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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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vom Berliner Theatermarkt

Dichtung bewiesen hatte. Ob er unter den veränderten Bedingungen des größeren
Hauses mit dem gleichen Glück wie bisher würde arbeiten können, mußte
natürlich abgewartet werden. Soviel stand fest: unter dem direktorialen und
Regienachwuchs des Berliner Theaters rangierte Barnowsky an allererster Stelle.

Das durch Barnowskys Abgang verwaiste Kleine Theater übernahm
Dr. George Altmann, der bis dahin in Hannover mit einigen! Glück
als Direktor tätig gewesen war, und eine weitere, allerdings mehr nebensächliche
Verschiebung im Berliner Bühnenbilde trat dadurch ein, daß die Direktoren
Meinhard und Bernauer zu ihren bisherigen zwei Theatern (Berliner Theater
und Theater in der Königgrätzerstmße) noch ein drittes, das durch den skrupel¬
loser Rudolf Lothar an den Rand des Abgrunds gebrachte Komödienhaus
hinzupachteten.

Diese flüchtige Übersicht wird erkennen lassen, daß für ein neues, reges
Spiel der Kräfte alle Wege offenstanden. Die frisch auf den Plan getretenen Männer
hatten nicht nur mit der gegenseitigen Konkurrenz zu rechnen, sondern sie standen
auch samt und sonders unter dem immer noch übermächtigen Schatten Max
Reinhardts, der nun einmal der erklärte Favorit der Berliner war und sich
eben erst durch eine Reihe prachtvoll eindringlicher Regietaten in neue Gunst
gesetzt hatte.

So standen die Dinge zu Beginn der mit Spannung erwarteten Herbst-
Saison 1913. Seit Jahren hatte das Berliner Theaterleben seinen Freunden
uicht soviel Fragen zu beantworten aufgegeben, seit Jahren nicht soviel un¬
begrenzte Möglichkeiten eröffnet wie diesmal.

Die Haupt- und Staatsaktionen ließen denn auch nicht auf sich warten.
Charakteristischerweise blieben sie fast ausnahmslos auf mehr oder weniger
kühne Regietaten beschränkt. Längst erprobte dichterische Werte für die Bühne
zu erobern oder ihnen durch eigenartige Jnszenierungskünste eine veränderte,
zeitgenössische Physiognomie zu geben, schien wesentlicher, dringender, als
poetisches Neuland urbar zu machen und zu bepflügen. Die Freude am Theater
als solchem, der Ehrgeiz, es im Herausarbeiten des szenischen Rahmens den
Konkurrenten zuvor zu tun, überwog. So eröffnete das Deutsche Künstlertheater
die Saison mit der vielbesprochenen Tell-Aufführung, die Gerhart Haupt¬
mann mit seinem Namen als Regisseur deckte. Es soll in diesem Zusammen¬
hange nicht erörtert werden, warum der aus mißverstandener Ideologie gezeugte
Versuch, Friedrich Schillers Freiheitsdrama seiner Pathetik zu entkleiden und
zum naturalistischen Bauern- und Volksstück zu stempeln, mißlang und mißlingen
mußte. Die Feststellung möge genügen, daß das Debüt der Sozietäre weniger
glücklich als menschlich sympathisch war. Man sah, trotz allem, einen redlichen
ethischen Willen an der Arbeit, der wohltuend abstach von der fixen Betrieb¬
samkeit dreister Börsenspekulanten. Man sah einen reinlichen Idealismus, der
sich der Erinnerung an Otto Brahm nicht zu schämen hatte. Man sah Mög¬
lichkeiten und Hoffnungen, und man wartete ab. Das heißt: eigentlich wartet


vom Berliner Theatermarkt

Dichtung bewiesen hatte. Ob er unter den veränderten Bedingungen des größeren
Hauses mit dem gleichen Glück wie bisher würde arbeiten können, mußte
natürlich abgewartet werden. Soviel stand fest: unter dem direktorialen und
Regienachwuchs des Berliner Theaters rangierte Barnowsky an allererster Stelle.

Das durch Barnowskys Abgang verwaiste Kleine Theater übernahm
Dr. George Altmann, der bis dahin in Hannover mit einigen! Glück
als Direktor tätig gewesen war, und eine weitere, allerdings mehr nebensächliche
Verschiebung im Berliner Bühnenbilde trat dadurch ein, daß die Direktoren
Meinhard und Bernauer zu ihren bisherigen zwei Theatern (Berliner Theater
und Theater in der Königgrätzerstmße) noch ein drittes, das durch den skrupel¬
loser Rudolf Lothar an den Rand des Abgrunds gebrachte Komödienhaus
hinzupachteten.

Diese flüchtige Übersicht wird erkennen lassen, daß für ein neues, reges
Spiel der Kräfte alle Wege offenstanden. Die frisch auf den Plan getretenen Männer
hatten nicht nur mit der gegenseitigen Konkurrenz zu rechnen, sondern sie standen
auch samt und sonders unter dem immer noch übermächtigen Schatten Max
Reinhardts, der nun einmal der erklärte Favorit der Berliner war und sich
eben erst durch eine Reihe prachtvoll eindringlicher Regietaten in neue Gunst
gesetzt hatte.

So standen die Dinge zu Beginn der mit Spannung erwarteten Herbst-
Saison 1913. Seit Jahren hatte das Berliner Theaterleben seinen Freunden
uicht soviel Fragen zu beantworten aufgegeben, seit Jahren nicht soviel un¬
begrenzte Möglichkeiten eröffnet wie diesmal.

Die Haupt- und Staatsaktionen ließen denn auch nicht auf sich warten.
Charakteristischerweise blieben sie fast ausnahmslos auf mehr oder weniger
kühne Regietaten beschränkt. Längst erprobte dichterische Werte für die Bühne
zu erobern oder ihnen durch eigenartige Jnszenierungskünste eine veränderte,
zeitgenössische Physiognomie zu geben, schien wesentlicher, dringender, als
poetisches Neuland urbar zu machen und zu bepflügen. Die Freude am Theater
als solchem, der Ehrgeiz, es im Herausarbeiten des szenischen Rahmens den
Konkurrenten zuvor zu tun, überwog. So eröffnete das Deutsche Künstlertheater
die Saison mit der vielbesprochenen Tell-Aufführung, die Gerhart Haupt¬
mann mit seinem Namen als Regisseur deckte. Es soll in diesem Zusammen¬
hange nicht erörtert werden, warum der aus mißverstandener Ideologie gezeugte
Versuch, Friedrich Schillers Freiheitsdrama seiner Pathetik zu entkleiden und
zum naturalistischen Bauern- und Volksstück zu stempeln, mißlang und mißlingen
mußte. Die Feststellung möge genügen, daß das Debüt der Sozietäre weniger
glücklich als menschlich sympathisch war. Man sah, trotz allem, einen redlichen
ethischen Willen an der Arbeit, der wohltuend abstach von der fixen Betrieb¬
samkeit dreister Börsenspekulanten. Man sah einen reinlichen Idealismus, der
sich der Erinnerung an Otto Brahm nicht zu schämen hatte. Man sah Mög¬
lichkeiten und Hoffnungen, und man wartete ab. Das heißt: eigentlich wartet


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[0190] vom Berliner Theatermarkt Dichtung bewiesen hatte. Ob er unter den veränderten Bedingungen des größeren Hauses mit dem gleichen Glück wie bisher würde arbeiten können, mußte natürlich abgewartet werden. Soviel stand fest: unter dem direktorialen und Regienachwuchs des Berliner Theaters rangierte Barnowsky an allererster Stelle. Das durch Barnowskys Abgang verwaiste Kleine Theater übernahm Dr. George Altmann, der bis dahin in Hannover mit einigen! Glück als Direktor tätig gewesen war, und eine weitere, allerdings mehr nebensächliche Verschiebung im Berliner Bühnenbilde trat dadurch ein, daß die Direktoren Meinhard und Bernauer zu ihren bisherigen zwei Theatern (Berliner Theater und Theater in der Königgrätzerstmße) noch ein drittes, das durch den skrupel¬ loser Rudolf Lothar an den Rand des Abgrunds gebrachte Komödienhaus hinzupachteten. Diese flüchtige Übersicht wird erkennen lassen, daß für ein neues, reges Spiel der Kräfte alle Wege offenstanden. Die frisch auf den Plan getretenen Männer hatten nicht nur mit der gegenseitigen Konkurrenz zu rechnen, sondern sie standen auch samt und sonders unter dem immer noch übermächtigen Schatten Max Reinhardts, der nun einmal der erklärte Favorit der Berliner war und sich eben erst durch eine Reihe prachtvoll eindringlicher Regietaten in neue Gunst gesetzt hatte. So standen die Dinge zu Beginn der mit Spannung erwarteten Herbst- Saison 1913. Seit Jahren hatte das Berliner Theaterleben seinen Freunden uicht soviel Fragen zu beantworten aufgegeben, seit Jahren nicht soviel un¬ begrenzte Möglichkeiten eröffnet wie diesmal. Die Haupt- und Staatsaktionen ließen denn auch nicht auf sich warten. Charakteristischerweise blieben sie fast ausnahmslos auf mehr oder weniger kühne Regietaten beschränkt. Längst erprobte dichterische Werte für die Bühne zu erobern oder ihnen durch eigenartige Jnszenierungskünste eine veränderte, zeitgenössische Physiognomie zu geben, schien wesentlicher, dringender, als poetisches Neuland urbar zu machen und zu bepflügen. Die Freude am Theater als solchem, der Ehrgeiz, es im Herausarbeiten des szenischen Rahmens den Konkurrenten zuvor zu tun, überwog. So eröffnete das Deutsche Künstlertheater die Saison mit der vielbesprochenen Tell-Aufführung, die Gerhart Haupt¬ mann mit seinem Namen als Regisseur deckte. Es soll in diesem Zusammen¬ hange nicht erörtert werden, warum der aus mißverstandener Ideologie gezeugte Versuch, Friedrich Schillers Freiheitsdrama seiner Pathetik zu entkleiden und zum naturalistischen Bauern- und Volksstück zu stempeln, mißlang und mißlingen mußte. Die Feststellung möge genügen, daß das Debüt der Sozietäre weniger glücklich als menschlich sympathisch war. Man sah, trotz allem, einen redlichen ethischen Willen an der Arbeit, der wohltuend abstach von der fixen Betrieb¬ samkeit dreister Börsenspekulanten. Man sah einen reinlichen Idealismus, der sich der Erinnerung an Otto Brahm nicht zu schämen hatte. Man sah Mög¬ lichkeiten und Hoffnungen, und man wartete ab. Das heißt: eigentlich wartet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/190>, abgerufen am 01.01.2025.