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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Wilhelm Heinrich Wackenroder

Daß Wackenroder Nürnberg und die Kunst des Mittelalters für uns ent¬
deckt hat, ist oft betont worden. Dürer nahte er mit anbetender Verehrung;
er schilt auf jene, denen nur das Griechentum Geltung besaß: "Warum ver¬
dammt ihr den Indianer nicht, daß er indianisch und nicht unsere Sprache
redet? Und doch wollt ihr das Mittelalter verdammen, daß es nicht solche
Tempel baute wie Griechenland?" -- "Nicht bloß unter italienischem Himmel,
unter majestätischen Kuppeln und korinthischen Säulen, -- auch unter Spitzgewölben,
kraus-verzierten Gebäuden und gotischen Türmen wächst wahre Kunst hervor.

Friede sei mit deinen Gebeinen, mein Albrecht Dürer! Und möchtest du
wissen, wie ich dich lieb habe, und hören, wie ich unter der heutigen dir fremden
Welt der Herold deines Namens bini Gesegnet sei mir deine goldene Zeit,
Nürnberg! Die einzige Zeit, da Deutschland eine eigene vaterländische Kunst
zu haben sich rühmen konnte." Wir wissen heute, daß dieses lockende Mittel¬
alter niemals der Wirklichkeit glich, daß es eben "Romantik" blieb wie die
Bilder Schwinds oder Richters. Und dennoch umwirbt es uns immer wieder wie
schimmerndes Mondlicht; und klare, schöne Träume kommen ja nur von solchen,
die reines Herzens sind. Ihnen ist die Kunst noch eine Feier und Andacht.
"Die Kunst ist über dem Menschen", und "Kunstwerke passen in ihrer Art so
wenig, als der.Gedanke an Gott in den gemeinen Fortfluß des Lebens".

Einmal schreibt Wackenroder dem Freunde Tieck, daß er sich jetzt mit den
"schönen Wissenschaften unter den Deutschen" beschäftige: "Da hab ich denn
manche sehr interessante Bekanntschaft mit altdeutschen Dichtern gemacht und
gesehen, daß dies Studium, mit einigem Geist betrieben, sehr viel Anziehendes
hat." Und als Tieck, der später die Sammlung der Minnelieder besorgen
sollte, starke Zweifel äußert, wird ihm die Antwort: "Du kennst übrigens sehr
wenig von den altdeutschen Litteraten, wenn dn bloß die Minnesinger kennst.
Überhaupt ist sie zu wenig bekannt. Sie enthält sehr viel Gutes, Interessantes
und Charakteristisches, und ist sür die Geschichte der Nation und des Geistes
sehr wichtig."

So erscheint uns Wackenroder wie ein stiller Wanderer; an fremde Felsen
klopft er prüfend an, und es fließt Helles, erquickendes Wasser und rinnt durchs
beglänzte Tal und wird ein Fluß. . . .

Es muß noch ein Wort gesagt werden über die Schriften, die über die
Musik handeln. Vielleicht ist niemals über das unfaßliche Wesen dieser los¬
gelösten, vieldeutigen Kunst so Klares, Ahnungsreiches ausgesprochen worden.
"In demi Spiegel der Töne lernt das menschliche Herz sich selber kennen; sie
sind es, wodurch wir das Gefühl fühlen lernen; sie geben vielen in verborgenen
Winkeln des Gemüts träumenden Geistern lebendes Bewußtsein und bereichern
mit ganz neuen zauberischen Geistern des Gefühls unser Inneres." Der Kundige
erkennt, wie Wackenroder hier Schopenhauers wundervolle Deutung schon vor¬
hersagte: "Deshalb eben ist die Wirkung der Musik so sehr viel mächtiger und
eindringlicher, als die der anderen Künste: denn diese reden nur vom Schatten,


Wilhelm Heinrich Wackenroder

Daß Wackenroder Nürnberg und die Kunst des Mittelalters für uns ent¬
deckt hat, ist oft betont worden. Dürer nahte er mit anbetender Verehrung;
er schilt auf jene, denen nur das Griechentum Geltung besaß: „Warum ver¬
dammt ihr den Indianer nicht, daß er indianisch und nicht unsere Sprache
redet? Und doch wollt ihr das Mittelalter verdammen, daß es nicht solche
Tempel baute wie Griechenland?" — „Nicht bloß unter italienischem Himmel,
unter majestätischen Kuppeln und korinthischen Säulen, — auch unter Spitzgewölben,
kraus-verzierten Gebäuden und gotischen Türmen wächst wahre Kunst hervor.

Friede sei mit deinen Gebeinen, mein Albrecht Dürer! Und möchtest du
wissen, wie ich dich lieb habe, und hören, wie ich unter der heutigen dir fremden
Welt der Herold deines Namens bini Gesegnet sei mir deine goldene Zeit,
Nürnberg! Die einzige Zeit, da Deutschland eine eigene vaterländische Kunst
zu haben sich rühmen konnte." Wir wissen heute, daß dieses lockende Mittel¬
alter niemals der Wirklichkeit glich, daß es eben „Romantik" blieb wie die
Bilder Schwinds oder Richters. Und dennoch umwirbt es uns immer wieder wie
schimmerndes Mondlicht; und klare, schöne Träume kommen ja nur von solchen,
die reines Herzens sind. Ihnen ist die Kunst noch eine Feier und Andacht.
„Die Kunst ist über dem Menschen", und „Kunstwerke passen in ihrer Art so
wenig, als der.Gedanke an Gott in den gemeinen Fortfluß des Lebens".

Einmal schreibt Wackenroder dem Freunde Tieck, daß er sich jetzt mit den
„schönen Wissenschaften unter den Deutschen" beschäftige: „Da hab ich denn
manche sehr interessante Bekanntschaft mit altdeutschen Dichtern gemacht und
gesehen, daß dies Studium, mit einigem Geist betrieben, sehr viel Anziehendes
hat." Und als Tieck, der später die Sammlung der Minnelieder besorgen
sollte, starke Zweifel äußert, wird ihm die Antwort: „Du kennst übrigens sehr
wenig von den altdeutschen Litteraten, wenn dn bloß die Minnesinger kennst.
Überhaupt ist sie zu wenig bekannt. Sie enthält sehr viel Gutes, Interessantes
und Charakteristisches, und ist sür die Geschichte der Nation und des Geistes
sehr wichtig."

So erscheint uns Wackenroder wie ein stiller Wanderer; an fremde Felsen
klopft er prüfend an, und es fließt Helles, erquickendes Wasser und rinnt durchs
beglänzte Tal und wird ein Fluß. . . .

Es muß noch ein Wort gesagt werden über die Schriften, die über die
Musik handeln. Vielleicht ist niemals über das unfaßliche Wesen dieser los¬
gelösten, vieldeutigen Kunst so Klares, Ahnungsreiches ausgesprochen worden.
„In demi Spiegel der Töne lernt das menschliche Herz sich selber kennen; sie
sind es, wodurch wir das Gefühl fühlen lernen; sie geben vielen in verborgenen
Winkeln des Gemüts träumenden Geistern lebendes Bewußtsein und bereichern
mit ganz neuen zauberischen Geistern des Gefühls unser Inneres." Der Kundige
erkennt, wie Wackenroder hier Schopenhauers wundervolle Deutung schon vor¬
hersagte: „Deshalb eben ist die Wirkung der Musik so sehr viel mächtiger und
eindringlicher, als die der anderen Künste: denn diese reden nur vom Schatten,


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[0197] Wilhelm Heinrich Wackenroder Daß Wackenroder Nürnberg und die Kunst des Mittelalters für uns ent¬ deckt hat, ist oft betont worden. Dürer nahte er mit anbetender Verehrung; er schilt auf jene, denen nur das Griechentum Geltung besaß: „Warum ver¬ dammt ihr den Indianer nicht, daß er indianisch und nicht unsere Sprache redet? Und doch wollt ihr das Mittelalter verdammen, daß es nicht solche Tempel baute wie Griechenland?" — „Nicht bloß unter italienischem Himmel, unter majestätischen Kuppeln und korinthischen Säulen, — auch unter Spitzgewölben, kraus-verzierten Gebäuden und gotischen Türmen wächst wahre Kunst hervor. Friede sei mit deinen Gebeinen, mein Albrecht Dürer! Und möchtest du wissen, wie ich dich lieb habe, und hören, wie ich unter der heutigen dir fremden Welt der Herold deines Namens bini Gesegnet sei mir deine goldene Zeit, Nürnberg! Die einzige Zeit, da Deutschland eine eigene vaterländische Kunst zu haben sich rühmen konnte." Wir wissen heute, daß dieses lockende Mittel¬ alter niemals der Wirklichkeit glich, daß es eben „Romantik" blieb wie die Bilder Schwinds oder Richters. Und dennoch umwirbt es uns immer wieder wie schimmerndes Mondlicht; und klare, schöne Träume kommen ja nur von solchen, die reines Herzens sind. Ihnen ist die Kunst noch eine Feier und Andacht. „Die Kunst ist über dem Menschen", und „Kunstwerke passen in ihrer Art so wenig, als der.Gedanke an Gott in den gemeinen Fortfluß des Lebens". Einmal schreibt Wackenroder dem Freunde Tieck, daß er sich jetzt mit den „schönen Wissenschaften unter den Deutschen" beschäftige: „Da hab ich denn manche sehr interessante Bekanntschaft mit altdeutschen Dichtern gemacht und gesehen, daß dies Studium, mit einigem Geist betrieben, sehr viel Anziehendes hat." Und als Tieck, der später die Sammlung der Minnelieder besorgen sollte, starke Zweifel äußert, wird ihm die Antwort: „Du kennst übrigens sehr wenig von den altdeutschen Litteraten, wenn dn bloß die Minnesinger kennst. Überhaupt ist sie zu wenig bekannt. Sie enthält sehr viel Gutes, Interessantes und Charakteristisches, und ist sür die Geschichte der Nation und des Geistes sehr wichtig." So erscheint uns Wackenroder wie ein stiller Wanderer; an fremde Felsen klopft er prüfend an, und es fließt Helles, erquickendes Wasser und rinnt durchs beglänzte Tal und wird ein Fluß. . . . Es muß noch ein Wort gesagt werden über die Schriften, die über die Musik handeln. Vielleicht ist niemals über das unfaßliche Wesen dieser los¬ gelösten, vieldeutigen Kunst so Klares, Ahnungsreiches ausgesprochen worden. „In demi Spiegel der Töne lernt das menschliche Herz sich selber kennen; sie sind es, wodurch wir das Gefühl fühlen lernen; sie geben vielen in verborgenen Winkeln des Gemüts träumenden Geistern lebendes Bewußtsein und bereichern mit ganz neuen zauberischen Geistern des Gefühls unser Inneres." Der Kundige erkennt, wie Wackenroder hier Schopenhauers wundervolle Deutung schon vor¬ hersagte: „Deshalb eben ist die Wirkung der Musik so sehr viel mächtiger und eindringlicher, als die der anderen Künste: denn diese reden nur vom Schatten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/197>, abgerufen am 01.01.2025.