Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.U?ilhelm Heinrich Wackenroder sie aber vom Wesen" (Die Welt als Wille und Vorstellung). Alles ist Gefühl, Lieber, traumhafter, inniger Wackenroder! Wie ein Gast aus fremdem, U?ilhelm Heinrich Wackenroder sie aber vom Wesen" (Die Welt als Wille und Vorstellung). Alles ist Gefühl, Lieber, traumhafter, inniger Wackenroder! Wie ein Gast aus fremdem, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327664"/> <fw type="header" place="top"> U?ilhelm Heinrich Wackenroder</fw><lb/> <p xml:id="ID_897" prev="#ID_896"> sie aber vom Wesen" (Die Welt als Wille und Vorstellung). Alles ist Gefühl,<lb/> Blick nach innen, Heiligung. Und so klagt Joseph Berglinger, daß er „statt<lb/> frei zu fliegen, erst lernen mußte, in dem unbehilflichen Gerüst und Käfig der<lb/> Kunstgrammatik herumzuklettern". Er leidet am Publikum, am Unverstande<lb/> der Masse. „Er geriet auf die Idee, ein Künstler müsse nur für sich allein,<lb/> zu seiner eigenen Herzenserhebung, und für einen oder ein paar Menschen, die<lb/> ihn verstehen, Künstler sein." Er zieht sich „still in das Land der Musik, als<lb/> in das Land des Glaubens, zurück". Man versteht, wie Wackenroder voll<lb/> Grimm und Spott dem Freunde zuruft: „Die unsinnige Operettenwut der Ber¬<lb/> liner scheint mit der Zeit immer mehr Nahrung zu bekommen und noch nicht<lb/> den höchsten Grad erreicht zu haben. Ist dieser da, so muß notwendig eine<lb/> Revolution erfolgen, sonst werden wir so barbarisch in der Kunst als — die Lapp¬<lb/> länder." — Er will nie erklären und auseinanderlegen: „Wer das, was sich<lb/> nur von innen heraus fühlen läßt, mit der Wünschelrute des untersuchenden<lb/> Verstandes entdecken will, der wird ewig nur Gedanken über das Gefühl, und<lb/> nicht das Gefühl selber, entdecken." Und in dem „wunderbaren morgenländischen<lb/> Märchen von einem nackten Heiligen" preist Wackenroder in frommen Tönen<lb/> die Erlösung durch die Musik; schlicht und rein wie eine alte Legende, wie ein<lb/> Bild des zarten Fra Angelico in Weiß und Gold. —</p><lb/> <p xml:id="ID_898"> Lieber, traumhafter, inniger Wackenroder! Wie ein Gast aus fremdem,<lb/> verklärtem Lande, darin Blätter und Bäche seltsame, erdenferne Melodien<lb/> rauschen, bist du in unsere rauheren Gefilde getreten. Gütig, mit groß er¬<lb/> staunten, scheu lächelnden Augen hast du uns Kunde gebracht aus deiner Heimat,<lb/> die nicht von dieser Welt war. Und als du zurückgegangen, blieb deiner Liebe<lb/> sanftes Leuchten. Und wollen wir es doch unternehmen, mit der „Wünschel¬<lb/> rute des untersuchenden Verstandes" dein Wesen auszusagen, so sei es mit<lb/> deinen Worten über den armen, merkwürdigen Joseph Berglinger: „Ach! daß<lb/> es eben seine hohe Phantasie sein mußte, die ihn aufrieb. — Sollich sagen,<lb/> daß er vielleicht mehr dazu geschaffen war, Kunst zu genießen als auszu¬<lb/> üben?... Seine Seele glich einem zarten Bäumchen, dessen Samenkorn ein<lb/> Vogel in das Gemäuer der Ruinen fallen ließ, wo es zwischen harten Steinen<lb/> jungfräulich hervorschießt."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0198]
U?ilhelm Heinrich Wackenroder
sie aber vom Wesen" (Die Welt als Wille und Vorstellung). Alles ist Gefühl,
Blick nach innen, Heiligung. Und so klagt Joseph Berglinger, daß er „statt
frei zu fliegen, erst lernen mußte, in dem unbehilflichen Gerüst und Käfig der
Kunstgrammatik herumzuklettern". Er leidet am Publikum, am Unverstande
der Masse. „Er geriet auf die Idee, ein Künstler müsse nur für sich allein,
zu seiner eigenen Herzenserhebung, und für einen oder ein paar Menschen, die
ihn verstehen, Künstler sein." Er zieht sich „still in das Land der Musik, als
in das Land des Glaubens, zurück". Man versteht, wie Wackenroder voll
Grimm und Spott dem Freunde zuruft: „Die unsinnige Operettenwut der Ber¬
liner scheint mit der Zeit immer mehr Nahrung zu bekommen und noch nicht
den höchsten Grad erreicht zu haben. Ist dieser da, so muß notwendig eine
Revolution erfolgen, sonst werden wir so barbarisch in der Kunst als — die Lapp¬
länder." — Er will nie erklären und auseinanderlegen: „Wer das, was sich
nur von innen heraus fühlen läßt, mit der Wünschelrute des untersuchenden
Verstandes entdecken will, der wird ewig nur Gedanken über das Gefühl, und
nicht das Gefühl selber, entdecken." Und in dem „wunderbaren morgenländischen
Märchen von einem nackten Heiligen" preist Wackenroder in frommen Tönen
die Erlösung durch die Musik; schlicht und rein wie eine alte Legende, wie ein
Bild des zarten Fra Angelico in Weiß und Gold. —
Lieber, traumhafter, inniger Wackenroder! Wie ein Gast aus fremdem,
verklärtem Lande, darin Blätter und Bäche seltsame, erdenferne Melodien
rauschen, bist du in unsere rauheren Gefilde getreten. Gütig, mit groß er¬
staunten, scheu lächelnden Augen hast du uns Kunde gebracht aus deiner Heimat,
die nicht von dieser Welt war. Und als du zurückgegangen, blieb deiner Liebe
sanftes Leuchten. Und wollen wir es doch unternehmen, mit der „Wünschel¬
rute des untersuchenden Verstandes" dein Wesen auszusagen, so sei es mit
deinen Worten über den armen, merkwürdigen Joseph Berglinger: „Ach! daß
es eben seine hohe Phantasie sein mußte, die ihn aufrieb. — Sollich sagen,
daß er vielleicht mehr dazu geschaffen war, Kunst zu genießen als auszu¬
üben?... Seine Seele glich einem zarten Bäumchen, dessen Samenkorn ein
Vogel in das Gemäuer der Ruinen fallen ließ, wo es zwischen harten Steinen
jungfräulich hervorschießt."
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |