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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

"Sieh alles durch, Weib, und laß dir Wasser von irgend jemand geben.
Zwirn und Nadeln müssen irgendwo liegen, suche sie nur!"

"Der Herr hat keinen Diener?" Mitleidig sah Grill auf einige zerlöcherte
Seiden- und Samtröcke.

"Ich hatte einen, aber er ist mir totgeschossen worden und einen anderen
mag ich nicht. Die stehlen alle wie die Raben, und wenn auch bei mir nicht
viel zu stehlen ist. so mag ich nicht alles hergeben!"

Grill suchte sich schon einen Fingerhut und Nähzeug aus dem Bündel, fabelte ein
und begann zu stopfen. Der Junker hatte etwas Behagliches, das ihr gefiel, wenn der
andere Herr wirklich ein Herzog war, so ging man ihm lieber aus dem Wege.

Es war kalt draußen und der Regen schlug durch die Zellwände, daß sie
naß wurden. Aber der Wachsstock brannte mit ruhigem Licht, und der Junker,
der sich ungezogen hatte, legte sich auf eine Decke und schlief fest ein. Von
draußen kam gelegentlich ein klirrender Schritt, ein Ruf, ein wilder Gesang,
aber das schlechte Wetter machte das Lager still. Grill nähte fleißig. Große
Risse zeigten die feinen Röcke, und die Spitzen daran waren schmutzig und
zerfetzt. Keine sorgsame Hand hatte über des Junkers Kleidung gewaltet, da
war es gut, daß er sich zu helfen wußte und eine Frau vom Wege auflas.
Wie fest er schlief. Grill konnte sein junges, unbekümmertes Gesicht sehen, das
sich dem Kerzenschein zuwandte. Ein kleines Bärtchen zierte seine Oberlippe
und über die Stirn lief eine rote Narbe. Ob er wohl noch eine Mutter hatte,
die um ihn sorgte und für ihn betete? Oder war er einer von den Ketzern,
die sich lutherisch nannten und die Teufelsbrut waren?

Ein Soldat trat ein und setzte eine Schale mit heißer Suppe auf den
kleinen Tisch. Er riß die Augen auf, als er Grill sah, aber er sagte nichts.
Zwei Scheiben Brot legte er neben das Essen und ging dann wieder. Der
Junker war in die Höhe gefahren, sah die Suppe, legte sich aber gleich wieder.

"Iß du nur!" sagte er schlaftrunken.

Während er einschlief, schob Grill die Schale zu sich heran, füllte sich
einen Zinnbecher daraus und trank laugsam und mit Behagen. Dies stille
Sitzen im Zelt gefiel ihr und in der Suppe waren große Stücke Fleisch. Sie
freute sich, den Stadtschreiber gleich verraten zu haben, sie wollte bei den Kaiser¬
lichen bleiben. Sorgsam deckte sie den großen Rest der Suppe zu, aß ein Stück
Brot und nähte weiter. Heute konnte sie nicht waschen, morgen aber sollte
der Junker ein reines Hemd haben und einen heilen seidenen Rock.

Wieder betrat jemand das Zelt. Diesmal war es ein Diener, der auf
seinem Rock ein gesticktes Nesselblatt trug.

"Seine Gnaden will mit dir reden!" sagte er, und Grill mußte ihre
Arbeit aus der Hand legen und freute sich nur, doch einen Teil der Suppe
gegessen zu haben. Jetzt hätte sie nichts mehr herunterbringen können.

Da saß der Herzog in seinem Zelt. Mehrere Wachskerzen brannten um
ihn herum, er selbst hatte einen mit Kissen belegten Stuhl und der ganze


Die Hexe von Mayen

„Sieh alles durch, Weib, und laß dir Wasser von irgend jemand geben.
Zwirn und Nadeln müssen irgendwo liegen, suche sie nur!"

„Der Herr hat keinen Diener?" Mitleidig sah Grill auf einige zerlöcherte
Seiden- und Samtröcke.

„Ich hatte einen, aber er ist mir totgeschossen worden und einen anderen
mag ich nicht. Die stehlen alle wie die Raben, und wenn auch bei mir nicht
viel zu stehlen ist. so mag ich nicht alles hergeben!"

Grill suchte sich schon einen Fingerhut und Nähzeug aus dem Bündel, fabelte ein
und begann zu stopfen. Der Junker hatte etwas Behagliches, das ihr gefiel, wenn der
andere Herr wirklich ein Herzog war, so ging man ihm lieber aus dem Wege.

Es war kalt draußen und der Regen schlug durch die Zellwände, daß sie
naß wurden. Aber der Wachsstock brannte mit ruhigem Licht, und der Junker,
der sich ungezogen hatte, legte sich auf eine Decke und schlief fest ein. Von
draußen kam gelegentlich ein klirrender Schritt, ein Ruf, ein wilder Gesang,
aber das schlechte Wetter machte das Lager still. Grill nähte fleißig. Große
Risse zeigten die feinen Röcke, und die Spitzen daran waren schmutzig und
zerfetzt. Keine sorgsame Hand hatte über des Junkers Kleidung gewaltet, da
war es gut, daß er sich zu helfen wußte und eine Frau vom Wege auflas.
Wie fest er schlief. Grill konnte sein junges, unbekümmertes Gesicht sehen, das
sich dem Kerzenschein zuwandte. Ein kleines Bärtchen zierte seine Oberlippe
und über die Stirn lief eine rote Narbe. Ob er wohl noch eine Mutter hatte,
die um ihn sorgte und für ihn betete? Oder war er einer von den Ketzern,
die sich lutherisch nannten und die Teufelsbrut waren?

Ein Soldat trat ein und setzte eine Schale mit heißer Suppe auf den
kleinen Tisch. Er riß die Augen auf, als er Grill sah, aber er sagte nichts.
Zwei Scheiben Brot legte er neben das Essen und ging dann wieder. Der
Junker war in die Höhe gefahren, sah die Suppe, legte sich aber gleich wieder.

„Iß du nur!" sagte er schlaftrunken.

Während er einschlief, schob Grill die Schale zu sich heran, füllte sich
einen Zinnbecher daraus und trank laugsam und mit Behagen. Dies stille
Sitzen im Zelt gefiel ihr und in der Suppe waren große Stücke Fleisch. Sie
freute sich, den Stadtschreiber gleich verraten zu haben, sie wollte bei den Kaiser¬
lichen bleiben. Sorgsam deckte sie den großen Rest der Suppe zu, aß ein Stück
Brot und nähte weiter. Heute konnte sie nicht waschen, morgen aber sollte
der Junker ein reines Hemd haben und einen heilen seidenen Rock.

Wieder betrat jemand das Zelt. Diesmal war es ein Diener, der auf
seinem Rock ein gesticktes Nesselblatt trug.

„Seine Gnaden will mit dir reden!" sagte er, und Grill mußte ihre
Arbeit aus der Hand legen und freute sich nur, doch einen Teil der Suppe
gegessen zu haben. Jetzt hätte sie nichts mehr herunterbringen können.

Da saß der Herzog in seinem Zelt. Mehrere Wachskerzen brannten um
ihn herum, er selbst hatte einen mit Kissen belegten Stuhl und der ganze


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[0186] Die Hexe von Mayen „Sieh alles durch, Weib, und laß dir Wasser von irgend jemand geben. Zwirn und Nadeln müssen irgendwo liegen, suche sie nur!" „Der Herr hat keinen Diener?" Mitleidig sah Grill auf einige zerlöcherte Seiden- und Samtröcke. „Ich hatte einen, aber er ist mir totgeschossen worden und einen anderen mag ich nicht. Die stehlen alle wie die Raben, und wenn auch bei mir nicht viel zu stehlen ist. so mag ich nicht alles hergeben!" Grill suchte sich schon einen Fingerhut und Nähzeug aus dem Bündel, fabelte ein und begann zu stopfen. Der Junker hatte etwas Behagliches, das ihr gefiel, wenn der andere Herr wirklich ein Herzog war, so ging man ihm lieber aus dem Wege. Es war kalt draußen und der Regen schlug durch die Zellwände, daß sie naß wurden. Aber der Wachsstock brannte mit ruhigem Licht, und der Junker, der sich ungezogen hatte, legte sich auf eine Decke und schlief fest ein. Von draußen kam gelegentlich ein klirrender Schritt, ein Ruf, ein wilder Gesang, aber das schlechte Wetter machte das Lager still. Grill nähte fleißig. Große Risse zeigten die feinen Röcke, und die Spitzen daran waren schmutzig und zerfetzt. Keine sorgsame Hand hatte über des Junkers Kleidung gewaltet, da war es gut, daß er sich zu helfen wußte und eine Frau vom Wege auflas. Wie fest er schlief. Grill konnte sein junges, unbekümmertes Gesicht sehen, das sich dem Kerzenschein zuwandte. Ein kleines Bärtchen zierte seine Oberlippe und über die Stirn lief eine rote Narbe. Ob er wohl noch eine Mutter hatte, die um ihn sorgte und für ihn betete? Oder war er einer von den Ketzern, die sich lutherisch nannten und die Teufelsbrut waren? Ein Soldat trat ein und setzte eine Schale mit heißer Suppe auf den kleinen Tisch. Er riß die Augen auf, als er Grill sah, aber er sagte nichts. Zwei Scheiben Brot legte er neben das Essen und ging dann wieder. Der Junker war in die Höhe gefahren, sah die Suppe, legte sich aber gleich wieder. „Iß du nur!" sagte er schlaftrunken. Während er einschlief, schob Grill die Schale zu sich heran, füllte sich einen Zinnbecher daraus und trank laugsam und mit Behagen. Dies stille Sitzen im Zelt gefiel ihr und in der Suppe waren große Stücke Fleisch. Sie freute sich, den Stadtschreiber gleich verraten zu haben, sie wollte bei den Kaiser¬ lichen bleiben. Sorgsam deckte sie den großen Rest der Suppe zu, aß ein Stück Brot und nähte weiter. Heute konnte sie nicht waschen, morgen aber sollte der Junker ein reines Hemd haben und einen heilen seidenen Rock. Wieder betrat jemand das Zelt. Diesmal war es ein Diener, der auf seinem Rock ein gesticktes Nesselblatt trug. „Seine Gnaden will mit dir reden!" sagte er, und Grill mußte ihre Arbeit aus der Hand legen und freute sich nur, doch einen Teil der Suppe gegessen zu haben. Jetzt hätte sie nichts mehr herunterbringen können. Da saß der Herzog in seinem Zelt. Mehrere Wachskerzen brannten um ihn herum, er selbst hatte einen mit Kissen belegten Stuhl und der ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/186>, abgerufen am 01.01.2025.