Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.vom Berliner Theatermarkt Immerhin: die übergroße Mehrzahl reichshauptstädtischer Theater, soweit Den mittelbaren Anstoß zu den Veränderungen im Bilde der Berliner Damit war nun das Lessingtheater für strebsame Adepten freige- "renzboten I t914 12
vom Berliner Theatermarkt Immerhin: die übergroße Mehrzahl reichshauptstädtischer Theater, soweit Den mittelbaren Anstoß zu den Veränderungen im Bilde der Berliner Damit war nun das Lessingtheater für strebsame Adepten freige- «renzboten I t914 12
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/327655"/> <fw type="header" place="top"> vom Berliner Theatermarkt</fw><lb/> <p xml:id="ID_867"> Immerhin: die übergroße Mehrzahl reichshauptstädtischer Theater, soweit<lb/> sie künstlerisch und literarisch in der vordersten Schlachtreihe marschieren, ist<lb/> eben noch immer in den Händen kapitalistischer Unternehmer. Das mag man,<lb/> je nach Temperament und Beruf, billigen oder bedauern. Auf jeden Fall<lb/> wird man mit der Tatsache als solcher zu rechnen haben. Wenn nun die<lb/> laufende Saison, im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen, von vornherein gewisse<lb/> Hoffnungen zu erwecken und, wie gleich gesagt werden darf, auch zu erfüllen im¬<lb/> stande war, so lag das an der vor einem Jahre vollzogenen, neuen Verteilung<lb/> der Kräfte, die eine bis dahin ungewöhnliche Anspannung und Intensität im<lb/> Arbeiten zu gewährleisten schien. Es ist ein altes Gesetz, daß jede Konkurrenz<lb/> die Qualität der Leistung schließlich und endlich in die Höhe treibt, und so stand<lb/> denn zu erwarten, daß der durch eine veränderte Konstellation ernsthaft ver¬<lb/> stärkte Wettbewerb auf dem Berliner Theatermarkte auch für das zunächst be¬<lb/> teiligte Publikum eine Reihe von segensreichen Früchten zeitigen würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_868"> Den mittelbaren Anstoß zu den Veränderungen im Bilde der Berliner<lb/> Situation gab der im November 1912 erfolgte Tod Otto Brahms, der wohl<lb/> überhaupt als das tiefstgreifende Theaterereignis des Jahres 1912 angesprochen<lb/> werden muß. Der von Brahm jahrzehntelang mit geradezu heiliger Inbrunst<lb/> gepflegte Ibsen- und Hauptmann-Kult, der zu den schönsten und unantastbarsten<lb/> Besitztümern des Berliner Bühnenlebens gehörte, war plötzlich seines Priesters,<lb/> seines geistigen Vaters, seines getreuen Eckarts beraubt. Sollte aber deshalb,<lb/> weil der Tod eine gewiß schwer auszufüllende Lücke gerissen hatte, der Kult<lb/> als solcher ein klangloses Ende nehmen? Sollte die von Otto Brahm zu einem<lb/> wunderherrlichen Ganzen zusammengeschweißte Künstlerschar des Lessingtheaters<lb/> auf einmal in alle Winde zerstreut werden? Und sollte das Badensche Lebens¬<lb/> werk, auf das gerade wir Berliner vor aller Welt stolz zu sein ein Recht hatten,<lb/> mit einem Schlage zu einer Angelegenheit von gestern und vorgestern werden?<lb/> Alle Ernstmeinenden waren sich klar darüber, daß eine derartige sang- und klanglose<lb/> Verabschiedung der Brahmschen Tradition nicht möglich sei, daß sie die gröbste<lb/> aller Pietätlosigkeiten, daß sie geradezu eine Tempelschändung darstellen würde.<lb/> Und es herrschte denn auch nur eine Stimme der Befriedigung, als der Stamm<lb/> der Brahmschen Schauspieler sich unter dem Eindruck der ethischen Notwendigkeit<lb/> zu einem Sozietätsunternehmen (Deutsches Künstlertheater) zusammenschloß, um<lb/> das Erbe des verstorbenen Herrn und Meisters pietätvoll zu hüten und weiter<lb/> zu pflegen. Das neue Sozietätstheater, das kurz, nach dem Tode Brahms zum<lb/> realen Begriffe wurde und sich unter die geistige Führung Gerhart Hauptmanns<lb/> und Rudolf Rittners stellte, ging rasch daran, sich sein Heim in der eben frei¬<lb/> gewordenen Kurfürsten-Oper zu gründen.</p><lb/> <p xml:id="ID_869" next="#ID_870"> Damit war nun das Lessingtheater für strebsame Adepten freige-<lb/> worden. Ein solcher fand sich sehr bald in der Person des Direktors Viktor<lb/> Barnowsky, der während seiner Tätigkeit am Kleinen Theater eine ganz er-<lb/> staunliche Begabung als Regisseur und Erfühler der rhythmischen Seele einer</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> «renzboten I t914 12</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0189]
vom Berliner Theatermarkt
Immerhin: die übergroße Mehrzahl reichshauptstädtischer Theater, soweit
sie künstlerisch und literarisch in der vordersten Schlachtreihe marschieren, ist
eben noch immer in den Händen kapitalistischer Unternehmer. Das mag man,
je nach Temperament und Beruf, billigen oder bedauern. Auf jeden Fall
wird man mit der Tatsache als solcher zu rechnen haben. Wenn nun die
laufende Saison, im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen, von vornherein gewisse
Hoffnungen zu erwecken und, wie gleich gesagt werden darf, auch zu erfüllen im¬
stande war, so lag das an der vor einem Jahre vollzogenen, neuen Verteilung
der Kräfte, die eine bis dahin ungewöhnliche Anspannung und Intensität im
Arbeiten zu gewährleisten schien. Es ist ein altes Gesetz, daß jede Konkurrenz
die Qualität der Leistung schließlich und endlich in die Höhe treibt, und so stand
denn zu erwarten, daß der durch eine veränderte Konstellation ernsthaft ver¬
stärkte Wettbewerb auf dem Berliner Theatermarkte auch für das zunächst be¬
teiligte Publikum eine Reihe von segensreichen Früchten zeitigen würde.
Den mittelbaren Anstoß zu den Veränderungen im Bilde der Berliner
Situation gab der im November 1912 erfolgte Tod Otto Brahms, der wohl
überhaupt als das tiefstgreifende Theaterereignis des Jahres 1912 angesprochen
werden muß. Der von Brahm jahrzehntelang mit geradezu heiliger Inbrunst
gepflegte Ibsen- und Hauptmann-Kult, der zu den schönsten und unantastbarsten
Besitztümern des Berliner Bühnenlebens gehörte, war plötzlich seines Priesters,
seines geistigen Vaters, seines getreuen Eckarts beraubt. Sollte aber deshalb,
weil der Tod eine gewiß schwer auszufüllende Lücke gerissen hatte, der Kult
als solcher ein klangloses Ende nehmen? Sollte die von Otto Brahm zu einem
wunderherrlichen Ganzen zusammengeschweißte Künstlerschar des Lessingtheaters
auf einmal in alle Winde zerstreut werden? Und sollte das Badensche Lebens¬
werk, auf das gerade wir Berliner vor aller Welt stolz zu sein ein Recht hatten,
mit einem Schlage zu einer Angelegenheit von gestern und vorgestern werden?
Alle Ernstmeinenden waren sich klar darüber, daß eine derartige sang- und klanglose
Verabschiedung der Brahmschen Tradition nicht möglich sei, daß sie die gröbste
aller Pietätlosigkeiten, daß sie geradezu eine Tempelschändung darstellen würde.
Und es herrschte denn auch nur eine Stimme der Befriedigung, als der Stamm
der Brahmschen Schauspieler sich unter dem Eindruck der ethischen Notwendigkeit
zu einem Sozietätsunternehmen (Deutsches Künstlertheater) zusammenschloß, um
das Erbe des verstorbenen Herrn und Meisters pietätvoll zu hüten und weiter
zu pflegen. Das neue Sozietätstheater, das kurz, nach dem Tode Brahms zum
realen Begriffe wurde und sich unter die geistige Führung Gerhart Hauptmanns
und Rudolf Rittners stellte, ging rasch daran, sich sein Heim in der eben frei¬
gewordenen Kurfürsten-Oper zu gründen.
Damit war nun das Lessingtheater für strebsame Adepten freige-
worden. Ein solcher fand sich sehr bald in der Person des Direktors Viktor
Barnowsky, der während seiner Tätigkeit am Kleinen Theater eine ganz er-
staunliche Begabung als Regisseur und Erfühler der rhythmischen Seele einer
«renzboten I t914 12
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |