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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Wilhelm Heinrich Wackenroder

verlieh; aber es fehlte ihm die Kraft zur Schöpfung, die Fülle zur Gestaltung.
So blieb er stets ein Dilettant und litt an dem Zwiespalt des Wollens und
Könnens, bis er frühe, mit fünfundzwanzig Jahren, an einem Nervenfieber aus
dem bedrängenden Leben scheiden mußte (am 13. Februar 1798). Und eben,
weil der Tod ihn sobald in seine Arme nahm, ward es ihm vergönnt, in
wenigen Schriften") ein vollkommenes Zeugnis seines Strebens und Verlangens
zu hinterlassen. Die "Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders"
und die "Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst" wurden von Tieck
herausgegeben, mit dem Wackenroder eine zärtliche, glückestrunkene Zeit der
Freundschaft durchschwärmte. Es sind uns verschiedene Briefe erhalten, welche
in ihrem Überschwange der Empfindung heutige Menschen oft beinahe peinlich
anmuten. "O Tieck, so liebst du mich denn mehr, als ich je kühn genug war
und sein konnte, zu erwarten? ... Ich erschrecke aufs heftigste, wenn du mir
in die Augen sagst: ich sei dir zum Leben notwendig! Noch einmal! Was stiehlst
du mir meine Gefühle, -- und warum verwechselst du die Rollen in dem
schönen Duodram, das wir zusammen spielen, und nimmst die meine? Tieck,
ich müßte mich ja in den Staub legen und trauern, wenn ich wüßte, daß meine
Entfernung dir so viel trübe Stunden brächte. . . Und wenn ich je deiner
Freundschaft weniger wert sein sollte, o so erinnere dich, daß du mich geliebt
hast, und sei so mitleidig, mich wieder zu dir hinauszuziehen, verachte mich
nicht!"

Vielleicht ahnte er sein frühes Sterben und suchte bei dem Freunde Auf¬
richtung und Kraft? Er sank als Blüte, vom Sturme weggenommen, den er
nicht bestand. Aber der rührende Duft ist zurückgeblieben; wer sparsam und
aufhorchend liest, fühlt in den wenigen Blättern, die Wackenroder uns überließ,
wieviel Gläubigkeit und Staunen, wieviel heimliche Freude und Sehnsucht durin
beschlossen liegen. Er selbst fühlte, "daß der Geschmack größtenteils seinen Grund
im feineren (schwächeren, empfindlicheren) Bau und Organisation des Körpers
habe." Und man darf wohl glauben, daß eben seine Zartheit ihn befähigte,
so spürsam und ahnend vor die Dinge zu treten. Er ahnte ihre Seele; er
wußte, daß sie dem Schauenden, Fragenden nicht leer und fremd bleiben. Und
so gibt er sich an sie hin, verliert sich in ihnen. Die Musik rührt sein Innerstes
mit süßesten Zwange. "Weil ich da gewöhnlich sehr aufmerksam bin, so ist es
mir besonders auffallend, wie müde die Musik mich immer macht: ich fühle es
sehr, wie die Töne, wenn man sie mit ganzer Seele aufnimmt, die Nerven
ausdehnen, spannen und erschlaffen." Wenn nur die Geistestätigkeit durch die
Musik in ihm erregt ist und seine Gedanken "gleichsam auf den Wellen des
Gesanges" entführt werden, dann vermag er am besten als Ästhetiker nach¬
zudenken. Aber nur die andere Art des Genusses gilt ihm als die wahre:
"sie besteht in der aufmerksamsten Beobachtung der Töne und ihrer Fort-



") Die beste vollständige Ausgabe verlegt- Eugen Diederichs in Jena.
Wilhelm Heinrich Wackenroder

verlieh; aber es fehlte ihm die Kraft zur Schöpfung, die Fülle zur Gestaltung.
So blieb er stets ein Dilettant und litt an dem Zwiespalt des Wollens und
Könnens, bis er frühe, mit fünfundzwanzig Jahren, an einem Nervenfieber aus
dem bedrängenden Leben scheiden mußte (am 13. Februar 1798). Und eben,
weil der Tod ihn sobald in seine Arme nahm, ward es ihm vergönnt, in
wenigen Schriften") ein vollkommenes Zeugnis seines Strebens und Verlangens
zu hinterlassen. Die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders"
und die „Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst" wurden von Tieck
herausgegeben, mit dem Wackenroder eine zärtliche, glückestrunkene Zeit der
Freundschaft durchschwärmte. Es sind uns verschiedene Briefe erhalten, welche
in ihrem Überschwange der Empfindung heutige Menschen oft beinahe peinlich
anmuten. „O Tieck, so liebst du mich denn mehr, als ich je kühn genug war
und sein konnte, zu erwarten? ... Ich erschrecke aufs heftigste, wenn du mir
in die Augen sagst: ich sei dir zum Leben notwendig! Noch einmal! Was stiehlst
du mir meine Gefühle, — und warum verwechselst du die Rollen in dem
schönen Duodram, das wir zusammen spielen, und nimmst die meine? Tieck,
ich müßte mich ja in den Staub legen und trauern, wenn ich wüßte, daß meine
Entfernung dir so viel trübe Stunden brächte. . . Und wenn ich je deiner
Freundschaft weniger wert sein sollte, o so erinnere dich, daß du mich geliebt
hast, und sei so mitleidig, mich wieder zu dir hinauszuziehen, verachte mich
nicht!"

Vielleicht ahnte er sein frühes Sterben und suchte bei dem Freunde Auf¬
richtung und Kraft? Er sank als Blüte, vom Sturme weggenommen, den er
nicht bestand. Aber der rührende Duft ist zurückgeblieben; wer sparsam und
aufhorchend liest, fühlt in den wenigen Blättern, die Wackenroder uns überließ,
wieviel Gläubigkeit und Staunen, wieviel heimliche Freude und Sehnsucht durin
beschlossen liegen. Er selbst fühlte, „daß der Geschmack größtenteils seinen Grund
im feineren (schwächeren, empfindlicheren) Bau und Organisation des Körpers
habe." Und man darf wohl glauben, daß eben seine Zartheit ihn befähigte,
so spürsam und ahnend vor die Dinge zu treten. Er ahnte ihre Seele; er
wußte, daß sie dem Schauenden, Fragenden nicht leer und fremd bleiben. Und
so gibt er sich an sie hin, verliert sich in ihnen. Die Musik rührt sein Innerstes
mit süßesten Zwange. „Weil ich da gewöhnlich sehr aufmerksam bin, so ist es
mir besonders auffallend, wie müde die Musik mich immer macht: ich fühle es
sehr, wie die Töne, wenn man sie mit ganzer Seele aufnimmt, die Nerven
ausdehnen, spannen und erschlaffen." Wenn nur die Geistestätigkeit durch die
Musik in ihm erregt ist und seine Gedanken „gleichsam auf den Wellen des
Gesanges" entführt werden, dann vermag er am besten als Ästhetiker nach¬
zudenken. Aber nur die andere Art des Genusses gilt ihm als die wahre:
„sie besteht in der aufmerksamsten Beobachtung der Töne und ihrer Fort-



") Die beste vollständige Ausgabe verlegt- Eugen Diederichs in Jena.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/195>, abgerufen am 29.12.2024.