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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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vom Berliner Theatermarkt

Einakterabende gebracht hat, werden dann ganz von selbst über den bisherigen
guten Durchschnitt hinauswachsen. Das Kleine Theater Unter den Linden
zu verwalten, verpflichtet. Das Beste müßte hier gerade gut genug sein. Und
mit tüchtigen Stadttheatervorstellungen -- Direktor Alkman verfügt über Menschen¬
darsteller allerersten Ranges -- ist das Rennen im heutigen Berlin nicht mehr
zu machen.

Das oben erwähnte Komödienhaus ist von seinen neuen Direktoren offenbar
für die leichtere, aber einwandfreie Unterhaltung bestimmt. Man begann mit
einem hübschen Scherz von Raoul Auernheimer ("Das Paar nach der Mode")
und hat jetzt in dem jüdischen Milieudrama von Rathäuser "Hinter Mauern"
ein dankbares Repertoirestück gefunden. Ihre ernsthaften literarischen Ver¬
pflichtungen suchen die Direktoren Meinhard und Bernauer nach wie vor in
dem Theater in der Königgrätzerstraße auf achtbare Art einzulösen. Man
spürt zwar nie bis aufs Letzte ihren inneren Beruf zu großen Aufgaben der
dramatischen Kunst, aber da sie zwei so erlesene Prachtexemplare aus der
deutschen Schauspielerwelt, wie Paul Wegener und Irene Triesch im Engage¬
ment haben und ihnen zuliebe die Strindbergsche "Kronbraut" und Shakespeares
"Richard III." herausbringen, so soll auch ihnen ein redlicher Wille und die
Fähigkeit, ihren Willen mit tüchtigen Mitteln durchzusetzen, bescheinigt werden.

Soweit sich die Dinge bisher übersehen lassen, hat die bedrohlich an¬
geschwollene Konkurrenz dem großen Wundermann von Berlin, dem Professor
Max Reinhardt im Deutschen Theater nichts Ernsthaftes anhaben können. Im
Gegenteil: es scheint eher, als ob er eben dadurch zur äußersten Anspannung
seiner prachtvollen und noch unerschöpften Kräfte gespornt worden sei. Im
"Deutschen Theater" und in den "Kammerspielen" ist selten so fleißig und mit
so strahlendem Erfolge gearbeitet worden wie gerade diesmal. Wenn man den
Theaterspiegel der letzten vier Monate durchsteht, so findet man, daß allein auf
Max Reinhardts Konto folgende Premieren bzw. Neueinstudierungen kommen:
Vollmöller: "Die venezianische Nacht"; Goethe: "Tasso"; Wedekind: "Franziska";
Flers und Caillovet: "Die goldenen Palmen"; Wedekind: "Musik"; Schmidtbonn:
"Der verlorene Sohn"; Lessing: "Emilia Galotti"; Strindberg: "Wetterleuchten";
Shaw: "Androklus und der Löwe"; Becque: "Die Pariserin"; und im Rahmen
des noch nicht abgeschlossenen, in prunkvollen Gewändern einherrauschenden
Shakespeare-Zyklus: "Ein Sommernachtstraum", "Viel Lärm um Nichts",
"Hamlet", "Der Kaufmann von Venedig", "König Lear".

Natürlich steht bei dieser Massenproduktion längst nicht alles auf der gleichen
Werthöhe. Es hat auch böse nieder gegeben, wie die "Goldenen Palmen",
wie "Musik", wie der "Verlorene Sohn" und wie "Androklus und der Löwe".
Ganz besonders überrascht auch hier das sast jedesmalige Versagen, wenn es
wirkliches dichterisches Neuland zu erobern galt. Aber auf der anderen Seite
zeigt das Reinhardtsche Repertoire der letzten Monate eine so bunte und so
köstlich reiche Fülle, sei es im Darstellerischen, sei es in verblüffenden Wundern


vom Berliner Theatermarkt

Einakterabende gebracht hat, werden dann ganz von selbst über den bisherigen
guten Durchschnitt hinauswachsen. Das Kleine Theater Unter den Linden
zu verwalten, verpflichtet. Das Beste müßte hier gerade gut genug sein. Und
mit tüchtigen Stadttheatervorstellungen — Direktor Alkman verfügt über Menschen¬
darsteller allerersten Ranges — ist das Rennen im heutigen Berlin nicht mehr
zu machen.

Das oben erwähnte Komödienhaus ist von seinen neuen Direktoren offenbar
für die leichtere, aber einwandfreie Unterhaltung bestimmt. Man begann mit
einem hübschen Scherz von Raoul Auernheimer („Das Paar nach der Mode")
und hat jetzt in dem jüdischen Milieudrama von Rathäuser „Hinter Mauern"
ein dankbares Repertoirestück gefunden. Ihre ernsthaften literarischen Ver¬
pflichtungen suchen die Direktoren Meinhard und Bernauer nach wie vor in
dem Theater in der Königgrätzerstraße auf achtbare Art einzulösen. Man
spürt zwar nie bis aufs Letzte ihren inneren Beruf zu großen Aufgaben der
dramatischen Kunst, aber da sie zwei so erlesene Prachtexemplare aus der
deutschen Schauspielerwelt, wie Paul Wegener und Irene Triesch im Engage¬
ment haben und ihnen zuliebe die Strindbergsche „Kronbraut" und Shakespeares
„Richard III." herausbringen, so soll auch ihnen ein redlicher Wille und die
Fähigkeit, ihren Willen mit tüchtigen Mitteln durchzusetzen, bescheinigt werden.

Soweit sich die Dinge bisher übersehen lassen, hat die bedrohlich an¬
geschwollene Konkurrenz dem großen Wundermann von Berlin, dem Professor
Max Reinhardt im Deutschen Theater nichts Ernsthaftes anhaben können. Im
Gegenteil: es scheint eher, als ob er eben dadurch zur äußersten Anspannung
seiner prachtvollen und noch unerschöpften Kräfte gespornt worden sei. Im
„Deutschen Theater" und in den „Kammerspielen" ist selten so fleißig und mit
so strahlendem Erfolge gearbeitet worden wie gerade diesmal. Wenn man den
Theaterspiegel der letzten vier Monate durchsteht, so findet man, daß allein auf
Max Reinhardts Konto folgende Premieren bzw. Neueinstudierungen kommen:
Vollmöller: „Die venezianische Nacht"; Goethe: „Tasso"; Wedekind: „Franziska";
Flers und Caillovet: „Die goldenen Palmen"; Wedekind: „Musik"; Schmidtbonn:
„Der verlorene Sohn"; Lessing: „Emilia Galotti"; Strindberg: „Wetterleuchten";
Shaw: „Androklus und der Löwe"; Becque: „Die Pariserin"; und im Rahmen
des noch nicht abgeschlossenen, in prunkvollen Gewändern einherrauschenden
Shakespeare-Zyklus: „Ein Sommernachtstraum", „Viel Lärm um Nichts",
„Hamlet", „Der Kaufmann von Venedig", „König Lear".

Natürlich steht bei dieser Massenproduktion längst nicht alles auf der gleichen
Werthöhe. Es hat auch böse nieder gegeben, wie die „Goldenen Palmen",
wie „Musik", wie der „Verlorene Sohn" und wie „Androklus und der Löwe".
Ganz besonders überrascht auch hier das sast jedesmalige Versagen, wenn es
wirkliches dichterisches Neuland zu erobern galt. Aber auf der anderen Seite
zeigt das Reinhardtsche Repertoire der letzten Monate eine so bunte und so
köstlich reiche Fülle, sei es im Darstellerischen, sei es in verblüffenden Wundern


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[0192] vom Berliner Theatermarkt Einakterabende gebracht hat, werden dann ganz von selbst über den bisherigen guten Durchschnitt hinauswachsen. Das Kleine Theater Unter den Linden zu verwalten, verpflichtet. Das Beste müßte hier gerade gut genug sein. Und mit tüchtigen Stadttheatervorstellungen — Direktor Alkman verfügt über Menschen¬ darsteller allerersten Ranges — ist das Rennen im heutigen Berlin nicht mehr zu machen. Das oben erwähnte Komödienhaus ist von seinen neuen Direktoren offenbar für die leichtere, aber einwandfreie Unterhaltung bestimmt. Man begann mit einem hübschen Scherz von Raoul Auernheimer („Das Paar nach der Mode") und hat jetzt in dem jüdischen Milieudrama von Rathäuser „Hinter Mauern" ein dankbares Repertoirestück gefunden. Ihre ernsthaften literarischen Ver¬ pflichtungen suchen die Direktoren Meinhard und Bernauer nach wie vor in dem Theater in der Königgrätzerstraße auf achtbare Art einzulösen. Man spürt zwar nie bis aufs Letzte ihren inneren Beruf zu großen Aufgaben der dramatischen Kunst, aber da sie zwei so erlesene Prachtexemplare aus der deutschen Schauspielerwelt, wie Paul Wegener und Irene Triesch im Engage¬ ment haben und ihnen zuliebe die Strindbergsche „Kronbraut" und Shakespeares „Richard III." herausbringen, so soll auch ihnen ein redlicher Wille und die Fähigkeit, ihren Willen mit tüchtigen Mitteln durchzusetzen, bescheinigt werden. Soweit sich die Dinge bisher übersehen lassen, hat die bedrohlich an¬ geschwollene Konkurrenz dem großen Wundermann von Berlin, dem Professor Max Reinhardt im Deutschen Theater nichts Ernsthaftes anhaben können. Im Gegenteil: es scheint eher, als ob er eben dadurch zur äußersten Anspannung seiner prachtvollen und noch unerschöpften Kräfte gespornt worden sei. Im „Deutschen Theater" und in den „Kammerspielen" ist selten so fleißig und mit so strahlendem Erfolge gearbeitet worden wie gerade diesmal. Wenn man den Theaterspiegel der letzten vier Monate durchsteht, so findet man, daß allein auf Max Reinhardts Konto folgende Premieren bzw. Neueinstudierungen kommen: Vollmöller: „Die venezianische Nacht"; Goethe: „Tasso"; Wedekind: „Franziska"; Flers und Caillovet: „Die goldenen Palmen"; Wedekind: „Musik"; Schmidtbonn: „Der verlorene Sohn"; Lessing: „Emilia Galotti"; Strindberg: „Wetterleuchten"; Shaw: „Androklus und der Löwe"; Becque: „Die Pariserin"; und im Rahmen des noch nicht abgeschlossenen, in prunkvollen Gewändern einherrauschenden Shakespeare-Zyklus: „Ein Sommernachtstraum", „Viel Lärm um Nichts", „Hamlet", „Der Kaufmann von Venedig", „König Lear". Natürlich steht bei dieser Massenproduktion längst nicht alles auf der gleichen Werthöhe. Es hat auch böse nieder gegeben, wie die „Goldenen Palmen", wie „Musik", wie der „Verlorene Sohn" und wie „Androklus und der Löwe". Ganz besonders überrascht auch hier das sast jedesmalige Versagen, wenn es wirkliches dichterisches Neuland zu erobern galt. Aber auf der anderen Seite zeigt das Reinhardtsche Repertoire der letzten Monate eine so bunte und so köstlich reiche Fülle, sei es im Darstellerischen, sei es in verblüffenden Wundern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/192>, abgerufen am 01.01.2025.