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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr.

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Die Hexe von Mayen

Frau auch trinken sollte. So durfte Grill aus dem kostbaren Becher trinken
und der Wein glitt ihr wie Feuer durch die Adern, daß sie ganz lustig wurde.
Pah -- warum sollte sie dem Stadtschreiber den Willen tun und nicht den
Deutschen, die freundlich waren? Ihre Kinder würde sie schon aus der Stadt
bringen, ehe Herr Wendemut es merkte, und vielleicht konnte sie dann im Heer
bleiben, das dem Kaiser gehörte. Denn soviel wußte sie doch von den Welt¬
händeln, daß der Kaiser mit den Franzosen kämpfte und daß ihm manche
wackere Herren beistanden.

Wenn die Franzosen nicht solche Mordbrenner gewesen wären, würde es
Grill gleichgültig gewesen sein, ob sie zu ihnen ging oder zu den anderen.
Aber sie wußte, daß sie alles töteten, und diese Männer gaben ihr Wein und
waren ganz freundlich.

Es kamen allmählich die Lichter von Andernach und in der Ferne blitzte
der Rhein. Grill hatte die Herren einen kurzen Waldpfad geführt; nun lag
hier und dort ein Wachtfeuer, und ein Soldat stieß seine Muskete auf die
Erde und rief: "Halt, wer da!"

"SeineGnaden, derHerzogvonPlönundJosias vonSehestedt!" rief der letztere.

Grill warf einen raschen Blick auf den Reiter, neben dem sie einherschritt
und der in so tiefen Gedanken war, daß er die Frau vergessen zu haben schien.
Bei dem flackernden Feuerschein sah sie, wie groß und kräftig gebaut er war
und wie mächtig sein Pferd -- neben dem anderen -- erschien. Ein trotziges
Gesicht hatte er und lange dunkle Haare, die vom Regen glatt geworden
waren und schwer über seine Schultern hingen. Vor einem großen Zelt hielt
der Rappe an. Ein Diener trat mit einem großen Windlicht heraus und half
dem Herzog vom Pferde, während Josias von Sehestedt eilig aus dem Sattel
sprang und sich dabei schüttelte.

"Gottes Tod, wir sind naß wie die Hechte im Plöner See!"

"Josias, wenn Ihr noch einmal flucht, so soll Euch der Teufel holen!"
rief der Herzog ärgerlich und sah dann in Grills Gesicht, das von einem breiten
Lächeln verzogen wurde.

"Was lachst du?"

Aber Grill zog sich ihr Kopftuch über Nase und Ohren, während der
Junker Sehestedt sie am Arm faßte.

"Höre. Weib, kannst du waschen und flicken? Da war eine alte Mar¬
ketenderin, die mir meine Hemden wusch und mein Wams stopfte, wenn es
Löcher hatte. Nun hat sie das Fieber und wir haben sie zu den Nonnen
gebracht. Was aber hier umherläuft an anderen Weibern kann ich nicht leiden.
Komm mit in mein Zelt und ich will dir deine Arbeit zeigen!"

Er zog die Frau mit sich in ein kleineres Zelt, das unweit des herzog¬
lichen lag. Wüst sah es hier aus, als der Junker einen Wachsstock anzündete,
lachte er verdrießlich, zog aber aus einem Bündel mehrere Kleidungsstücke und
breitete sie vor Grill aus.


Die Hexe von Mayen

Frau auch trinken sollte. So durfte Grill aus dem kostbaren Becher trinken
und der Wein glitt ihr wie Feuer durch die Adern, daß sie ganz lustig wurde.
Pah — warum sollte sie dem Stadtschreiber den Willen tun und nicht den
Deutschen, die freundlich waren? Ihre Kinder würde sie schon aus der Stadt
bringen, ehe Herr Wendemut es merkte, und vielleicht konnte sie dann im Heer
bleiben, das dem Kaiser gehörte. Denn soviel wußte sie doch von den Welt¬
händeln, daß der Kaiser mit den Franzosen kämpfte und daß ihm manche
wackere Herren beistanden.

Wenn die Franzosen nicht solche Mordbrenner gewesen wären, würde es
Grill gleichgültig gewesen sein, ob sie zu ihnen ging oder zu den anderen.
Aber sie wußte, daß sie alles töteten, und diese Männer gaben ihr Wein und
waren ganz freundlich.

Es kamen allmählich die Lichter von Andernach und in der Ferne blitzte
der Rhein. Grill hatte die Herren einen kurzen Waldpfad geführt; nun lag
hier und dort ein Wachtfeuer, und ein Soldat stieß seine Muskete auf die
Erde und rief: „Halt, wer da!"

„SeineGnaden, derHerzogvonPlönundJosias vonSehestedt!" rief der letztere.

Grill warf einen raschen Blick auf den Reiter, neben dem sie einherschritt
und der in so tiefen Gedanken war, daß er die Frau vergessen zu haben schien.
Bei dem flackernden Feuerschein sah sie, wie groß und kräftig gebaut er war
und wie mächtig sein Pferd — neben dem anderen — erschien. Ein trotziges
Gesicht hatte er und lange dunkle Haare, die vom Regen glatt geworden
waren und schwer über seine Schultern hingen. Vor einem großen Zelt hielt
der Rappe an. Ein Diener trat mit einem großen Windlicht heraus und half
dem Herzog vom Pferde, während Josias von Sehestedt eilig aus dem Sattel
sprang und sich dabei schüttelte.

„Gottes Tod, wir sind naß wie die Hechte im Plöner See!"

„Josias, wenn Ihr noch einmal flucht, so soll Euch der Teufel holen!"
rief der Herzog ärgerlich und sah dann in Grills Gesicht, das von einem breiten
Lächeln verzogen wurde.

„Was lachst du?"

Aber Grill zog sich ihr Kopftuch über Nase und Ohren, während der
Junker Sehestedt sie am Arm faßte.

„Höre. Weib, kannst du waschen und flicken? Da war eine alte Mar¬
ketenderin, die mir meine Hemden wusch und mein Wams stopfte, wenn es
Löcher hatte. Nun hat sie das Fieber und wir haben sie zu den Nonnen
gebracht. Was aber hier umherläuft an anderen Weibern kann ich nicht leiden.
Komm mit in mein Zelt und ich will dir deine Arbeit zeigen!"

Er zog die Frau mit sich in ein kleineres Zelt, das unweit des herzog¬
lichen lag. Wüst sah es hier aus, als der Junker einen Wachsstock anzündete,
lachte er verdrießlich, zog aber aus einem Bündel mehrere Kleidungsstücke und
breitete sie vor Grill aus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_327465/185>, abgerufen am 01.01.2025.