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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

Raum war mit einem schweren Teppich ausgelegt. Der Herzog trug einen
dunkelblauen, mit Pelz besetzten Rock; sein langes schwarzes Haar war trocken
geworden und begann sich wieder zu kräuseln. Er hielt den Brief in der Hand,
den Grill vom Stadtschreiber erhalten hatte und gab ihn ihr wieder.

"Du mußt tun, was dir dein Herr befahl, dieser Brief ist für einen
französischen Herrn, wir wollen ihn nicht behalten!"

"Gnädiger Herr!" Grill wurde aufgeregt. "Die Franzosen bringen mich
um und der Stadtschreiber, der mir das Papier gab, ist nit mein Herr!"

Der Herzog lehnte sich in seinen Stuhl zurück und wickelte sein langes
Haar um die Hand.

"Es ist besser, du gehst, Weib; besser für uns und für dich. Die Fran¬
zosen werden dir nichts tun; ein Bote wird meistens nicht getötet und der
Offizier, an den der Brief ist, wird dich vielleicht belohnen! Also gehe gleich!"

"Gleich?" Grill schluchzte. "Wenn Ihr wüßtet, wie zerrissen die Kleider
vom Junker sind, so würdet Ihr schon erlauben, daß ich meine Arbeit zu
Ende mache. Und der Junker ist gut, er hat nur nichts getan und mir seine
Suppe gegeben!"

Der Herzog beugte sich über eine Karte. "Soll ich dir den nächsten Weg
nach Eltz zeigen?"

"Ich geh nit!" trotzte sie. "Und was ich nit will, hab ich nie getan!"

"Dann muß ich dich also hängen lassen!" Die Stimme des Herzogs
klang ruhig, aber Grill fühlte plötzlich, daß er im Ernst sprach. Sie brach in
Tränen aus.

"So ein armes Weib, wie ich! Der Stadtschreiber von Mayen will mich
ins Loch stecken, so ich ihm nit gehorch, und Ihr droht mit dem Strick! Und
dabei bin ich allzeit.ehrlich gewandelt und hab meine Kinder durchgebracht,
so gut es ging. Vier Stück sind es und nur die älteste könnt sich allein
helfen!"

Der Herzog sah aufmerksam in ihr grobes, verhärmtes Gesicht.

"Ich will nicht dein Böses, Frau, zieh hin gen Eltz und sei klug wie
eine Schlange und ohne Falsch wie eine Taube!"

Der Diener mit dem Nesselblatt war schon wieder da und zog Grill sanft
aus dem Zelt.

"Du mußt tun, was er sagt!" flüsterte er ihr zu. "Er ist klüger, als
wir anderen zusammen!"

Wieder wollte Grill eine laute Klage beginnen, als der Junker Sehestedt
vor ihr stand und sie am Arm faßte.

"Heute nicht, Weib! Ich bring dich aus dem Lager! Ein Stück Brot
und eine Wurst geb ich dir mit, dieweil du mir meine Suppe mit einem Tuch
bedecktest und meinen letzten Goldtaler, den ich im Rock hatte, nicht nahmst!
Und nun merke auf, was ich sage!"

(Fortsetzung folgt)


Die Hexe von Mayen

Raum war mit einem schweren Teppich ausgelegt. Der Herzog trug einen
dunkelblauen, mit Pelz besetzten Rock; sein langes schwarzes Haar war trocken
geworden und begann sich wieder zu kräuseln. Er hielt den Brief in der Hand,
den Grill vom Stadtschreiber erhalten hatte und gab ihn ihr wieder.

„Du mußt tun, was dir dein Herr befahl, dieser Brief ist für einen
französischen Herrn, wir wollen ihn nicht behalten!"

„Gnädiger Herr!" Grill wurde aufgeregt. „Die Franzosen bringen mich
um und der Stadtschreiber, der mir das Papier gab, ist nit mein Herr!"

Der Herzog lehnte sich in seinen Stuhl zurück und wickelte sein langes
Haar um die Hand.

„Es ist besser, du gehst, Weib; besser für uns und für dich. Die Fran¬
zosen werden dir nichts tun; ein Bote wird meistens nicht getötet und der
Offizier, an den der Brief ist, wird dich vielleicht belohnen! Also gehe gleich!"

„Gleich?" Grill schluchzte. „Wenn Ihr wüßtet, wie zerrissen die Kleider
vom Junker sind, so würdet Ihr schon erlauben, daß ich meine Arbeit zu
Ende mache. Und der Junker ist gut, er hat nur nichts getan und mir seine
Suppe gegeben!"

Der Herzog beugte sich über eine Karte. „Soll ich dir den nächsten Weg
nach Eltz zeigen?"

„Ich geh nit!" trotzte sie. „Und was ich nit will, hab ich nie getan!"

„Dann muß ich dich also hängen lassen!" Die Stimme des Herzogs
klang ruhig, aber Grill fühlte plötzlich, daß er im Ernst sprach. Sie brach in
Tränen aus.

„So ein armes Weib, wie ich! Der Stadtschreiber von Mayen will mich
ins Loch stecken, so ich ihm nit gehorch, und Ihr droht mit dem Strick! Und
dabei bin ich allzeit.ehrlich gewandelt und hab meine Kinder durchgebracht,
so gut es ging. Vier Stück sind es und nur die älteste könnt sich allein
helfen!"

Der Herzog sah aufmerksam in ihr grobes, verhärmtes Gesicht.

„Ich will nicht dein Böses, Frau, zieh hin gen Eltz und sei klug wie
eine Schlange und ohne Falsch wie eine Taube!"

Der Diener mit dem Nesselblatt war schon wieder da und zog Grill sanft
aus dem Zelt.

„Du mußt tun, was er sagt!" flüsterte er ihr zu. „Er ist klüger, als
wir anderen zusammen!"

Wieder wollte Grill eine laute Klage beginnen, als der Junker Sehestedt
vor ihr stand und sie am Arm faßte.

„Heute nicht, Weib! Ich bring dich aus dem Lager! Ein Stück Brot
und eine Wurst geb ich dir mit, dieweil du mir meine Suppe mit einem Tuch
bedecktest und meinen letzten Goldtaler, den ich im Rock hatte, nicht nahmst!
Und nun merke auf, was ich sage!"

(Fortsetzung folgt)


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[0187] Die Hexe von Mayen Raum war mit einem schweren Teppich ausgelegt. Der Herzog trug einen dunkelblauen, mit Pelz besetzten Rock; sein langes schwarzes Haar war trocken geworden und begann sich wieder zu kräuseln. Er hielt den Brief in der Hand, den Grill vom Stadtschreiber erhalten hatte und gab ihn ihr wieder. „Du mußt tun, was dir dein Herr befahl, dieser Brief ist für einen französischen Herrn, wir wollen ihn nicht behalten!" „Gnädiger Herr!" Grill wurde aufgeregt. „Die Franzosen bringen mich um und der Stadtschreiber, der mir das Papier gab, ist nit mein Herr!" Der Herzog lehnte sich in seinen Stuhl zurück und wickelte sein langes Haar um die Hand. „Es ist besser, du gehst, Weib; besser für uns und für dich. Die Fran¬ zosen werden dir nichts tun; ein Bote wird meistens nicht getötet und der Offizier, an den der Brief ist, wird dich vielleicht belohnen! Also gehe gleich!" „Gleich?" Grill schluchzte. „Wenn Ihr wüßtet, wie zerrissen die Kleider vom Junker sind, so würdet Ihr schon erlauben, daß ich meine Arbeit zu Ende mache. Und der Junker ist gut, er hat nur nichts getan und mir seine Suppe gegeben!" Der Herzog beugte sich über eine Karte. „Soll ich dir den nächsten Weg nach Eltz zeigen?" „Ich geh nit!" trotzte sie. „Und was ich nit will, hab ich nie getan!" „Dann muß ich dich also hängen lassen!" Die Stimme des Herzogs klang ruhig, aber Grill fühlte plötzlich, daß er im Ernst sprach. Sie brach in Tränen aus. „So ein armes Weib, wie ich! Der Stadtschreiber von Mayen will mich ins Loch stecken, so ich ihm nit gehorch, und Ihr droht mit dem Strick! Und dabei bin ich allzeit.ehrlich gewandelt und hab meine Kinder durchgebracht, so gut es ging. Vier Stück sind es und nur die älteste könnt sich allein helfen!" Der Herzog sah aufmerksam in ihr grobes, verhärmtes Gesicht. „Ich will nicht dein Böses, Frau, zieh hin gen Eltz und sei klug wie eine Schlange und ohne Falsch wie eine Taube!" Der Diener mit dem Nesselblatt war schon wieder da und zog Grill sanft aus dem Zelt. „Du mußt tun, was er sagt!" flüsterte er ihr zu. „Er ist klüger, als wir anderen zusammen!" Wieder wollte Grill eine laute Klage beginnen, als der Junker Sehestedt vor ihr stand und sie am Arm faßte. „Heute nicht, Weib! Ich bring dich aus dem Lager! Ein Stück Brot und eine Wurst geb ich dir mit, dieweil du mir meine Suppe mit einem Tuch bedecktest und meinen letzten Goldtaler, den ich im Rock hatte, nicht nahmst! Und nun merke auf, was ich sage!" (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/187>, abgerufen am 29.12.2024.