dachte, wenn
er auch im Reichstag die politischen Angelegenheiten von Fall zu Fall behandeln
mußte, die Folgen des von ihm 1866 eingeführten allgemeinen, gleichen und
direkten Reichstagswahlrechts erwog. Zahlreich sind seine Klagen über den
damit begangenen Fehler, der freilich weniger auf Kosten einer Überschätzung
der Parteien, als auf Rechnung der Tatsache zu setzen ist, daß er auch diese
Frage der inneren Politik unter dem Gesichtswinkel und zum Vorteil der äußeren
gelöst hatte. Sie sind Legion, wenn man alle die Beschwerden über die Un¬
dankbarkeit der Volksvertretung, die er in ihrer Zusammensetzung niemals als
solche ansah, alle die Selbstvorwürfe über seine falsche Einschätzung der nationalen
Gesinnung des Reichstags zusammennimmt.
Es wäre daher unverständlich, warum sich die öffentliche Meinung mit
Hartnäckigkeit gegen eine Theorie sträubt, die sich bei Betrachtung der parla¬
mentarischen Kämpfe des am Ende mit allen Parteien zerfallenen Kanzlers
geradezu konsequent aufdrängt, wenn man den eminent historisch sich ent¬
wickelnden Bismarck eben historisch und nicht politisch, als einen zum Programm
verdichteten Nationalheros nehmen würde, wie es nun einmal heute geschieht.
Nur daher kommt es, daß man lieber die Zeugnisse des gestürzten, geschichtlich
gewissermaßen abgeschlossenen und selbst als Geschichtschreiber und Publizist auf¬
tretenden Privatmannes Bismarck über Fragen seiner Amtszeit nachliest, als
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